Urbane Landwirtschaft
Groß(städtisch)e Fragen

Der Präsident der University of the District of Columbia, Ronald Mason, posiert gemeinsam mit seiner Frau Belinda DeCuir Mason vor dem Essensmobil von CAUSES.
Foto (CC BY-SA): Leslie Malone.

Die University of the District of Columbia hat eine Vorreiterrolle übernommen bei der Umgestaltung des Ernährungssystems in einer Stadt, die mit weit verbreiteter Armut und Fettleibigkeit sowie einem rasanten Bevölkerungswachstum zu kämpfen hat.

„Die Natur wird es schon schaffen. Die Frage ist nur, ob sie es mit uns oder ohne uns schafft. Die Natur könnte sich einfach dazu entscheiden, uns fallenzulassen.“ So lauten die Worte von Sabine O’Hara, Dekanin des College of Agriculture, Urban Sustainability and Environmental Sciences (CAUSES) an der University of the District of Columbia (UDC) vor einer Klasse wissbegieriger Studierenden aus der Region, die etwas über nachhaltige urbane Landwirtschaft erfahren wollen. Mithilfe von CAUSES will O’Hara jeden Aspekt des Ernährungssystems in Washington, D.C. – vom Anbau, der Verarbeitung und Verteilung von Lebensmitteln bis zum Umgang mit Abfällen – derart umgestalten, dass die Ernährung der Stadtbewohner gesichert ist, ohne das Ökosystem oder die Überlebenskraft unserer Spezies zu gefährden. So unmöglich das auch klingen mag, liefert CAUSES möglicherweise ein Modell zur Schaffung eines nachhaltigen urbanen Ernährungssystems für die von Einschränkungen gezeichnete Zukunft, die uns erwartet.

Neue städtische Essenswege kultivieren

Obwohl der Anbau nur eine Komponente des Nahrungskreislaufs ist, ist er vermutlich die sichtbarste, und am CAUSES hat man mit den unterschiedlichsten Methoden experimentiert, um dem teuren Boden der Landeshauptstadt so viele Lebensmittel wie möglich abzugewinnen. O’Hara erläutert dazu: „Wir sind keine Stadt wie Baltimore oder Detroit, in denen die urbane Landwirtschaft groß im Trend liegt. Der District of Columbia leidet im Gegensatz zu diesen beiden Städten nicht an einem Bevölkerungsschwund, sondern wächst um 1500 Einwohner pro Monat.“

Direkt auf dem Campus liegt mit rund 1900 Quadratmetern der größte bebaute Dachgarten der Stadt. An dessen Rändern, die stabil genug für große Pflanzen sind, werden pralle Cherokee-Purple-Tomaten sowie knackiger, rotstieliger Mangold gezüchtet. Die Mitte ist zu Zwecken der Isolation und Wasserrückhaltung mit Blattgemüse, Blumen und Mauerpfeffer bepflanzt. Viele der größtenteils von Freiwilligen angebauten Nutzpflanzen auf dem Dachgarten werden durch ein Solidarische-Landwirtschafts-Programm unter den Lehrenden und den Angestellten der UDC aufgeteilt sowie an karitative Essensausgaben in der Hauptstadt gespendet.

Experimente in nachhaltiger Landwirtschaft

Hinter dem Campus an der Endhaltestelle der Green Line der Washingtoner U-Bahn liegt die etwa 580.000 Quadratmeter große Firebird Farm. Hier experimentiert die UDC mit einer Vielfalt an Nutzpflanzen und Techniken, um nachhaltige Lebensmittel für die wachsende Stadt zu erzeugen: Dazu gehören rund 6000 Quadratmeter Süßkartoffeln, eine Plantage mit asiatischen Birnen, eine nachhaltigere Trockenfeld-Reissorte sowie etliche, circa 2000 Quadratmeter umfassende Kleingärten, die engagierten Einwohnern Washingtons zur Verfügung stehen. Es gibt sogar eine große Anbaufläche mit „ethnischen Pflanzen“, auf der seltene und äußerst nährstoffhaltige Gemüsesorten wie Äthiopische Eierfrucht, Bhut-Jolika-Chili, Afrikanische Eierfrucht, Brasilianische Giló-Tomate, Gartenheidelbeere und Jute für den nicht unerheblichen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund angebaut werden.

Ganz in der Nähe stehen zudem Gewächshäuser mit Aquaponik-Anlagen, in denen Tilapien in hochtechnisierten, energiesparenden, belüfteten Tanks gezüchtet werden. Mit den Ausscheidungen der Fische werden Gewächshäuser gedüngt, in denen Blattgemüse und andere Gemüsesorten angebaut werden. Weil Tilapia sich nur zu Niedrigpreisen verkauft, hat O’Haras Team kürzlich eine Räucheranlage errichtet. „Warum soll man die Tilapien für einen Dollar pro Pfund verkaufen, wenn man sie räuchern und dann für zwölf Dollar pro Pfund an den Mann bringen kann?“, will O’Hara von ihren Studierenden wissen. Diese pragmatische Einstellung zeigt, dass eine Farm nicht bestehen kann, wenn die erwirtschafteten Erträge nicht stimmen.

