Ein „pflanzliches Schlachthaus“
Fleisch ohne Fleisch

Fleisch ohne Fleisch
Foto (CC BY-NC-ND)

Mit seinen Produkten will der niederländische „Metzger“ Jaap Korteweg der industriellen Fleischproduktion Konkurrenz machen. Tiere müssen dafür nicht sterben.

Auf den ersten Blick scheint der Kunde eine ganz normale Metzgerei zu betreten. Waage auf dem Ladentisch, Messer, Wurstschneidemaschine – alles da. Auch der Inhalt des Kühlregals lässt Barbecue-Fans sofort das Wasser im Munde zusammenlaufen: Würstchen und Hamburger, Hackfleischbällchen, Geflügelspieße. Sogar Thunfisch und Calamares fehlen nicht. Was braucht es mehr für einen gelungenen Grillabend?

Dafür eignen sich die Gaumenfreuden, die Jaap Korteweg in seinem concept store in Den Haag anbietet, in der Tat. Bloß: Ein Tier musste dafür nicht sterben, alles ist auf pflanzlicher Basis hergestellt. „Aus Sojabohnen und Erbsen, Lupinensamen und Getreide“, erklärt der 54-jährige Bauer und holt eine Packung mit englischen Frühstückswürstchen aus der Kühlvitrine, die Little Willies: „Eines unserer neuesten und beliebtesten Produkte!“, berichtet er stolz und deutet auf das runde Logo: De Vegetarische slager steht auf der Verpackung, der vegetarische Metzger.

„Fleisch muss auf unseren Tellern zur Nebensache werden.“

So heißt das Unternehmen, das Korteweg am Welttierschutztag 2010 gegründet hat. Sein Ziel: eingefleischten Fleischessern eine umwelt- und tierfreundliche Alternative zu bieten. Mit Spezialitäten, die wie Fleischprodukte aussehen und auch so schmecken, aber die auch von Vegetariern besten Gewissens verspeist werden können. Ohne Tierleid. Ohne die Umwelt so extrem zu belasten wie „normale“ Fleischprodukte: „Wir brauchen zweimal weniger landwirtschaftliche Fläche. Und dreimal weniger Wasser und Dünger.“  

Auslöser war für Korteweg der letzte Ausbruch der Schweinepest in Europa im Herbst 1997. Nirgendwo wütete die Seuche so heftig wie in den Niederlanden mit ihrer äußerst intensiven Massentierhaltung: Im Land mit der höchsten Schweinedichte der Welt lebten genauso viele Menschen wie Schweine, nämlich rund 15 Millionen. Um zu verhindern, dass sich die Seuche wie ein Flächenbrand ausbreitete, wurden innerhalb von 13 Monaten 12 Millionen Schweine getötet. Präventiv. Infiziert waren nur rund 700.000.

Aber wohin mit den Millionen von Kadavern? Auch Korteweg, der im Süden der Niederlande in neunter Generation einen Bauernhof führt, wurde um Hilfe gefragt: Er sollte in seinen Kühlzellen tote Schweine aufbewahren, bis in den Tierkadaververnichtungsanlagen wieder Kapazitäten frei wurden.

„Das war für mich der Moment, in dem ich mir sagte: In diesem elenden System willst du kein Mitspieler mehr sein“, erinnert sich der Bauer. Seinen eigenen Hof hatte er längst auf biologischen Anbau umgestellt. Und so wie seine Frau und die vier Töchter war er Vegetarier geworden. Doch dabei wollte er es nicht mehr belassen. So wie David einst Goliath den Kampf angesagt hatte, beschloss er, der Bio-Industrie – wie die Massentierhaltung in den Niederlanden beschönigend genannt wird – Konkurrenz zu machen. Egal, ob Steaks und Rouladen, Gulaschsuppe oder Spaghetti Bolognese, Thunfischsalat oder geräucherte Makrele – nach und nach will er sämtliche Fleisch- und auch Fischgerichte auf dem Markt durch eine vegetarische Variante ersetzen: „Fleisch muss auf unseren Tellern zur Nebensache werden.“

Ein „pflanzliches Schlachthaus“ für 50 Millionen Mahlzeiten pro Jahr

Aber warum kann die Menschheit nicht einfach auf Gemüse und Salat umsteigen? Weshalb will sie das Gefühl haben, weiterhin Fleisch zu essen? Warum braucht sie einen Ersatz, der nach wie vor wie Fleisch aussieht und wie Fleisch schmeckt? Ist das nicht scheinheilig?

