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Gender Mainstreaming
Der Genderaspekt des Klimawandels

Eine Frau geht an teilweise zerstörten Häusern und überfluteten Feldern vorbei.
Von Salzwasser überschwemmte Felder und teilweise beschädigte Häuser nach dem Hurrikan Yaas. | Foto (Detail): © Shouraseni Sen Roy

Die Mehrheit der Armen in der Welt sind Frauen. Sie sind bei der Versorgung ihrer Familien weitgehend auf natürliche Ressourcen angewiesen und in vielen Regionen der Erde nicht an Entscheidungsprozessen beteiligt. Dr. Shouraseni Sen Roy zeigt auf, dass Frauen überproportional von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.

Von Shouraseni Sen Roy

Am 26. Mai 2021 traf der Zyklon Yaas auf die Ostküste Indiens und überschwemmte die angrenzenden tief liegenden Inseln des indischen Sundarban-Deltas (ISD). Er zerstörte die Reisfelder und damit die Haupternte der Saison. Den Menschen vor Ort gingen die Lebensmittel aus und sie mussten sich nach alternativen Erwerbsquellen umsehen. Einige von ihnen sind nunmehr gezwungen, Risiken einzugehen, wie etwa beim Krabbensammeln, wo sie von Tigerangriffen bedroht sind, oder sie müssen auf der Suche nach Arbeit ihre vertraute Umgebung verlassen und in die großen Städte ziehen. Das ist ein verbreitetes Dilemma vulnerabler Gemeinschaften, die in den Gebieten leben, die dem Klimawandel und Extremwetter am meisten unterliegen.

Dem jüngsten Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) zufolge war es in den vergangenen vier Jahrzehnten wärmer als in allen vorangegangenen Jahrzehnten seit 1850, und extreme Wetterereignisse traten häufiger und intensiver auf. Die beobachteten Klimatrends haben weitreichende Schäden an der physischen Infrastruktur und langanhaltende Beeinträchtigungen der lokalen Wirtschaft zur Folge. Doch der Klimawandel trifft Männer und Frauen nicht gleichermaßen. Das gilt insbesondere für die Mehrzahl der Länder des globalen Südens, in denen die Geschlechterungleichheit aufgrund des geringeren Maßes an Selbstbestimmung und des begrenzten Zugangs zu Ressourcen ausgeprägter ist. Der niedrigere soziale Status von Frauen und Mädchen in großen Teilen Asiens und Afrikas ist hauptsächlich Gesellschaftsnormen geschuldet und führt dazu, dass sie unverhältnismäßig stark unter den negativen Einflüssen des Klimawandels leiden. 

  • Geschlecht und Klimawandel © Shouraseni Sen Roy
    Der von der Universität Notre Dame entwickelte ND-GAIN-Index von 2019 gibt für die einzelnen Regionen an, wie anfällig sie für oder wie gut gerüstet sie gegen die Auswirkungen des Klimawandels sind. Höhere Werte repräsentieren eine größere Robustheit gegen und eine geringere Anfälligkeit für klimawandelbedingte Folgen.
  • Karte Geschlecht und Klimawandel © Shouraseni Sen Roy
    Diese Karte zeigt den Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit (GII) 2019, der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen konzipiert wurde und die Geschlechterungleichheit in drei wichtige Aspekten der menschlichen Entwicklung erfasst: reproduktive Gesundheit, Teilhabe und Erwerbsbeteiligung. Höhere GII-Werte stehen für eine größere Geschlechterungleichheit. Ein Vergleich zwischen der Anfälligkeit für den Klimawandel und dem GII offenbart eine Übereinstimmung, insbesondere im Globalen Süden, wo höhere GII-Werte mit einer höheren Anfälligkeit für und geringeren Robustheit gegen klimawandelbedingte Folgen einhergehen.

