Skulptur Projekte Münster 2017
Die Erfahrung von Skulptur ist nur durch die Bewegung des eigenen Körpers möglich

Alexandra Pirici - Leaking Territories.
© Henning Rogge / Skulptur Projekte Münster

Die Skulptur Projekte Münster, die alle zehn Jahre stattfinden, sind eines der wichtigsten Foren für Skulptur weltweit. Sie  wurden von Kasper König begründet, der bis heute der künstlerische Leiter ist. Dieses Jahr haben die Skulptur Projekte zum fünften Mal stattgefunden und  wurden von Britta Peters und Mariane Wagner kuratiert.

Auf Einladung von Sculpture Depository Sofia hat Britta Peters Bulgarien im September 2017, kurz vor dem  Ende der Skulptur Projekte, besucht. Während ihres Aufenthaltes hat sie Museen, Galerien und Künstler_innenstudios  besichtigt, was für sie ein erstes Treffen mit der bulgarischen Kunstszene war.  In einem  öffentlichen Vortrag im Goethe-Institut Bulgarien   sprach sie über ihre Arbeit an den Skulptur Projekten . Das folgende Interview ist eine Fortsetzung des Gesprächs über die Kunstform Skulptur heutzutage und über ihre kuratorische Praxis.
 

Britta Peters © Hubertus Huvermann Fangen wir vielleicht mit der wichtigsten Frage an: Was bedeutet eigentlich Skulptur heutzutage? Was ist Ihre eigene Auffassung  von Skulptur und  wie drückt sie sich in den Skulptur Projekten 2017 aus?

Die Auseinandersetzung mit Skulptur im weiteren Sinne spielt für die Skulptur Projekte nach wie vor eine große Rolle – der Titel wurde ja auch bewusst nie geändert. Eine ganz einfache Definition ist, dass eine Erfahrung von Skulptur nur durch die Bewegung des eigenen Körpers möglich ist. Es gibt nicht einen idealen Standpunkt, sondern unzählig viele unterschiedliche Perspektiven. In den Skulptur Projekten 2017 hatte diese Erfahrung vielfach auch mit einer Form von Entgrenzung zu tun, etwa in dem biologisch-technologischem Organismus „After ALife Ahead“ von Pierre Huyghe oder mit dem Bewusstsein um die Vergänglichkeit und Flüchtigkeit der gezeigten Werke. Letzteres betrifft vor allem die performativen Arbeiten von Alexandra Pirici oder die Gemeinschaftsarbeit „Still Untitled“ von Xavier le Roy und Scarlett Yu, aber auch beispielsweise Lara Favarettos konzeptuell geprägte Arbeit „Momentary Monument“, ein Granitblock, der gleichzeitig als Spendendose funktioniert hat und am Ende der Ausstellung geschreddert wurde.

Pierre Huyghe / Foto: Henning Rogge, © Skulptur Projekte Münster Pierre Huyghe / Foto: Henning Rogge, © Skulptur Projekte Münster Heutzutage können wir nicht so einfach die Kunst nach Gattungen aufteilen. Wo liegt z.B. die Grenze zwischen Skulptur und Objekt, Installation, Performance oder Malerei? Wie positionieren sich die Skulptur Projekte Münster in dieser Hinsicht? Geht es immer noch (nur) um Skulptur im öffentlichen Raum?

Ja, eine strenge Unterteilung nach Gattungen wird der Gegenwartskunst nicht gerecht. Nach Münster haben wir diejenigen Künstlerinnen und Künstler eingeladen, von denen wir uns aufgrund ihrer bisherigen Arbeiten interessante Vorschläge erhoffen konnten – vor allem aus dem Bereich Skulptur und im Hinblick auf den öffentlichen Raum, aber auch weil sie uns als Künstler insgesamt überzeugt haben. Auch wenn es am Ende einige Videoinstallationen zu sehen gab, waren kamerabasierte Werke dabei zunächst bewusst nicht im Fokus. Alles was mit Film zu tun hat, ist in der Regel mobil und im Hinblick auf den physischen Betrachterstandpunkt eindimensional. Mika Rottenberg und Gerard Byrne, die beide mit komplexen Video-/Audioinstallationen vertreten waren, stehen jedoch beide für einen sehr räumlichen Umgang mit filmischen Bildern. Zu dem Aspekt der Installation kommt hier jeweils ein, wenn man es so nennen will, skulpturaler Umgang mit bewegten Bildern hinzu, deshalb haben wir sie eingeladen. Wir haben das also nicht so dogmatisch gehandhabt. Ohnehin ist es interessant, dass alle in der Ausstellung gezeigten Arbeiten vom Publikum aufgrund des Titels und der Tradition der Skulptur Projekte automatisch durch die Brille des Skulpturbegriffs wahrgenommen werden. Bestimmte Aspekte, wie die Rolle des eigenen Körpers, des Materials oder das Verhältnis des Gezeigten zur Zeit, Kategorien wie Dauer oder Vergänglichkeit, werden dadurch noch einmal stärker hervorgehoben.

