„Deutschland braucht Menschen wie mich“

Der Fachkräftemangel in der Pflege ist groß – Menschen wie Victor Santiago aus Brasilien sind Teil der Lösung. Sein Weg führte über das in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit vom Goethe-Institut durchgeführte Projekt „Ausbildungspartnerschaften mit Schulen in Lateinamerika” von Brasilien in die Pflegausbildung nach Deutschland. Am Goethe-Institut konnte er im Rahmen des Projekts „Fit für den deutschen Arbeitsmarkt“ bis zum Sprachniveau A2 kostenlos Deutsch lernen, die Beratungsangebote des Projekts „Vorintegration und Übergangsmanagement - den Migrationsprozess erfolgreich gestalten“ nutzen und dank der finanziellen Unterstützung seines Arbeitgebers noch weiter Deutsch lernen, bis er schließlich seine Ausbildung am Universitätsklinikum Bonn antrat.
Wie sich der Alltag in einem fremden Land gestaltet, variiert sehr. Im Interview berichtet Victor von seinem Start in Deutschland, seinen ersten Begegnungen mit Schnee, der Liebe zu Sprudelwasser – und dem Gefühl, wirklich gebraucht zu werden.
Von Emrike Knoche
Wann kam bei dir zum ersten Mal der Gedanke auf, nach Deutschland zu gehen und eine Pflegeausbildung zu machen?
Victor: Ich hatte schon immer den Traum, einmal in ein anderes Land zu gehen. Dann hat mir eine Lehrerin von dem Projekt APAL erzählt, mit dem man eine Ausbildung zur Pflegefachkraft in Deutschland machen kann. Ich habe mich sofort angemeldet und schon zwei Monate später kam die Zusage.
Hattest du vorher bestimmte Klischees über Deutschland im Kopf?
Ja, viele Leute sagen, dass Deutsche eher unfreundlich oder distanziert sind und dass das Wetter hier immer schlecht ist. Aber ich habe ganz andere Erfahrungen gemacht: Die Menschen sind freundlich, hilfsbereit – und das Wetter ist gar nicht so schlimm! Der Frühling ist wunderschön und der Sommer war dieses Jahr richtig heiß. Nichts von dem, was ich vorher gehört habe, hat sich bestätigt.
Gab es etwas, das dir in deiner Zeit in Deutschland bisher besonders gefallen hat?
In Brasilien gibt es keinen Schnee – und dieses Jahr habe ich zum ersten Mal Schnee gesehen! Außerdem finde ich toll, dass Deutschland so zentral in Europa liegt. Ich war schon in Frankreich, Luxemburg und Österreich.
Was hat dir bei der Vorbereitung auf das Leben in Deutschland am meisten geholfen?
Meine Lehrerin in der Schule, die selbst mal in Deutschland gelebt hat, hat mir viele Tipps gegeben. Und ich habe ganz viel auf TikTok geschaut – dort erzählen Leute, wie das Leben in Deutschland so ist. Außerdem habe ich an den Online-Workshops der Willkommenscoaches vom Goethe-Institut teilgenommen und einen achtmonatigen Deutschkurs in Brasilien gemacht, von A1-A2 im Rahmen des Projekts FIMA und bis B1 mit Unterstützung meines jetzigen Arbeitgebers UKB.
Wie hast du die Unterstützung durch das Goethe-Institut erlebt? Was hat dir besonders geholfen?
Die Workshops waren sehr informativ. Ich habe zum Beispiel gelernt, wie man ein Bankkonto eröffnet oder eine SIM-Karte für das Handy bekommt. Als ich dann in Deutschland ankam, war es trotzdem nicht so leicht – allein schon, eine SIM-Karte zu kaufen, war anfangs kompliziert. Zum Glück habe ich in Bonn eine Ansprechpartnerin, die uns vor Ort unterstützt.
Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei dir aus?
Ich war für einen Monat in einem Altenheim in Bonn – das war schön, aber das Krankenhaus gefällt mir noch besser. Mein Tag beginnt sehr früh: Ich stehe um vier Uhr auf und nehme den Bus. Um 6:30 Uhr ist die Schichtübergabe. Dann helfe ich beim Waschen der Patientinnen und Patienten und bei der Reinigung der Station. Außerdem unterstütze ich bei der Essensausgabe und bei der Körperpflege.
Hattest du das Gefühl, hier willkommen zu sein?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe bisher keine unfreundlichen Situationen erlebt. Im Altenheim haben mir die Menschen oft gesagt, dass sie sich freuen, dass ich da bin – und dass Deutschland Leute wie mich braucht.
Gibt es etwas typisch Deutsches, das du inzwischen übernommen hast?
Ja, ich liebe jetzt Sprudelwasser! Und Mülltrennung - wenn jemand den Müll falsch trennt, regt mich das schon ein bisschen auf. Ich gehe jetzt auch öfter wandern und genieße die Natur – das habe ich in Brasilien so nicht gemacht.
Was würdest du jemandem raten, der auch nach Deutschland kommen möchte?
Seid mutig! Versucht, so viel wie möglich Deutsch in euren Alltag einzubauen. Es ist auch wichtig, sich vorher gut über die Ausbildung und die Arbeitsweise in Deutschland zu informieren. Man muss lernen, selbstständig zu sein und sich Ziele zu setzen. Und man sollte bereit sein, sich auf Veränderungen einzulassen. Es hilft auch, eine Community aus dem eigenen Heimatland zu finden. Ich bin mit fünf brasilianischen Freundinnen und Freunden hergekommen – wir unterstützen uns gegenseitig und haben viel Spaß zusammen. Das macht das Leben leichter.