Doch das College ist auch mit Herausforderungen konfrontiert. So mussten beispielsweise im vergangenen Jahr die Tomaten aus dem Dachgarten unreif geerntet werden, denn der Wetterbericht prognostizierte hohe Windgeschwindigkeiten, durch die die Früchte sich in gefährliche Geschosse für ahnungslose Passanten hätten verwandeln können. Und für eine von der Stadt finanzierte Universität ist der Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen ohne Verstöße gegen Wettbewerbsklauseln kein einfacher Spagat. Derzeit wird ein Großteil des Ertrags gespendet, was zwar der Ernährungssicherung der Stadt, nicht jedoch dem Erhalt des landwirtschaftlichen Betriebs zu Gute kommt.

Nahrung für die Stadt

Im Dachgarten der UDC wächst Mangold. Foto (CC BY-SA): Erik Assadourian.

O’Hara konzentriert sich nicht nur auf den Anbau von Obst und Gemüse auf dem Campus und der Farm. Sie bringt Lebensmittel genau dorthin, wo sie am meisten gebraucht werden. Ziel ist die Schaffung eines „städtischen Lebensmittelzentrums“ in jedem der acht Wahlbezirke der Stadt, besonders in den ärmeren. Und mit fünf bereits errichteten liegt das CAUSES gut im Rennen.

Zu diesen Zentren gehören Farmen, Hydroponik-Anlagen und Einrichtungen zur Lebensmittelverarbeitung. Sie helfen dabei, eine neue Generation landwirtschaftlicher Unternehmer heranzuziehen, die eine Stadt, in der zu viele Viertel als Lebensmittelwüsten gelten, mit gesunden Erzeugnissen versorgen können. Wie O’Hara ausführt, haben 88 Prozent der 520 Lebensmittelhändler im District of Columbia keine Frischwaren im Angebot; im Wahlbezirk 7 – in dem die Fettleibigkeitsrate mittlerweile 72 Prozent erreicht hat – versorgen ganze drei Lebensmittelgeschäfte 71000 Bewohner.

Durch die Einrichtung solcher Lebensmittelzentren kann das CAUSES eine führende Rolle für die bedürftigsten Menschen übernehmen, indem es für Ausbildungsgelegenheiten sorgt, neue Arbeitsstellen schafft sowie die Versorgung mit gesunden, nachhaltigen Lebensmitteln sicherstellt. Eine der neuesten Errungenschaften des CAUSES ist eine Küche, die als Inkubator für gastronomische Unternehmen dient. Damit haben die Hauptstadtbewohner, die über ein Gesundheitszeugnis verfügen, Zugang zu einer Großküche, in der sie ihre Rezepte standardisieren und neue Lebensmittelerzeugnisse kreieren sowie an Läden, Restaurants und Märkte verkaufen können. „Wir betreiben die Lebensmittelzentren nicht auf unternehmerischer Basis, sondern als Gründerzentren. Damit wollen wir neuen Geschäftsideen auf den Markt helfen“, erklärt O‘Hara.

Das CAUSES hat sogar ein Lebensmittelmobil in Betrieb genommen und folgt damit der derzeitigen immensen Nachfrage nach diesen fahrbaren Minirestaurants in der Hauptstadt. Aber wie alle Projekte der UDC hat auch dieses ein Bildungsanliegen – es ist „ein Klassenraum auf Rädern“, sagt O’Hara.

„Ernährungssysteme müssen einem Kreislauf folgen“

O’Hara beschränkt sich nicht nur auf den Anbau, die Verarbeitung und Verteilung von Lebensmitteln, sondern stellt klar, dass auch die landwirtschaftlichen Abfälle aufgefangen und für den nächsten Produktionszyklus wiederverwendet werden müssen. Eine mit Solarenergie betriebene Pumpe versorgt die Firebird Farm mit Grundwasser, und durch Tröpfchenbewässerung wird der Gesamtwasserverbrauch gesenkt. Das Abwasser wird auf vielfältige Weise genutzt – für Wassertanks, Regengärten und sogar zur Bewässerung von Reisfeldern. Aus Lebensmittelabfällen wird Komposterde gewonnen, und eine spezielle Anlage erzeugt Biodiesel aus gebrauchtem Speiseöl.

Immer mehr Menschen ziehen in die Städte. Wenn es gelingt, dass in den Städten selbst mehr Nahrungsmittel angebaut, verarbeitet und verteilt werden, ist ein großer Schritt getan, um die landwirtschaftliche Produktion nachhaltiger zu gestalten und gleichzeitig die durch die Lebensmittelwirtschaft verursachten Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren und Nährstoffkreisläufe zu schließen. Wenn es darüber hinaus gelingt, dass Städte ihre Wirtschaftskreisläufe lokaler gestalten können, anstatt sich von nur ein oder zwei Industriezweigen abhängig zu machen, werden sie krisenfester – und das ist eine wünschenswerte Eigenschaft angesichts der ungewisseren Zukunft, die uns ins Haus steht.

Vielleicht wird durch die neuen Ansätze einer so bedeutenden Einrichtung wie der städtischen Universität, durch die am CAUSES ausgebildeten Pioniere der landwirtschaftlichen Produktion und durch die Lebensmittelunternehmen, die mithilfe des Colleges entstehen, Washington, D.C. zu Amerikas Hauptstadt der nachhaltigen Lebensmittelwirtschaft. O’Hara tut alles, was in ihrer Macht steht, um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.