Medienfreiheit in Bulgarien
Medien, Blogs und die unerreichte bulgarische Freiheit - Teil II

Der bulgarische Dichter und Politiker Edwin Sugarew
Der bulgarische Dichter und Politiker Edwin Sugarew | Foto: © Vassia Atanasova

Das letzte Jahrzehnt beweist diesen Mechanismus in vollkommen unbestreitbarer Weise, indem die Korruption zu offizieller Staatspolitik gemacht wurde.

Das Schema ist bis heute das folgende: Die staatlichen Betriebe legen ihre finanziellen Ressourcen in der Korporativen Handelsbank an, diese Bank (und personell – ihr Besitzer Zvetan Vassilev) unterstützen das Medienimperium von Iren Krasteva, in Wirklichkeit angeführt von Deljan Peevski, selbiges Medienimperium sichert der Macht ein komfortables mediales Umfeld und tut alles erdenklich mögliche, um deren politischen Gegner zu diskreditieren. So war die Situation wärend der Regierung der Dreierkoalition von BSP, NDSV und DPS (2005-2009), so war sie auch bei GERB (2009-2013), so ist sie auch jetzt bei der neuen Dreierkoalition von BSP, DPS und „Ataka“. Mit einer einzigen Neueinführung: Heute begnügt sich die verborgene Bänker-Medien-Korporation nicht mehr damit, den zu unterstützen, der an der Macht ist. Heute bringt sie selbst politische Subjekte hervor, die ihre Interessen in der Macht vertreten – „Bulgarien ohne Zensur“ des früheren Direktors von TV-7 Nikolaj Barekov ist der erste politische GMO solchen Typs.

Solch ein unverschämter Gebrauch der Medien mit korruptiven Zielen ist auch ein eigenartiger moralischer Exhibitionismus. Er ist etwas wie das Ablegen der Masken – weil die Leute sehr deutlich sehen, wie der, der am untertänigsten geschmeichelt und gedeckt worden ist, solange er an der Macht war, hinterher auf einmal von denselben Medien rücksichtslos beschimpft wird, sie haben es eilig, selbige Positionen auch bei den neuen Machthabern einzunehmen, die – hab Acht – mit Lust deren dienende Rolle annehmen. In der Situation ist es nicht verwunderlich, dass die bulgarischen Bürger – wenigstens die, die diese Bezeichnung verdienen – den bulgarischen Medien gegenüber immer misstrauischer sind und sich lieber anderen Informationsquellen anvertrauen und anderen Erklärungen glauben, warum das geschieht, was geschieht – anders als die offiziellen.

Eben diese Notwendigkeit öffnete eine Lesenische zur Entwicklung der bulgarischen Blogs. Sie kamen auf und evoluierten schnell: von Löchern, in denen jemand brüllt, Kaiser Trajan habe Ziegenhörner, bis zu wahrhaft alternativen Medien, die in einigen Fällen mehr als die offiziellen gelesen werden und in der Werteskala der äußeren Beobachter weit oben stehen. In großem Maße begründen sie ihre Autorität als Korrektiv der traditionellen Medien, sie konzentrieren ihre Botschaften auf das darin Verschwiegene, konstituieren sich als Raum der Freiheit, in dem all das ausgesprochen werden kann, worauf das Machtregime sein Omertà verhängen will. Das Recht und die Möglichkeit, all das zu sagen, was man denkt, sind berauschend und erklären das breite soziale Spektrum der aktiven Blogger; ihr Inhalt ist jedoch für ihre Leser berauschend, weil es sie mit etwas Intimem beschenkt - dem Geschmack der Wahrheit – in einer Gesellschaft, die sich auf Ersatz, Falsch und Lüge stützt.

Blogs sind ein neues Medium, insoweit diese Bezeichnung überhaupt passend ist für dieses verhältnismäßig neue Phänomen. Diesbezüglich erklärt der bulgarische Medienexperte Georgi Lozanov Folgendes: „Ich würde die Blogs selbst nicht als Medien bezeichnen. Das Internet insgesamt könnte man als neues Medium bezeichnen, Blogs bilden einen Teil davon. Blogs sind eher ein neuer Typ Journalismus, ,,in dem das professionelle Engagement nicht unbedingt von Professionalisten übernommen wird. Die Interaktivität vermischt die beiden Rollen – die des Journalisten, dem Verfasser der Mitteilung und des Publikums. Die Formel, die den Blogs zugrundeliegt und das Verständnis von Journalismus insgesamt zu verändern beginnt, ist der Journalist-Leser oder der Leser-Journalist.“

