Gender-Rap
Wider die Sexismen

Leila Akinyi, Rapperin aus Köln
Leila Akinyi, Rapperin aus Köln | Melting Pot Records

Am Anfang waren die Rollen klar: Männlich knechtet weiblich. Doch je mehr sich der Gender-Diskurs differenziert, desto vielfältiger werden auch die Zuordnungen im Umfeld des deutschen Hip-Hop. Eine Szene ist in Bewegung.

Schenke man Rap-Videos Glauben, so schreiben Kiwi Menrath und Clara Völker in dem Sammelband female hiphop, hätten Frauen im Hip-Hop nichts zu sagen. Sie verbleiben stumm und passiv – Frauen handeln nicht, sie passen sich an und denken nur an die Männer, auf die sie es, aus welchen Gründen auch immer, abgesehen haben.“ Female hiphop erschien bereits im Jahr 2007, doch was Menrath und Völker diagnostizierten, gilt heute immer noch: Frauen dienen in der Bilderwelt des Hip-Hop den agierenden Männern als „Statussymbol“ und sind bestenfalls Statistinnen, die „auf ihre Sexualität und Körperlichkeit“ reduziert werden.

Gleichzeitig wäre ein solch einseitiger Befund im Gesamtpanorama heute genauso falsch, wie er es damals schon war. Genau dies belegten die beiden Autorinnen mit der Darstellung vielfältiger weiblicher Role Models von der Queen Bitch über die Conscious Sista bis zur Gangstarapperin so kontrafaktisch wie eindrucksvoll. Denn: „Man kann es drehen und wenden wie man will, die Rapszene ist und bleibt einfach ein komischer Haufen voller Ambivalenzen“ – so die queer-feministische Berliner Rapperin und Labelbetreiberin Sookee im selben Band.

Klischees und Ablehnung 

Diese Widersprüchlichkeiten prägen bis heute das öffentliche Bild von Hip-Hop, der als urbaner afroamerikanischer Musikstil so stark wie kein anderes Popmusikgenre im Kreuzfeuer der Kritik wegen seiner Sexismen stand und steht. Rap gilt als frauenverachtendes, ultramännliches Feld – gleichzeitig waren Frauen schon immer als selbstbewusste Akteurinnen in der Szene präsent. Sie wurden meist jedoch weniger stark oder höchstens als Ausnahmeerscheinungen wahrgenommen. Deutschsprachige Pionierinnen wie Cora E, Aziza A, Nina MC oder auch die für ihren Erfolg im Mainstream oftmals angefeindeten Tic Tac Toe sowie Schwester S alias Sabrina Setlur sind heute weitgehend inaktiv und eher nur noch Spezialistinnen und Spezialisten bekannt. Die seit Anfang der Neunzigerjahre erfolgreichen Beginner währenddessen haben im Sommer 2016 ein neues Album herausgebracht. Sein Titel, Advanced Chemistry, huldigt der gleichnamigen Crew – die ab Ende der Achtzigerjahre Teil der gleichen Heidelberger Szene wie Cora E war.

Spätestens seit den Nullerjahren gibt es in Deutschland verstärkte Bemühungen, Frauen im Rap sichtbarer zu machen und Genderthematiken anzusprechen: durch Plattformen wie femalehiphop.net, die Zeitschrift An Attitude, Festivals wie „Female Focus“ und „We B* Girlz“ oder öffentliche Diskussionen und wissenschaftliche Artikel. Doch auch heute noch finden sich im Internet Debatten über die Frage „Welche Rapperinnen gibt es?“ oder journalistische Beiträge mit Titeln wie „Fünf Rapperinnen, die ihr kennen solltet“ – undenkbar, dass ein männliches Geschlechtsmerkmal zu vergleichbaren Verallgemeinerungen führen könnte. Akteurinnen wie Lady Bitch Ray oder Schwesta Ewa, die ähnlich wie ihre männlichen Kollegen mit sexueller Potenz protzen, werden auf Portalen wie Youtube regelmäßig als „Schlampen“ beschimpft, hasserfüllt „zurück in die Küche“ beordert oder aufgrund ihrer türkischen beziehungsweise polnischen Wurzeln rassistisch beschimpft.