Jaap Korteweg muss kurz auflachen, er ist die Frage gewöhnt: „Weil viele Menschen fleischsüchtig sind. Weil sie Angst vor einem fleischlosen Dasein haben. Und diese Angst ist so groß, dass sie rationale Argumente verdrängt.“ Sich selbst hält er für das beste Beispiel: „Ich war ein leidenschaftlicher Karnivore. Auch ich wollte weiterhin Würstchen und Speck essen.“

Anfangs wurde er belächelt: die Fleischindustrie herausfordern – nice try, löblicher Versuch. Doch der Erfolg gibt ihm recht. Im Sommer 2017 wird er expandieren und im südniederländischen Breda ein riesiges „pflanzliches Schlachthaus“, wie Korteweg es nennt, in Betrieb nehmen. Baukosten: zehn Millionen Euro. Ein Viertel davon hat er durch Crowdfunding zusammenbekommen, „innerhalb von nur drei Wochen!“. Das übertraf seine kühnsten Erwartungen, denn gehofft hatte er auf eine Million in drei Monaten: „Es hätten auch zehn Millionen werden können, doch wir mussten stoppen.“ Das gesetzliche Limit lag bei 2,5 Millionen Euro. Die restlichen 7,5 Millionen lieh er sich von der Bank.

In seiner neuen Fabrik will Korteweg 50 Millionen Fleischersatzmahlzeiten pro Jahr herstellen. Schon jetzt findet sich das Vegetarische-slager-Logo in 13 Ländern in den Kühlregalen von rund 3.000 Verkaufsstellen: in Snackbars und Restaurants, „normalen“ Metzgereien und vielen Supermärkten. Darunter auch bei Albert Heijn, der größten niederländischen Supermarktkette: Dort landete Kortewegs vegetarische Variante des beliebten saucijzenbroodjes, einer Blätterteighackfleischtasche, bei Geschmackstests auf Platz 1: „Noch vor den ‚echten‘ saucijzenbroodjes mit Fleisch!“, betont der Produktentwickler Paul Bom. Der Chefkoch steht in der Versuchsküche hinten im Laden, wo ein Expertenteam nach neuen Fleischersatzmahlzeiten sucht. „Mehr als Blender, Mixer und Zerkleinerer, wie sie in jeder Küche stehen, braucht es dazu nicht“, meint der 44-Jährige. Abgesehen natürlich vom Spezialwissen, das er inzwischen gesammelt hat. Auf die Gewürze komme es an und die richtige Konsistenz: „Das Ersatzfleisch muss sich schneiden lassen, ohne zu bröckeln, die Ersatzaufschnittwurst rollen.“ Die Kombination aus Johannisbrotkernmehl und Carrageen aus Rotalgenzellen eigne sich dafür besonders gut. Manchmal kommt es auch zu Überraschungen: „Unsere Calamares entdeckten wir per Zufall, als wir Fischnuggets entwickeln wollten – doch die schmeckten wie die frittierten Tintenfischringe.“

Am schwierigsten wird es immer, wenn ein neues Produkt auf den Markt kommen soll. Dann müssen aus den zwei, drei Kilo, die in der Versuchsküche entstanden sind, 200 bis 300 Kilo werden – „Und die können auf einmal anders schmecken, auch wenn es genau dasselbe Rezept war!“ Dann hilft nur Eines: erneut tüfteln und rühren.

Derzeit sind die vegetarischen Metzger dabei, ein pflanzliches Steak zu entwickeln, das auch echte Fleischliebhaber überzeugt: „Aber das dauert noch ein paar Jahre.“ Schneller im Kühlregal wird sich ein anderes neues Produkt finden, doch das wird noch geheim gehalten. Nur so viel sei verraten: „Es lässt sich aufs Brot streichen.“