Wahr ist, dass bei Blogs die Distanz zwischen dem allwissenden Journalisten und dem unwissenden Leser verringert wird, beide bewohnen einen intimeren und dialogischeren Raum. Es ist auch wahr, dass man meistens nicht neue Medien liest, um zu erfahren, was geschehen ist, das bekommt man so in etwa auch in den traditionellen Medien mit. Man liest Blogs, wenn man erfahren will, warum dies oder jenes geschehen ist, welche Zusammenhänge und Hintergründe es hervorgerufen haben. Mit anderen Worten – wenn man die einzelnen Fakten in einen Sinnzusammenhang stellen will, was den hohen Wirkungsgrad der Blogs auf das gesellschaftliche Bewusstsein erklärt. Und es ist keineswegs zufällig, dass die meisten von ihnen als Kommentarseiten funktionieren, obwohl es in der jüngsten bulgarischen Geschichte auch Fälle gab, in denen die Blogs eine ähnliche Rolle spielten wie im arabischen Frühling: Man konnte zum Beispiel nur durch sie erfahren, was eigentlich bei den Protesten gegen die Regierung von Plamen Orescharski los war, und wann, wie und mit welchem Ziel sie geplant wurden – die meisten offiziellen Medien wimmelten von Desinformatoinen. Blogs existieren erst seit relativ kurzer Zeit, sodass es noch zu früh ist, über ihre Geschichte und  Entwicklung zu sprechen: In Bulgarien geht es eher um einen sich allmählich ausdehnenden und verdichtenden Medienraum, der seine Prioritäten, Prinzipien und Regeln zur Interaktion ad hoc festlegt. Eine Entwicklung gibt es natürlich, aber sie liegt eher auf der horizontalen Ausdehnung dieser Erscheinung als auf chronologischer Ebene: Die verschiedenen Bloggerstimmen legen sich übereinander, ergänzen sich, gewinnen Gewicht und Einfluss, arbeiten Formen der Zusammenarbeit in Krisenmomenten aus.

Der absolute Doyen im Blogschreiben war der verstorbene Alexander Bozhkov, ehemaliger Vizepremier in der Regierung von Ivan Kostov. Sein Blog „Musik für die Seele. Verschiedene Gedanken zu verschiedenen Fragen“ begann schon Ende der 90-er Jahre mit geistreichen und ironischen Texten, die er auch in Buchform herausgab, wobei er die Postings zu einzelnen Äußerungen mit aufnahm. Der Journalist Ivo Indzhev, ehemaliger Chef der BTA, später auf ausdrückliches Bestehen des Präsidenten Georgi Parvanov hin skandalös im bTV abgesetzt, unterhält den am meisten gelesenen und angesehensten persönlichen Blog, dessen Publikum seit langem sieben Millionen Besucher überschritten hat. Einige Blogs haben eine bestimmte thematische Ausrichtung, zum Beispiel der Blog „Medienrecht“ von Prof. Neli Ognjanova oder der Blog über Wirtschaft von Georgi Angelov. Andere Blogger vereinten ihre Bemühungen in gemeinsamen Blogs, wie es der Fall ist mit „Reduta“, in dem einige der interessantesten Kommentatoren in Bulgarien mitwirken. Einige der Blogs sind von professionellen Journalisten gemacht, wie etwa der populäre Blog von Ivan Bedrov, andere jeodch – zudem sehr erfolgreiche – sind von Leuten geschrieben, die nichts mit dem Journalistenberuf zu tun haben, wie die legendären Blogger Ivan Stambolov – Sula und Konstantin Pavlov – Komitata.

Ganz allgemein können wir sagen, dass das Blogschreiben ein äußerst buntes und dynamisches Bild ausformt – und gerade in seinen Umrissen können wir die Magmenfaltung wahrnehmen, die die immer noch nicht erreichte Zivilgesellschaft formt. Ich möchte hinzufügen, dass die bulgarischen Blogs spezielle Reservoire der zivilen Energie sind, die heute in Bulgarien etwas existentiell notwendiges nähren - das Gefühl, dass man so nicht mehr leben kann und darf, dass die Lüge und der Ersatz hinweggefegt, die Korruptionspraktiken unterbunden werden müssen, wenn wir das erreichen wollen, was schon seit einem viertel Jahrhundert unerreicht bleibt: die bulgarische Freiheit, die reale bulgarische Freiheit, der Glaube und die Zuversicht, dass wir selbst unser Leben in der Hand haben. Ohne sie kann Bulgarien kein realer Teilnehmer in der zivilisierten Welt sein, zu der wir historisch und geistig gehören.