Die Konsequenzen für Frauen und Mädchen

Die Mehrheit der 1,5 Milliarden Menschen auf der Welt, die von einem Dollar oder weniger pro Tag leben, sind Frauen. Sie sind am meisten von natürlichen, für den Klimawandel anfälligen Ressourcen abhängig. Zudem sehen sich Frauen vielfach größeren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen gegenüber als Männer, wodurch es für sie schwieriger sein kann, diese Probleme zu bewältigen.

In ländlichen Gebieten sind es in der Regel Frauen, die für für die Familien Wasser und Brennholz zum Kochen und Heizen beschaffen. Durch den Klimawandel nehmen Entwaldung und Dürren zu, sodass die Frauen und Mädchen häufig längere Strecken zurücklegen müssen, um Wasser und Brennholz zu besorgen. Je weiter die Wasserquellen entfernt sind, umso schutzloser sind Frauen und Mädchen verschiedenen Formen von Belästigung, Gewalt und unbarmherzigen Wetterverhältnissen durch hohe Temperaturen und starken Niederschlag ausgeliefert. Weil sie viele Stunden für diese Pflichten aufwenden müssen, halten diese Umstände junge Mädchen im schulfähigen Alter zudem vom Schulbesuch ab und werfen sie damit in ihrer Bildung zurück. Das führt über die Jahre oft dazu, dass die Mädchen die Schule abbrechen und letztlich keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben.

Da Frauen Entscheidungsprozesse auf verschiedenen Ebenen traditionell weniger beeinflussen können, werden ihre Bedürfnisse, Interessen und Hindernisse bei der Politikgestaltung und bei Regierungsprogrammen, die auf Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit und ökologische Nachhaltigkeit abzielen, nur unzureichend berücksichtigt. Außerdem stehen ihnen weniger finanzielle Mittel zur Verfügung. Ein Großteil der Frauen in armen Ländern betreibt Subsistenzwirtschaft, wodurch sie von den Auswirkungen der Umweltzerstörung wie Nahrungsmittelknappheit, schlechte Gesundheit und Unterernährung stärker bedroht sind.

Aufgrund sinkender Ernteerträge nimmt die Landflucht in zahlreichen größeren Ballungsräumen im globalen Süden zu. Das zieht eine Überbevölkerung in den Städten und einen Zusammenprall der Kulturen nach sich und setzt Frauen und Mädchen oft Übergriffen aus, wie beispielsweise die jüngste Häufung der Fälle von Gewalt gegen Frauen im indischen Neu-Delhi verdeutlicht. Außerdem lassen die jungen Männer ihre Frauen auf dem Land zurück, damit sie sich um die Alten und Kinder kümmern. Doch die Frauen und Mädchen essen häufig nach den anderen Haushaltangehörigen, was aufgrund der begrenzten Lebensmittelvorräte zu weit verbreiteter Unterernährung führt.

Informelles Sozialkapital

Die direkte und indirekte Rolle des Klimawandels bei der Auslösung von Konflikten in verschiedenen Regionen des Globalen Südens, wie derzeit in Darfur und Syrien, lässt sich immer deutlicher belegen. Aufgrund dieser bewaffneten Auseinandersetzungen fliehen viele Menschen aus ihrer Heimat in eine neue, unvertraute Umgebung, was sie wehrlos macht. Es existieren unzählige Berichte über Gewalt gegen Frauen und Mädchen in den provisorischen Siedlungen, und die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein.

Meist gestaltet es sich für Frauen unmöglich, formelles Sozialkapital, einschließlich der Einbindung in Entscheidungsprozesse, politische Strategien und Institutionen, aufzubauen. Dadurch sind sie im Nachteil, wenn sie aktive Unterstützung benötigen. Im Gegensatz dazu bauen Frauen eher informelles Sozialkapital auf, wovon die gesamte Gesellschaft, auch die Männer, bei der Bewältigung der Folgen von Klimakatastrophen immens profitieren.

Der Einfluss des Klimawandels auf die Gesundheit ist gut dokumentiert. Außerdem sind insbesondere Frauen und Mädchen von Unterernährung und ungesunden Bedingungen wie unhygienischen Wohnverhältnissen und Luftverschmutzung in Innenräumen durch Holz- oder Kohleöfen betroffen. Darüber hinaus sind in den meisten traditionellen Gesellschaften des globalen Südens Frauen und Mädchen für die Pflege der Kranken zuständig, wodurch sie auch durch Infektionen gefährdet sind.

