Radfahrende Bauer
Urbane Landwirtschaft auf Rädern

Der Gründer und Vorsitzende von IDEAS For Us, Chris Castro, und Heather Grove von Fleet Farming
Foto (CC BY-SA): Fleet Farming

Eine radelnde Truppe aus freiwilligen Helfern in Orlando, Florida, unterstützt die Einwohner dabei, Lebensmittel für den Eigenbedarf anzubauen – in ihren Vorgärten.

Das Lächeln auf Heather Groves Gesicht wetteifert mit dem Strahlen der Sonnenblumen um sie herum. „Sonnenblumen sind unglaublich – sie entziehen dem Boden tatsächlich Giftstoffe“, freut sie sich, während sie einen Garten der Initiative Fleet Farming präsentiert. Ein von Grove organisiertes Team von Freiwilligen hat die Minifarm, die sie „Farmlette“ nennen, auf einem Grundstück ihres Viertels errichtet. „Uns ist die Qualität unserer Erzeugnisse sehr wichtig. Ich will nicht, dass die Leute glauben, lokal angebautes Obst oder Gemüse sei minderwertig.“

Grove leitet eine Crew von zehn bis zwanzig Freiwilligen, die sich an jedem zweiten Sonntag mit dem Fahrrad auf den Weg macht und elf solcher Minifarmen bewirtschaftet. Das Team kümmert sich um den Ort Winter Park, der an Orlando grenzt und in dem einzigartige Bungalows Straßen säumen, die sich wie Rankengewächse in alle Richtungen schlängeln. „Parzelle um Parzelle verbreiten wir unsere Vorstellung von urbaner Landwirtschaft“, erklärt Grove.

In Kanada erfunden, in Florida verfeinert

Die Fleet-Farming-Initiative in Orlando geht auf John Rife zurück, der den East End Market betreibt, ein kulinarisches Zentrum der Gemeinde. In einer umgebauten Kirche beherbergt der Markt Verkaufsstände mit allen Produkten rund um Nahrungsmittel – von lokal angebautem Obst und Gemüse und frischgebackenem Brot bis zu Sushi, Getränken aus eigener Herstellung und Aufklärungsmaterialien. „East End ist unser Spielplatz – ein Sandkasten für Ideen“, sagt Rife, der seine Fleet-Farming-Idee einer Gruppe von Anwohnern vorstellte, die sich monatlich auf dem Markt trifft. Diese Zusammenkünfte werden von der lokalen Nonprofit-Organisation IDEAS organisiert, die Nachhaltigkeitsprojekte in der ganzen Welt finanziert und Interessenten an einen Tisch bringt, die sich für regionale Anliegen engagieren wollen.

Fleet Farming basiert auf einem von Curtis Stone entwickelten Modell, der ein urbanes Landwirtschaftsprojekt im kanadischen British Columbia unterhält. Die Floridianerin Heather Grove erläutert, man habe Stones Konzept in Orlando ein wenig modifiziert, die Fahrradbrigade und zusätzliche Permakultur-Techniken eingeführt und damit Fleet Farming noch nachhaltiger gemacht. Das Nachbarschaftsprojekt will Ressourcen wie Wasser und Benzin, die sonst für die Rasenpflege gebraucht werden, für den Anbau von Nahrungsmitteln verwenden, denn die Stadt Orlando sei mittlerweile zu einer Lebensmittelwüste geworden. „Wir helfen beim Benzinsparen: Amerikaner verbrauchen für Rasenmäher etwa drei Milliarden Liter Brennstoff pro Jahr. Wir finden, dass die 40 Millionen Liter Rohöl, die der Tanker Exxon Valdez verloren hat, schon katastrophal waren. Aber allein 65 Millionen Liter gehen beim Betanken von Rasenmähern daneben!“, führt Grove aus. „Zudem ist Rasen die Nutzpflanze in den USA, die am meisten bewässert wird, fast doppelt so viel wie Mais. Um unseren CO2-Ausstoß noch weiter zu senken, fahren wir mit dem Fahrrad. Und durch die Aufklärung der Gemeinschaft, die wir als Familie ansehen, ziehen wir neue Gärtner heran.“

Ein einträgliches Nonprofit-Unternehmen

Fleet Farming wurde 2014 gegründet und betreibt nun elf Minifarmen von ungefähr 30 bis 140 Quadratmetern Größe. Grove und ihr Team kümmern sich zweimal im Monat um drei bis fünf nahe beieinander gelegene Grundstücke. Die Radler pflanzen Gemüse, Blumen und andere Erzeugnisse, ernten sie später und verkaufen sie schließlich auf einem lokalen Bauernmarkt. Die Eigentümer der Grundstücke können einen Teil der Ernte behalten oder werden am Verkauf beteiligt. Obwohl Grove keinen Bedarf an weiteren Privatgrundstücken für zusätzliche Minifarmen hat, erhielt sie mehr als 200 Anfragen von interessierten Eigentümern. „Das läuft nur über Mundpropaganda“, berichtet Grove. „Wir bieten den Leuten den Luxus wunderschöner Gärten, ohne dass sie dafür etwas tun müssen. Wir wollen ihnen beibringen, wie man Nahrungsmittel anbaut und sie auf dem Markt verkauft.“

