Künstler*innen im Exil: Zwischen Verlust und Hoffnung

Weltweit gibt es unzählige Künstler*innen, die vor Krieg, Gewalt oder politischer Verfolgung fliehen und ihre Heimat verlassen müssen. Oft ist auch ihre künstlerische Tätigkeit selbst der Grund für ihr Exil. Die Ausstellung „Once We Were Trees, Now We Are Birds” in der ifa-Galerie in Berlin zeigt Arbeiten von rund 50 Künstler*innen, die mit Hilfe der Martin Roth-Initiative in Deutschland Schutz gefunden haben.
Von Katrin Figge
Auf einer Straße inmitten einer indischen Stadt steht eine Frau in traditioneller Kleidung. Sie setzt zum Sprung an, in ihrer rechten Hand hält sie eine Lanze. Doch ihr Gesicht bleibt verhüllt, denn sie trägt eine Kuhmaske. Diese Aufnahme stammt aus der Serie „The Cow Mask Project“ des indischen Künstlers und politischen Aktivisten Sujatro Ghosh, der mit seinen Bildern die provokante Frage stellt, ob Frauen in Indien weniger wert sind als Kühe. Kühe, so der Künstler, sind im hinduistischen Indien heilig und genießen deswegen besonderen Schutz. Frauen, die Opfer von Gewalt werden, warten hingegen oft vergeblich auf Gerechtigkeit.
Das eindrucksvolle Foto von Sujatro Ghosh gehört zu den rund 50 Arbeiten aus unterschiedlichen Disziplinen, die derzeit in der ifa-Galerie Berlin im Rahmen von „Once We Were Trees, Now We Are Birds“ zu sehen sind. Kuratiert von Muhammad Salah Abdulaziz, Emrah Gökdemir, Anna Karpenko und Thibaut de Ruyter gewährt die Ausstellung zum ersten Mal einen tieferen Einblick in das Leben und die Arbeiten der Menschen, die von der Martin Roth-Initiative unterstützt werden.
Vertreibung und Neubeginn
Die Martin Roth-Initiative, ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) und des Goethe-Instituts, wurde 2017 als Reaktion auf den globalen Rückgang vorpolitischer Freiräume gegründet. Sie schützt Künstler*innen und Kulturtätige, die in ihrer Heimat nicht mehr sicher sind, und ermöglicht ihnen durch temporäre Schutzaufenthalte, ihre Arbeit weiterzuführen.
In einem der ersten Gespräche über die Ausstellung wurde ein Vogel als Metapher erwähnt, sagt Ko-Kurator Emrah Gökdemir, selbst ein ehemaliger Stipendiat der Martin Roth-Initiative – dies erinnerte ihn sofort an ein Sprichwort aus seiner Heimatstadt im Südosten der Türkei.
„Wir glauben, dass dort die Tauben singen: Oh mein Nachbar, oh Oleaster, einst waren wir Bäume, jetzt sind wir Vögel“, so Emrah Gökdemir. „In meiner Heimat meinen sie damit eigentlich Reinkarnation. Trotzdem denke ich, dass das Sprichwort gut zu dieser Ausstellung passt, denn sie handelt auch von Sehnsucht und Vertreibung, von Entwurzelung und Neubeginn in einer fremden Umgebung.“
Kunst in Wort und Bild
Das Foto „A Stone From a Distant Land“ von der türkischen Künstlerin Zeynep Güzel wurde aus dem Flugzeug aufgenommen. Durch die Wolkendecke sieht man das Lichtermeer einer Stadt. Dazu hat sie einen poetischen Text geschrieben, der ihre Gefühle beschreibt, als sie dieses Bild aufnahm: ein Text, der Verunsicherung, Verzweiflung und eine gewisse Ohnmacht ausdrückt. „Ich bin ein Stein aus einem fernen Land/ Zwischen Sein und Nichts/ Eine ganz neue Spezies/ Flüchtig/ Einem Gespenst ähnlich/ Ängstlich, Spuren zu hinterlassen/ Vielleicht ein wenig untätig/ Oder vom Regen durchweicht/ Worauf es eine Erkältung bekam/ Und nicht wieder gesund wurde.“
„Im Grunde spielt es keine Rolle, welcher Ort auf dem Foto zu sehen ist“, erklärt sie. „Es steht sinnbildlich dafür, dass man unterwegs ist, einen Platz zum Leben sucht. Vielleicht man findet man nicht genau das, was man braucht, aber gleichzeitig sagt der Ort, an dem man landet, viel über das neue Dasein der Person aus, die dort Zuflucht findet.“
Viele Plakate entfalten ihre volle Wirkung erst, wenn man sich die Zeit nimmt, Wort und Bild gleich viel Aufmerksamkeit zu schenken. Betrachtet man das Foto von Salih Gürkan Cakar, so sieht man auf den ersten Blick einen jungen Mann, der am Meer sitzt und den sonnigen Tag genießt. Im Hintergrund ist eine Insel zu erkennen. Erst der Text zum Bild offenbart, dass es sich um einen Migranten handelt, der zu Fuß aus Afghanistan in die Türkei fliehen konnte. Er befindet sich am westlichsten Punkt der türkischen Mittelmeerküste, die Insel am Horizont gehört zu Griechenland und ist für den jungen Mann unerreichbar. Der eben noch so schön anmutende Nachmittag entwickelt plötzlich eine andere Dimension und ruft beklemmende Gefühle hervor.
Kunst zum Mitnehmen
„Ich habe immer noch meinen Haustürschlüssel in der Tasche“, wird einer der teilnehmenden Künstler*innen zitiert. Dieser einfache, kurze Satz enthält so viel, was im übertragenen Sinne auch für die Werke der Ausstellung und ihrer Schöpfer*innen steht: Schmerz, Verlust und Isolation – und trotzdem schwingt oft Zuversicht und Hoffnung, auf jeden Fall aber immer Stärke und Resilienz mit.
Dass die Ausstellung als Plakatserie präsentiert wird, hat zum einen pragmatische Gründe: Auf diesem Weg konnten möglichst viele Künstler*innen und Herkunftsländer repräsentiert werden; zudem waren viele Originale gar nicht mehr verfügbar, weil sie in der alten Heimat zurückgelassen werden mussten. Zum anderen haben Plakate eine lange Geschichte als ein Medium für künstlerischen Aktivismus und Sozialkritik.
In einem separaten Raum liegen die Plakate der Ausstellung deshalb in Regalen zum Mitnehmen. „Auch das ist Teil dieses politischen Moments“, sagt Thibaut de Ruyter. „Die Ausstellung existiert zwar im Hier und Jetzt, aber ich hoffe, dass ich in ein paar Jahren vielleicht irgendwann die Wohnung eines Freundes oder einer neuen Bekannten betrete und eines dieser Plakate dort an der Wand entdecke. Auf diese Weise wird die Geschichte weitergehen.“