Der B3-Ansatz

Frauen und Mädchen im globalen Süden leiden also überproportional unter den bereits eingetretenen und drohenden Auswirkungen des Klimawandels. Deshalb ist es unerlässlich, die gesamte Gesellschaft gerechter und fortschrittlicher zu gestalten, durch die Einbeziehung der Geschlechterperspektive in die Vorbereitung, Entwicklung, Umsetzung, Überwachung und Bewertung von Strategien. Um dieses umfassende „Gender Mainstreaming“ zu erreichen, schlage ich den B3-Ansatz vor: Belastbare Daten, Bildung und Befähigung (im Original: E3: Enumeration, Education, Empowerment).

Belastbare Daten: Für eine genaue Bewertung der Auswirkungen des Klimawandels auf Frauen und Mädchen sind geschlechtersensible Daten notwendig, die jedoch nur selten erhoben werden. Nach Geschlecht und Alter aufgeschlüsselte quantitative Daten dienen dazu, Informationen über geschlechts- und altersbedingte Unterschiede einer größeren Bevölkerungsgruppe zu verallgemeinern. 

Bildung: Eine der besten Investitionen in den Fortschritt der Gesellschaft ist die in die Bildung, Gesundheit und Sicherheit von Mädchen. Durch ihre frühzeitige Förderung wird sichergestellt, dass sie zu bewussteren und selbstbewussteren Menschen heranwachsen, die nicht nur für sich selbst sprechen, sondern auch für ihre Familien sorgen können. Dadurch wird das langfristige Wohlergehen der Gesellschaft insgesamt garantiert. Ein zusätzliches Jahr in der Grundschule kann im Erwachsenenalter schätzungsweise zu einem Lohnanstieg um zehn bis 20 Prozent führen. Durch ein zusätzliches Jahr an einer weiterführenden Schule steigt dieser Wert auf 15 bis 25 Prozent. Angesichts der prognostizierten Klimaveränderungen werden Mädchen noch mehr Stunden für die täglichen Pflichten aufbringen müssen, sodass ihnen weniger Zeit für den Schulbesuch bleibt. 

Befähigung: Es ist nicht nur wichtig, die Geschlechterungleichheit im globalen Süden zu thematisieren, sondern es muss noch viel mehr über die Stärkung der Frauen im Hinblick auf Anpassungs- und Abschwächungsstrategien diskutiert werden. Ihr beschränkter Zugang zu politischer Macht und finanziellen Mitteln benachteiligt die Frauen dabei, die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Andererseits ist offensichtlich, dass den Frauen beim Umweltschutz und der Wiederaufforstung eine entscheidende Rolle zukommt, insbesondere in den ländlichen Gebieten des globalen Südens. 

Mädchen von klein auf zu bilden und zu stärken, wird nicht nur die Geschlechterungleichheit allgemein verringern, sondern bewusstseinsbildend bei künftigen Generationen wirken. Der Einsatz geschlechtersensibler Initiativen wird zu einem größeren Bewusstsein und Verständnis für das allgemeine Wohlergehen der gesamten Bevölkerung führen. Die Geschlechterungleichheit kann durch einen explizit geschlechtersensiblen Ansatz in der Strategieentwicklung auf allen Ebenen verringert werden. Andernfalls werden die Menschen am Rand der Gesellschaft und die Armen, mehrheitlich Frauen, immer weiter benachteiligt. Ihre Einbeziehung in Entscheidungsprozesse der Landbewirtschaftung und Landwirtschaft wird eine größere Ernährungssicherheit und eine bessere allgemeine Gesundheit der Familien gewährleisten. Zweifelsohne können die Vorteile des „Gender Mainstreaming“ zur Anpassung an den Klimawandel und zur Abwendung seiner negativen Auswirkungen beitragen.

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