Singen gegen Depression
SINGEN FÜR DAS SELBSTWERTGEFÜHL

Die jüngste der singenden Frauen ist 54, die älteste 97 Jahre alt.
Foto (CC BY-NC-ND): Lígia Nassif

Der Chor Meninas de Sinhá, der sich aus Frauen im Alter zwischen 54 und 97 Jahren zusammensetzt, bietet seinen Mitgliedern seit 20 Jahren eine Alternative zu Selbstzweifeln und Depressionen.

Valdete da Silva Cordeiro ist unter den Mitgliedern der Gruppe Meninas de Sinhá fast schon eine Legende. Ihr gelang es im Jahr 1996, das Leben Dutzender Frauen umzukrempeln, die in Alto Vera Cruz, einem Vorort von Belo Horizonte, lebten. Sie alle litten an Depressionen. Valdete, die selbst ihre Eltern nie kennengelernt hatte und nicht einmal das Datum ihres Geburtstages kannte, kam im Alter von fünf Jahren als Adoptivkind aus Bahia in die Hauptstadt des Bundesstaats Minas Gerais und besaß keine Papiere.

Einige Jahre später beschloss die junge Frau, ihren Geburtstag auf den 7. September zu legen, den Tag, an dem im Jahr 1822 Brasilien seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Portugal erklärte. Ihren ersten Geburtstag feierte Valdete, als sie schon zehn Jahre alt war, mit einem einfachen Fest im Garten des Hauses ihrer Adoptivfamilie: Sie kratzte ein paar „Groschen“ zusammen, kaufte in einer Kneipe ein paar Süßigkeiten, improvisierte in einem Schuhkarton einen Kuchen und lud die Kinder der „ganzen Etepeteten“ des Viertels ein.

Langer Weg

Noch voller Freude über die Feier zu ihrem 50. Geburtstag unternahm Valdete Ende der 1980er-Jahre die ersten Schritte, um die Gruppe Meninas de Sinhá zu gründen. Der Grund dafür war ein Ärgernis: Valdete wollte sich nicht mit dem Anblick so vieler Frauen abfinden, die mit einer Tüte voller Antidepressiva aus dem Gesundheitszentrum kamen. Sie wollte etwas tun, nur wusste sie nicht was. „Ich dachte mir, dass sie die Medikamente nicht brauchten. Sie brauchten stattdessen mehr Selbstwertgefühl“, pflegte die Gründerin zu sagen, die im Januar 2014 im Alter von 75 Jahren verstarb.

Zu den Meninas de Sinhá, die 2016 ihr 20-jähriges Bestehen feiern, gehören 24 Frauen, die in der Mehrheit schwarz und arm sind sowie zwischen 54 und 97 Jahre alt. In der Zeit seit dem ersten Auftritt in ihrem Stadtviertel ist viel passiert. „Wenn man mich heute fragt, wie wir es bis hierher geschafft haben, kann ich das nicht erklären“, sagt Bernardina de Sena, die den Spitznamen „Seninha“ trägt und von Anfang an in der Gruppe mitsingt.

In ihrer künstlerischen Laufbahn haben die Meninas de Sinhá zwei CDs und eine DVD aufgenommen, sie haben mit bekannten Künstlern zusammengearbeitet und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2012 trat die Gruppe auf dem Festival Brave im polnischen Wrocław auf. „Als alte, arme und schwarze Frauen Brasilien in einem so weit entfernten Land wie Polen zu vertreten, hat uns große Freude bereitet“, erzählt Seninha. Trotzdem hat die Gruppe die Verbindung zur eigenen Geschichte nicht verloren und tritt weiterhin in Altersheimen, Krippen, Gefängnissen, Schulen und Krankenhäusern auf.
 
 

Stimmenchor

Ausgehend von traditionellen Liedern, die bekannt sind und im Kreis gesungen werden, besteht das Repertoire der Gruppe aus rechtefreien Stücken, eigenen Kompositionen und Neuinterpretationen populärer Lieder. Und ihre eigenen musikalischen Fertigkeiten haben die Mitglieder der Gruppe nach und nach um die Beherrschung verschiedener Musikinstrumente erweitert. Hauptsächlich sind das Percussion-Instrumente, die sie in Workshops spielen lernten.

Daniel Nunes, Schlagzeuger von Constantina, einer Band, die 2010 mit den Meninas de Sinhá auftrat, erinnert sich an die Begegnung mit den Sängerinnen. „Die Gruppe hat uns mit ihrer Stimme immer herausgefordert, denn wir sind eine Instrumentalband. Diese Frauen haben eine Kraft gefunden, die wir selbst mit der Klangfülle von Instrumenten nicht erreichen würden“, erinnert er sich. Seiner Meinung nach besteht die Einzigartigkeit der Gruppe darin, dass sie „aus der Stimme das eigentümlichste Instrument gemacht haben, das je erfunden wurde. Diese Gruppe kam zusammen, um Geschichten zu erzählen, besser gesagt, Geschichten zu singen mit den einfachsten Melodien, die wir in all den Jahren, in denen wir als Band auftreten, hören konnten.“

Vergangenheit und Zukunft

Der Kulturveranstalter und Kunstpädagoge Gil Amâncio, ein Weggefährte der Meninas de Sinhá, betont einen anderen Aspekt: „Diese Frauen schaffen etwas Tolles, nämlich einen Bogen zwischen der Vergangenheit und der Zukunft zu schlagen. Sie suchen die Lieder in ihren Kindheitserinnerungen, aber sie bleiben nicht darin verhaftet.“

Wenn man sie fragt, woher sie ihre Energie beziehen, jede Woche zu proben, zu reisen, neue Lieder zu komponieren und so oft aufzutreten, antworten die Meninas normalerweise: „Wir haben Schmerzen im Knie, in der Schulter, im Rücken, aber in unserer Runde wird man wieder wie ein Kind und niemand erinnert sich noch an seine Schmerzen.“