Grove ist eine energiegeladene, zierliche Frau von 26 Jahren, die Geografie und Umweltwissenschaften studiert hat. Doch sie verfügt auch über den wirtschaftlichen Hintergrund, um so eine Idee zum Blühen zu bringen. Ihren Angaben zufolge hat sich Fleet Farming bereits ab dem ersten Jahr rentiert, obwohl es sich um ein Nonprofit-Unternehmen handelt. Derzeit erarbeitet sie ein Materialpaket für die Expansion ihrer Initiative. Es enthält Basis-Bausteine für den Aufbau eines Geschäfts, wie Marketingmaterial, Logos, Vorlagen für Verzichtserklärungen und Verträge, außerdem Informationen über partnerschaftliche Zusammenarbeit, Vertrieb, Lagerung und Buchhaltung. Fleet Farming wird das Paket online für 75 Dollar zur Verfügung stellen, eine Stunde Beratung inklusive.

Wachstum anderer Art

John Rife, der Ziehvater von Fleet Farming in Orlando, beschreibt sich als Vorzeige-Yuppie. Ursprünglich trat er in das Immobiliengeschäft seiner Familie ein. „Jahrelang saß ich am Schreibtisch und verdiente viel Geld, aber das hat mich nicht erfüllt.“ Ihm wurde bewusst, dass er mehr vom Leben wollte. „Wenn die Leute mich heute fragen, was meine Wachstumsstrategie sei“, berichtet Rife, „frage ich zurück, warum sie das wissen wollen.“ Inzwischen widmet er sich einer völlig anderen Art von Wachstum: Er brachte einen eigenen Bauernhof zum Wachsen und engagierte sich zunehmend in der Bewegung für lokale Lebensmittel. Deren Anhänger setzen Schweiß anstelle von Geld als Eigenkapital ein. „Das ist der eigentliche Dreh- und Angelpunkt. Es ist ein von einer Gemeinschaft betriebener Werteaustausch, der nicht monetär ist.“ 

Rife sagt, er wolle andere zu der Erkenntnis führen, dass es mehr im Leben gibt, als nur dem Geld nachzujagen. „Ich bringe Steine ins Rollen“, konstatierte er am Rande des Florida Food Summit, einer Veranstaltung, die er finanziell unterstützt, um eine Vielzahl von Farmpreneurs zusammenzubringen – so nennt er Personen, die neue Modelle des Lebensmittelanbaus umsetzen. „Es liegt mir zutiefst am Herzen, jungen Unternehmern zu helfen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Etwas bewirken zu können, erfüllt einen mit Freude.“

Die Generation Y mit Unterstützung der Gemeinschaft

Mit 40 gehört Rife zur Generation X, und sein Aussehen täuscht nicht über seine Interessen hinweg. Seine junge, gesunde Erscheinung mit gepflegtem Kurzhaarschnitt passt weder zu dem Stereotyp eines erfolgreichen Geschäftsmanns noch zu dem eines New-Age-Hippiefarmers. Stattdessen scheint er den aufkommenden Typus jener Führungspersönlichkeiten zu verkörpern, die folgende Qualitäten in sich vereinen: ein Gespür für die sich wandelnden Bedürfnisse der Erde und der Gesellschaft, ökonomisches Wissen und schließlich Erfolg als Grundlage von Zuversicht, Neues zu wagen. Vielleicht sind ebenjene Qualitäten auch das, was er an Grove am meisten bewundert.

„Heather ist eine Verändererin“, sagt Rife. „Ich bin sehr beeindruckt von der Generation Y und ihrem Willen und Wunsch, etwas zu bewirken.“ Und er führt weiter aus: „Diese Kohorte zeigt eine viel größere Bereitschaft als jede andere Generation, mit der ich es zu tun hatte, Zeit, Mühe, Energie und Geld einzusetzen um – ihrer Ansicht nach – die Welt zu einem besseren Ort zu machen und aktiv nach Lösungen für Probleme der Nachhaltigkeit und des verantwortungsvollen Umgangs mit der Umwelt zu suchen.“ Da die Organisation IDEAS der Treffpunkt der Generation Y ist, erschien sie ihm als der fruchtbarste Boden für seine Fleet-Farming-Idee. Das Konzept sei nicht zuletzt dadurch attraktiv, dass es für viele verschiedene Bevölkerungsgruppen praktikabel sei, erläutert Rife. „Dafür muss man nicht überdurchschnittlich gebildet sein – eine Wiese in eine Salatbeet zu verwandeln, erfordert keinen Doktortitel.“

Aktivistin Heather Grove ist sich sicher, dass die Fleet-Farming-Initiative ohne die große Unterstützung, die ihr Team von der Gemeinde erhält, nicht funktionieren würde. „Das spornt mich an“, meint sie. „Es geht einfach um die Menschen, die willens sind, diese Zeit zu investieren und die Arbeit auch zu machen. Für mich hat es einen Wert, meine Arbeitskraft kostenlos zur Verfügung zu stellen, weil mich das glücklich macht. Wir machen alle immer weiter, denn wir helfen dabei, die Welt zu verändern.“