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Lichtspielhaus
Deutsche Schauspieler*innen auf dem TIFF23 und weltweit

Do Not Expect Too Much, Nina Hoss
Do Not Expect Too Much, Nina Hoss | Foto (Detail): © 4 Proof Film

Auf der 48. Ausgabe des Toronto International Film Festival (TIFF) wurden 14 deutsche Filme präsentiert – oder sogar mehr als 20, je nachdem, wie man einen „deutschen Film“ definiert.

Von Jutta Brendemühl

Sandra Hüller, Nina Hoss und Lars Eidinger sind die Stars der mit Spannung erwarteten Filme The Zone of Interest (UK), Anatomie eines Falls (Frankreich), Do Not Expect Too Much From the End of the World (Rumänien) und Alles Licht, das wir nicht sehen (USA). Als Star hinter der Kamera präsentierte Wim Winders seinen Film Perfect Days auf Nordamerikas größtem Filmfestival – drei Tage, nachdem ihn Japan für einen Oscar als bester internationaler Film eingereicht hatte. Der Oscar-gekrönte Komponist Volker Bertelmann flog aus Düsseldorf ein, um sich für seinen Soundtrack zu One Life (UK) mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle feiern zu lassen, und der Berliner Komponist Yair Glotman steuerte die Musik für den US-Thriller Reptile mit Benicio del Toro bei.

Was wie eine Reise um den Globus anmutet, ist ein Einblick in die schöne neue Welt des internationalen Films, in der nationale Zuordnungen immer weniger Gewicht haben. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences nennt den „fremdsprachigen“ Film seit vier Jahren internationalen Film – mit Mehrsprachigkeit auf der großen Leinwand tut sie sich dagegen weiterhin schwer.

Der Berliner Regisseur Ilker Çatak präsentierte auf dem TIFF seinen Film Das Lehrerzimmer. Dass sein Berlinale-Hit bei den nächsten Oscars für Deutschland ins Rennen geht, kommentierte er wiederum mit folgenden Worten: „[Wir sind] uns der Verantwortung sehr bewusst, den deutschen Film auf der internationalen Bühne zu repräsentieren. Dabei verstehen wir unseren Film nicht nur als individuelles Werk, sondern auch als einen Beitrag zur kulturellen Identität unseres Landes.“ Seine Hauptdarstellerin, „Shooting Star“ Leonie Benesch, ist nicht nur für ihre Rollen in Babylon Berlin und Das weiße Band bekannt, sondern auch für The Crown und In 80 Tagen um die Welt.

Doch was macht den „Deutschen Film“ heute aus?

Das Kammerspiel Das Lehrerzimmer vermittelt den Eindruck einer intensiven soziopolitischen Reise durch mehr als 50 Jahre deutsches Filmschaffen. Werner Herzog wird mit seiner Präzision und Beharrlichkeit im Kern immer ein deutscher – er selbst spricht von sich als bayerischer – Filmemacher bleiben, auch wenn er seit Jahren im Grunde keinen „deutschen“ Film mehr gemacht hat. In der Vergangenheit definierte sich der Neue Deutsche Film vornehmlich als Reaktion auf die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit. Die Berliner Schule (deren Existenz einige ihrer Mitglieder noch immer bestreiten) vermittelte vor allem das typische Berliner Lebensgefühl eines bestimmten Jahrzehnts. Vielleicht fällt anderen Ländern oder Regionen eine gemeinsame Definition oder Vermarktung ihres filmischen Angebots leichter – Filme aus Frankreich oder Quebec oder Korea –, weil ihre nationale Produktion in den meisten Fällen eine unverwechselbare Filmsprache oder wiederkehrende Motive aufweist.

Wie auch immer die Haltung in der Frage der kulturellen Identität ausfallen mag, seit einiger Zeit gibt es Bewegung im deutschen Filmgeschäft. Bei Regisseuren wie Edward Berger oder Marco Kreuzpaintner, die inzwischen hauptsächlich in Großbritannien arbeiten, aber vor allem auch bei Kinostars wie Daniel Brühl, der sich dem Marvel-Universum zugewandt hat, oder Franz Rogowski, der in einer italienisch-belgischen Produktion in Venedig Erfolge feiert. Europäische Fernsehserien wie Bad Banks, mit mehrsprachigen Schauspieler*innen wie Paula Beer, Barry Atsma und Desiree Nosbusch in den Hauptrollen, haben möglicherweise dazu beigetragen, nicht nur den Blick auf das nationale Filmschaffen, sondern auch auf nationale Identitäten zu weiten. Die wenigsten dieser Stars haben Deutschland den Rücken gekehrt (wie die in den USA lebende Diane Krüger); stattdessen pendeln sie zwischen Berlin und L.A. und Paris. Mit dieser neuen (neu gefundenen) Flexibilität kommt im internationalen Filmschaffen auch eine größere Vielfalt von Stimmen gemeinsam auf der Leinwand zu Wort, die Kreativszene kann sich über mehr Handlungsspielraum und Austausch freuen und das Publikum über viele neue Gesichter und mehr Abwechslung.  Titelseite von The Hollywood Reporter "Sandra Hüller, Schauspielerin des Jahres?" auf der Festival Street des TIFF Titelseite von The Hollywood Reporter: „Sandra Hüller, Schauspielerin des Jahres?“ auf der Festival Street des TIFF | Foto: © Debashis Sinha

Dazu bemerkte TIFF-Programmkuratorin Andrea Picard: „Es entsteht tatsächlich der Eindruck, als würde eine Welle großartiger deutscher Schauspieltalente die internationale Kunstkino-Szene dominieren. Hoss, Hüller, Eidinger und Rogowski gehören zu den begabtesten Schauspieler*innen ihrer Generation — bislang haben sie allerdings ausschließlich in deutscher Sprache und für die deutsche Filmindustrie gearbeitet. Allen internationalen Regisseur*innen, mit denen sie zuletzt gedreht haben – Jude, Triet, Assayas oder Sachs – ist eine große Leidenschaft für das Kino und seine zeitgenössische Ausdrucksform gemein. In einer Branche, die durch ein dominantes System bedroht und gleichzeitig von einem weltweiten Verlangen nach internationalem Arthouse-Kino wiederbelebt und gestärkt wird, können solche Partnerschaften und Crossovers sehr reizvoll sein – was sich möglicherwiese auch auf den Erfolg an der Kinokasse auswirkt. Mit Talent ließen sich schon immer Grenzen überwinden, und gerade werden wir von dieser beeindruckenden, unaufhaltsamen Welle aus Deutschland erfasst.“

Was dies langfristig für die nationalen und nicht zuletzt auch für die regionalen Strukturen der deutschen Filmförderung und für den deutschen Film bedeutet – laut Definition der Marketingagentur German Films müssen 51 Prozent der Gelder für einen „deutschen Film“ aus Deutschland stammen – bleibt abzuwarten. Doch dem Publikum in Toronto war ein solches Rumoren in der Branche vollkommen egal: Sie bejubelten die deutschen Talente in ihren eindrucksstarken (untertitelten) internationalen Filmen. Franz Rogowski, der bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig mit der italienisch-schweizerischen Produktion Lubo vertreten war, fand dafür in einem Interview mit der US-Zeitschrift Variety treffende Worte: „Ich bin jetzt auf dem Weg.“


 

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