Vorlesung Ein plombierter Wagen: Gebrauchswert des Schreibens über Kunst

Lioudmila Voropai_с_Ekaterina Merkulowa © Ekaterina Merkulowa

Do, 19.09.2019

Zentrum für zeitgenössische Kunst Winzawod Moskau

Labor für Kunstkritik

Anmeldung für die erste Vorlesung Drei Vorlesungen des Goethe-Instituts Moskau und des Labors für Kunstkritik am Zentrum für zeitgenössische Kunst Winzavod
 
Welche Bedeutung hat kritisches Schreiben für die Öffentlichkeit? Und welchen Beitrag leistet es für die Gesellschaft und den internationalen Kulturaustausch? Diese Fragen sind, unter Bezugnahme auf die historische „Reise“ der Kritischen Theorie von Deutschland nach Russland, Ausgangspunkt der vom Labor für Kunstkritik am Zentrum für zeitgenössische Kunst Winzavod gemeinsam mit dem Goethe-Institut organisierten Vortragsreihe im Herbst 2019.
 
„Ein plombierter Wagen" bezeichnet den Einfluss von Ideen des Marxismus, der die Tradition der deutschen Philosophie  fortschreibt. Wladimir Lenin, der sich viele Jahre mit dem Studium des deutschen Denkens befasst hatte, kehrte in einem solchen, vermutlich für geheim erklären Wagen 1917 über Deutschland nach Russland zurück. Die deutsche Philosophie entwickelte ihre Wirkung in Russland zu einer Zeit aus, als die progressive öffentliche Wahrnehmung unter anderem auf dem Wunsch nach ästhetischer Klärung und Transformation beruhte.
 
Hieran knüpft sich die Frage nach dem Nutzen und der Funktion von Kunstkritik. In der abstrakten, gesellschaftlich notwendigen Arbeit, die die Kunstkritik leistet, liegt ein wichtiger Nutzen. Welches Bedürfnis bedient die Kritik dabei?
 
Die Vortragsreihe stellt aktuelle Ideen vor, die sich aus einem traditionellen Kontext und einer theoretischen Sprache herleiten. Es geht hierbei um den gesellschaftlichen Wert der Arbeit, um das Schicksal der Kunstkritik und das Wesen der Kunst im Kapitalismus. Vortragende im Herbst 2019 sind Lioudmila Voropai, Eva Scharrer und Kerstin Stakemeier.

Am 19. September findet die Vorlesung von Lioudmila Voropai, „Theorie der Arrièregarde. Teil 2: Der Kritiker als Anästhesist“ statt.
 
Eine ausdrückliche „kritische Haltung“ der meisten zeitgenössischen künstlerischen und kuratorischen Projekte ist unerlässlich geworden. Man findet im heutigen Kunstkontext kaum noch eine Projektbeschreibung, einen Katalogaufsatz, eine Pressemitteilung oder einen Begleittext, in denen die Formulierungen wie „kritische Reflexion“, „kritische Aufarbeitung“, „kritische Wissensproduktion“ fehlen würden. Jedoch ist der Begriff des „Kritischen“ in letzter Zeit dermaßen diffus geworden, dass die Verwendung des Adjektivs „kritisch“ sich zu einem rhetorischen Dekorum, einer rituellen Geste im Sinne einer Deklaration guter Absichten mutierte.

Im Zusammenhang mit einem solchen inflationären Gebrauch, oder vielleicht sogar Missbrauch des Begriffs des „Kritischen“ wächst auch die Versuchung, die Geschichte und die Voraussetzungen der Etablierung des „kritischen Imperativs“ im Kunstkontext und somit auch einer entsprechenden institutionellen Konjunktur zu erforschen.

Diese Geschichte ist eng mit der Rezeption der Kritischen Theorie – zunächst in ihrer Auffassung der Frankfurter Schule – verbunden, dann aber auch mit den späteren Auslegungen des Konzepts der „kritischen Theorie“, wie sie seit den 1970ern im System der akademischen Kunstausbildung und in den Geisteswissenschaften praktiziert wurden. Mit dieser Geschichte sowie mit aktuellen Debatten über die Ziele und Aufgaben der Kunstkritik und der künstlerischen Praxis als einer Form der „kritischen“ Aktivität setzt sich dieser Vortrag auseinander.
 
Lioudmila Voropai, Dr. phil., studierte Philosophie, Kunstgeschichte, Medienwissenschaft und Medienkunst in Moskau, Köln und Berlin. Neben ihrer Tätigkeit als freie Kuratorin, Kunstkritikerin und Künstlerin promovierte 2013 an der Kunsthochschule für Medien Köln zum Thema der Institutionalisierung der Medienkunst und der Rolle der Kulturpolitik in der zeitgenössischen Kunst. Sie war Stipendiatin der Graduiertenschule für die Künste und die Wissenschaften der Universität der Künste Berlin und hielt Lehrveranstaltungen an der Bauhaus-Universität Weimar, Universität der Künste Berlin, Leuphana Universität Lüneburg und an anderen Hochschulen in Deutschland und im Ausland. Zurzeit ist sie Akademische Mitarbeiterin für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung (HfG) in Karlsruhe.

Ihre Forschungs- und Publikationsschwerpunkte liegen in der Kunst- und Medientheorie, politischen Ästhetik, kritischen Theorie, Kunstsoziologie und Institutionskritik. Ihre neuste Monographie „Medienkunst als Nebenprodukt. Studien zur institutionellen Genealogie der neuen künstlerischen Medien, Formen und Praktiken“ erschien vor kurzem im Transcript-Verlag. Außerdem ist sie Übersetzerin und Redakteurin der russischen Ausgaben von Slavoj Zizek, Giorgio Agamben, Jürgen Habermas und anderen Autoren.
 
Das Labor für Kunstkritik (mit dem Baza Institute) ist ein Bildungsprojekt, das von der Stiftung zur Förderung der zeitgenössischen Kunst Winzavod unterstützt wird.
Das Labor für Kunstkritik hat die Entwicklung einer Schule der kritischen Ästhetik zum Ziel. Das Bildungsprogramm dauert ein Jahr. Das Curriculum umfasst zwei einwöchige Theorie- und Praxisübungen sowie eine produktionsorientierte Pädagogik für eine neue, kollektiv hergestellte Publikation über Kunst, Kritik und Theorie.

Geleitet wird das Labor von bekannten Kritiker*innen und Künstler*innen: Lioudmila Voropai, Eva Scharrer und Kerstin Stakemeier. Die Vorlesungsreihe wird von Egor Sofronov kuratiert. Die Publikationen erscheinen auf der Seite: http://labs.winzavod.ru/criticism

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