Neudeutung und Normalisierung

Doch es findet gleichzeitig auch ein Normalisierungsprozess statt. Denn je deutlicher und vielfältiger Frauen sowie Personen, die sich in kein eindeutiges Geschlechtsraster einpassen lassen wollen, ihre Präsenz im Hip-Hop markieren, desto weniger müssen sie diese legitimieren. Bewusst „krasse“ Musikerinnen wie Antifuchs rappen jetzt „nicht wie ein Frau“, sondern „wie ein Mann“, das Duo SXTN „fickt deine Mutter“ und Kitty Kat fordert ebenso wie Sido „Lutsch mein’ Schwanz“. Machistische Machtgesten werden also unabhängig vom Geschlecht angeeignet, während gleichzeitig Männer-Formationen wie K.I.Z., die ursprünglich auf dem für aggressiv-sexistischen Battle-Rap bekannten Label „Royal Bunker“ beheimatet waren, den Sexismus ihrer Texte immer stärker als Genresatire inszenieren und am Internationalen Frauentag „Women Only“-Konzerte veranstalten.

Haiyti, die mysteriöse Trap-Rapperin aus Hamburg, lässt ähnlich wie die bulgarischstämmige Hipster-Rapperin Dena („die M.I.A. aus Neukölln“), gleich alle Genderzuschreibungen hinter sich. Sie produziert einen Sound, der genauso psychedelisch verdrogt klingt wie der ihrer Kollegen, und bei dem Geschlecht kein Thema ist. Rapperinnen wie Akua Naru oder Leila Akinyi aus Köln sprechen dagegen mit der größten Selbstverständlichkeit Rassismus oder Sexismus in Verbindung mit ihrem eigenen Schwarz- und Frausein an – „Conscious-Rap“ nennt sich diese Form des Genres, deren Texte sich mit gesellschaftlichen und politischen Themen auseinandersetzen. Auch Miss Platnum und Eunique, die sich als Veteranin beziehungsweise Newcomerin im Bereich von Neosoul und Hip-Hop bewegen, machen in ihren Texten ihrem Zorn über Sexismen Luft. 

Die Rapperin Haiyti aus Hamburg

Sookees Berliner Label „Springstoff“ bemüht sich, mit einem dezidiert politischen wie auch pädagogischen Bewusstsein, nach wie vor um die niederschwellige Vermittlung von Feminismus und Antisexismus durch Musik. Es bietet dabei mit Musikern und Musikerinnen wie FaulenzA oder Msoke auch Transpersonen ein Forum, die mit ihrer selbstbewusst gelebten Identität die im Hip-Hop oft für so essenziell gehaltenen Trennlinien zwischen den Geschlechtern erodieren lassen. Dasselbe gilt für den in Berlin lebenden afroamerikanischen Experimentalrapper Black Cracker, der kunstreich über seine Transition zum Mannsein philosophiert. 

Denn nicht nur sind Frauen von jeher über den Status des schmückenden Beiwerks im HipHop hinaus. Rap ist dank unterschiedlichster Akteurinnen in einem Zeitalter angekommen, in dem die Existenz von nur zwei klar definierten Geschlechtern beständig in Frage gestellt wird – sei es durch hypersexualisierte Performances, die wie eine Maskerade funktionieren, durch Girls, die „one of the Boys“ sind und damit in Frage stellen, was Boy-Sein überhaupt ausmacht, oder durch Menschen jenseits jeglicher Gendernormen. Denn das oft als sexistisch oder homophob gescholtene erfolgreichste populäre Musikgenre ist zum Glück genau das, was seine Protagonistinnen und Protagonisten daraus machen.