Literaturkritik
Der Trend zum Blog

Vorteil für Literaturblogs: Im Netz bleiben die Inhalte für alle lange zugänglich
Vorteil für Literaturblogs: Im Netz bleiben die Inhalte für alle lange zugänglich | Foto (Ausschnitt): © art_sonik/Fotolia

Blogger haben sich im Literaturbetrieb etabliert und sind für die Verlage inzwischen wichtige Ansprechpartner. Und so mancher Blog kann sich mit dem etablierten Feuilleton durchaus messen.

Die Zahl der Literaturblogs in Deutschland ist mittlerweile nur noch zu schätzen. Sind es tausend oder noch mehr? Fest steht, dass es ständig mehr werden. 400 Blogger ließen sich zur Leipziger Buchmesse 2015 registrieren, 2016 waren es bereits 800. Bei einem Blogger-Meeting des Verlags Bastei Lübbe in Köln 2016 waren die hundert Karten innerhalb einer Stunde ausverkauft. Die Zahlen zeigen: Literatur-Kritik ist so lebendig wie lange nicht – und Blogger haben sich als ernstzunehmende Stimmen im Literaturbetrieb etabliert.
 
Das bestätigen auch die Verlage. So hält beispielsweise der renommierte Suhrkamp-Verlag Kontakt zu 500 Bloggern. Und auch Carolina López, Sprecherin beim Verlag Schöffling & Co., unterstreicht, dass die Zeiten, in denen man über Blogger hinweggehen konnte, vorbei sind: „Klassische Medien müssen sparen. Insofern wird die Bedeutung der Blogger für Literatursucher sicher noch zunehmen“, sagt sie.

Keine Berührungsängste

Selbst die etablierte Literaturkritik sieht diese Entwicklung positiv: „Oft genug wird im Feuilleton darüber geklagt, wie gering die öffentliche Aufmerksamkeit für Literatur geworden ist“, sagt der Literaturkritiker und Feuilleton-Chef beim Nachrichtenmagazin Focus, Uwe Wittstock. „Wenn jetzt online neue Spielräume für eine qualifizierte Beschäftigung mit der Literatur entstehen, kann man das nur begrüßen.“ Beim Stichwort „qualifiziert“ macht Wittstock jedoch Einschränkungen. „Die meisten Literaturblogs beschäftigen sich mit Genre-Literatur aus der Perspektive der Genre-Fans“, sagt er. Die jüngsten Produkte der Fantasy-, Liebes-, Krimi- und Horrorliteratur würden mit großem Enthusiasmus, „aber wenig kritischer Distanz vorgestellt und eben nicht analysiert. Für Genre-Fans ist das nützlich und schön, hat aber mit Literaturkritik im ernsten Sinn des Wortes nichts zu tun.“
 
Gegen den „ernsten Sinn des Wortes“, das muss man jedoch auch sagen, haben sich Blogger immer wieder verwahrt. Uwe Kalkowski beispielsweise, der den Weblog Kaffeehaussitzer unterhält, sprach beim Kölner Blogger-Meeting von „zwei völlig unterschiedlichen Metiers“ und bekannte, dass ihm für die klassische Literaturkritik „Handwerkszeug und Expertise“ fehlten. Die Bloggerin Caterina Kirsten vertrat in einem Aufsatz für das Börsenblatt 2015 ähnliche Thesen: „Blogs sind in der Regel niedrigschwelliger und persönlicher, ihre Betreiber scheuen sich weder vor Emotionen noch davor, ,ich‘ zu sagen, hier findet also tatsächlich ein Gespräch ,auf Augenhöhe‘ statt.“

Blogger als offene, integrative Gemeinde

Diese Augenhöhe ist einer der Gründe, warum sich Buchbesprechungen online durchgesetzt haben. Denn die „niedrigere Schwelle“ betrifft ja nicht nur den Ton, sondern auch die Auswahl der Bücher selbst. Fantasy-, Liebes-, und Horror-Romane erreichen nur selten das Feuilleton der etablierten Print-Presse. Blogger geben ihnen ein Forum – sprichwörtlich: Auf den Blogs wird oft fleißig diskutiert. Zudem verstehen sich die Blogger als eine offene und integrative Gemeinde, die mit Links auf die Blogs anderer Literaturliebhaber verweist.
 
Über das Niveau der Rezensionen lässt sich dabei zweifellos streiten. Die Fraktion von Laienkritikern, die Romane nacherzählen und emotionale Urteile fällen, ist groß. Das sieht bei den sogenannten Booktubern, der Name ein Wortspiel aus „book“ und „Youtube“, ähnlich aus. Booktuber sprechen vor einer selbst aufgestellten Kamera über selbst ausgewählte Bücher und stellen ihre gewollt semi-professionellen Clips ins Netz. Auch sie gewinnen stark an medialem Raum, derzeit wird ihre Zahl auf 200 bis 300 geschätzt. Tendenz steigend.
 

#wirsindbooktube – Projekt mit 40 deutschen Booktubern

Substanzielle Weiterentwicklung

Doch gerade bei den Blogs gibt es mittlerweile viele Formate, die für eine substanzielle Weiterentwicklung stehen. Das Online-Magazin Tell wird beispielsweise von der Journalistin und Autorin Sieglinde Geisel geführt, die Übersetzer, Blogger, Kritiker und Schriftsteller um sich versammelt hat. „Tell soll den Anspruch des Feuilletons mit der Spontanität von Blogs zusammenbringen“, erklärt Sieglinde Geisel. Auch die Blogs Begleitschreiben oder Culturmag gehören zu den ambitionierten Formaten, in denen fundierte Literatur-Analyse oberste Priorität genießt. In seinem Blog Kaffeehaussitzer hat Uwe Kalkowski eine andere Idee etabliert. In der festen Rubrik „Textbaustein“ löst er besondere Textstellen aus unterschiedlichen Romanen heraus, listet auf und kommentiert.
 
Die Beispiele zeigen, wie sich die Prognose von Autor und Blogger Frank O. Rudkoffsky von Anfang 2016 verwirklicht. „Blogs“, sagte er, „werden das Feuilleton nicht ersetzen, sondern den literarischen Diskurs, das literarische Spielfeld erweitern.“ In Sachen Schnelligkeit, Platz und Verfügbarkeit hat das Print-Feuilleton bereits jetzt schon das Nachsehen. „Was nur in Tages- oder Wochenzeitungen erscheint, ist für gewöhnliche, nicht-professionelle Leser schnell wieder unerreichbar, im Netz bleibt es lange zugänglich“, sagt Uwe Wittstock vom Focus. Und wie hat der renommierte Kritiker auf diese Einsicht reagiert? Nun, indem er selbst einen Blog eingerichtet hat. Er heißt Büchersäufer.