Interview mit Dr. René Herrmann

„INTEGRATION ERLEBEN WIR ALS EINEN SEHR INDIVIDUELLEN PROZESS“

In Deutschland fehlen Fachkräfte, besonders in der Pflege. Um die Lücken zu füllen, entschied sich die Vivantes Forum für Senioren GmbH in Berlin dazu, auch im Ausland nach Mitarbeiter*innen zu suchen – in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Geschäftsführer Dr. René Herrmann gibt Einblicke in diesen Prozess.
 

Dr. René Herrmann, Geschäftsführer der Vivantes Forum für Senioren GmbH

Dr. René Herrmann, Geschäftsführer der Vivantes Forum für Senioren GmbH | Foto (Ausschnitt): © X21de Reiner Freese

Die Vivantes Hauptstadtpflege arbeitet schon seit 2015 mit dem Goethe-Institut Vietnam an einem Programm zur Gewinnung vietnamesischer Pflegekräfte zusammen. Was hat Sie zu diesem Schritt, Fachkräfterekrutierung im Ausland zu betreiben, bewegt?

Dr. René Herrmann: Die Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt von Jahr zu Jahr, im Gegensatz dazu entscheiden sich immer weniger Menschen für einen Beruf in der Pflege. Der Bedarf an qualifiziertem Pflegepersonal steigt daher kontinuierlich und die Suche nach Pflegefachkräften in Deutschland wird immer schwieriger.  Auch der Nachwuchs ist im Pflegebereich rar gesät und kann nicht mehr ausschließlich über die Gewinnung von hiesigen Auszubildenden aufgefangen werden. Die Vivantes Forum für Senioren GmbH sieht sich hier in der dringenden Verantwortung, ausländische Fachkräfte für die Ausbildung zur Pflegefachfrau und zum Pflegefachmann und für die berufliche Anerkennung in Deutschland zu rekrutieren.

Welche Vorteile sehen Sie in der gezielten Ansprache von Pflegekräften im Ausland?

Dr. René Herrmann: Die Vorteile ergeben sich durch die Zusammenarbeit mit unseren professionellen und verlässlichen Partnern vor Ort und unserem eigenen Recruiting Team, das die Bewerberinnen und Bewerber bereits im Herkunftsland kennenlernt. Das Recruiting Team repräsentiert den Arbeitgeber, stellt den zukünftigen Arbeitsbereich in der Altenpflege vor und gibt einen Ausblick auf den umfassenden Prozess, der den Teilnehmenden bevorsteht. Diese persönliche Begegnung zwischen Arbeitgeber und zukünftigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schafft Vertrauen und ist für uns der Grundstein des Integrationsprozesses.

Wie können ausländische Fachkräfte erfolgreich integriert und langfristig an Deutschland gebunden werden?

Dr. René Herrmann: Den Grundstein für die persönliche Bindung legen wir mit den Bewerbungsgesprächen, die mit unserem Recruiting Team im Herkunftsland stattfinden, soweit es die pandemische Lage zulässt. Im nächsten Schritt leisten die Projektpartner*innen vor Ort ganze Arbeit. Sie sind nicht nur für die sprachliche Qualifikation zuständig, sondern bereiten die Teilnehmenden auch intensiv auf das Leben und Arbeiten in Deutschland vor. In engmaschiger Absprache mit der Sprachschule werden auch arbeitgeberrelevante Themen in den Unterricht eingebracht, um die Teilnehmer*innen bestmöglich auf die Arbeit in der Altenpflege in Deutschland vorzubereiten. 
Die Einreise findet bei uns in kleinen oder größeren Gruppen statt, niemand reist alleine ein. Dies wird sehr positiv aufgenommen, da man sich besonders am Anfang gegenseitig unterstützen kann. Die neuen Fachkräfte und Auszubildenden wohnen und leben in Wohngemeinschaften und erhalten bei ihrem Start jederzeit Unterstützung vom Projektteam. Unsere Kolleg*innen stehen für alle Fragen rund um das Leben in Berlin zur Verfügung und informieren regelmäßig in ZOOM-Meetings und per E-Mail über wichtige Themen wie Beitragsservice, Mülltrennung, Freizeitgestaltung, Feiertage usw.
In Zusammenarbeit mit dem IQ-Netzwerk werden in regelmäßigen Abständen und bei Bedarf Workshops zu integrationsrelevanten Themen wie Versicherungen, Vertragswesen, Wohnungssuche etc. im digitalen Kontext durchgeführt.
Bei einer erfolgreichen Integration sind alle Seiten gefragt, vor allem das Bestandspersonal und die Praxisanleitenden in den Einrichtungen spielen dabei eine große Rolle. Erfahren die neuen Kolleg*innen auf dem Wohnbereich eine herzliche und offene Willkommenskultur und bekommen Unterstützung bei ihrem Start in das Arbeitsleben, ist das ein großer Erfolgsfaktor.
Integration bedeutet auch das Erlernen von interkulturellen Kompetenzen, beide Seiten werden mit entsprechend fundierten Trainings und Schulungen auf diese Aufgabe vorbereitet.
Integration erleben wir als einen sehr individuellen Prozess, die kulturelle und sprachliche Anpassung fällt dem einem leichter als dem anderen. Unsere Erfahrung ist, je besser und intensiver die Vorbereitung im Heimatland ist, desto einfacher fällt später die Integration.

Welche Rolle spielt dabei die Kenntnis der deutschen Sprache?

Dr. René Herrmann: „Die Sprache ist der Schlüssel zur Welt“ lautet ein berühmtes Zitat Wilhelm von Humboldts.
Auch wir haben die Erfahrung gemacht, dass gute Sprachkenntnisse die Integration erleichtern, daher liegt der Fokus bei der Vorbereitung im Heimatland ganz klar auf dem Spracherwerb. Nach erfolgreicher Auswahl beginnen die Teilnehmenden mit dem Sprachkurs an einer zuvor vom Projektteam ausgewählten und qualifizierten Sprachschule. Das Ziel liegt auf der Erreichung des B2-Niveaus im Herkunftsland.
Auch nach der Einreise in Deutschland bieten wir die Teilnahme an Online-Sprachkursen an, mit dem Fokus auf berufsbezogene Sprachtrainings. Unterstützung gibt es auch im Alltag. Regelmäßig finden kleine Treffen mit den Praxisanleitenden statt, in denen Fachsprache besprochen und trainiert wird.

Im Bereich Pflegekräftegewinnung aus dem Ausland gibt es leider auch Unternehmen, die ausländische Pflegekräfte unter nicht fairen Bedingungen nach Deutschland holen. Was sollte getan werden, um solche problematischen Praktiken zu stoppen?

Dr. René Herrmann: Wir sind sehr stolz, dass wir seit Kurzem das Gütesiegel für „faire Anwerbung in der Pflege“ erhalten haben. Das Gütesiegel ist ein staatliches Siegel der Bundesrepublik Deutschland, das durch gesetzliche Vorgaben geregelt ist. Es bietet den zukünftigen Fachkräften die Sicherheit eines fairen und sicheren Prozesses.