Barbara Wagner and Benjamin DeBurca - Bye Bye Deutschland. Liebesmelodie. © Henning Rogge / Skulptur Projekte Münster Das Format der Skulptur Projekte ist anders als bei den großen Biennalen zum Beispiel. Hier geht es nicht um eine kuratierte Ausstellung, es geht auch nicht um einen Skulpturenpark,  in welchem Skulpturen ausgestellt werden. Die Arbeiten, die in Münster dieses Jahr gezeigt wurden, sind sehr unterschiedlich oder: verschieden. Es gibt Projekte in der ganzen Stadt, an komplett unerwarteten Orten – drinnen und draußen, in einem Laden oder in einer alten Eislaufhalle; Projekte, die über mehrere Jahre laufen, sowie solche, die kaum eine Materialität haben. Erzählen Sie uns über die wichtigsten Aspekte der Skulptur Projekte 2017 und über konkrete Arbeiten.

Mit Ausnahme von Thomas Schüttes „Nuklear Temple“ sind alle Arbeiten für die Skulptur Projekte neue Produktionen. Die Ideen dazu basieren auf einer Kombination von dem, was die beteiligten Künstlerinnen und Künstler ohnehin interessiert  und ihren Besuchen vor Ort, auf Erfahrungen mit der Stadt und der durch die permanenten Installationen sichtbaren Geschichte der Skulptur Projekte. Innerhalb des kuratorischen Teams war es uns wichtig, dass das Geflecht aus künstlerischer Idee und Ortswahl einen Sinn ergibt, mehr noch, dass es geradezu zwingend und untrennbar erscheint. Auch wenn man im engeren Sinne den Begriff der Ortsspezifik auf viele Projekte nicht mehr anwenden kann, sie könnten auch an einem anderen Ort stattfinden, würden dort jedoch eine andere Gestalt annehmen. Denken Sie zum Beispiel an Mika Rottenbergs Videoinstallation in dem leerstehenden Asia-Laden: Thematisch beschäftigt sich der Film mit globalen Produktionsbedingungen, ein Thema also, das nicht Münster spezifisch ist, sondern alle Menschen überall betrifft. In der konkreten Installation in Münster geriet der Laden dann jedoch zu einem wichtigen, quasi dokumentarischen Element der Gesamtinstallation. Das lässt sich in dieser speziellen Form nicht wiederholen. 

Mika Rottenberg - Cosmis Generator © Henning Rogge / Skulptur Projekte Münster Können Sie schon sagen, was die wichtigsten Ergebnisse und Auswirkungen der Skulptur Projekte sind? Oder es ist noch zu früh?

Dafür ist es noch zu früh, erst in fünf bis zehn Jahren wird das Profil klarer. Rückblickend lassen sich für die vorangegangenen Skulptur Projekte seit 1977 bestimmte ästhetische und inhaltliche Schwerpunkte gut erkennen, aber im Moment des Machens ist man einfach zu nah dran. Auch der Bezug zu den Fragestellungen der Gegenwart tritt erst mit der fortschreitenden Zeit deutlicher hervor. 

Normalerweise kauft die Stadt Münster einige der Arbeiten von den Skulptur Projekten an und sie bleiben permanent in der Stadt. Wie wird diese Entscheidung getroffen? Ist es möglich, dass z.B. die Arbeit von Alexandra Pirici gekauft wird? Was würde das für die Stadt Münster bedeuten? Und was bedeutet es eigentlich eine Performance in einer öffentlichen Sammlung zu haben?

Die Ankaufsverhandlungen laufen noch. Wir würden uns freuen, wenn die Stadt sich entschließt, ein performatives Werk zu kaufen. Die Pflege, die Zahl und die genauen Bedingungen der Wiederaufführung werden in so einem Fall vertraglich geregelt. Das heißt, die Stadt müsste im Haushalt zum Beispiel auch Gelder für Proben einstellen. Aber auch materielle Arbeiten im öffentlichen Raum benötigen Pflege und Restauration, so gesehen unterscheidet sich dann ein performatives Werk in der Sammlung wiederum auch weniger von einer dauerhaften Installation als man es auf den ersten Blick vermutet.

Lara Favaretto / Foto: Henning Rogge, © Skulptur Projekte Münster Lara Favaretto / Foto: Henning Rogge, © Skulptur Projekte Münster Der öffentliche Raum ist vor allem ein Spannungsfeld – der Raum,  in dem sich die Interessen unterschiedlichster Gruppen  treffen. Er ist aber auch ein gemeinsamer Raum. Was ist die Rolle der Kunst hier? Welche Stelle hat die Kunst im öffentlichen Raum und was bedeutet überhaupt „Kunst im öffentlichen Raum“? Wie finden die Skulptur Projekte das Gleichgewicht in diesem Spannungsfeld? Geht es nicht (zu) oft um Kompromisse?

Die Geschichte der Skulptur Projekte begann in den 1970er Jahren mit einem handfesten Streit um eine moderne Skulptur (Drei rotierende Quadrate von George Rickey), die der Stadt geschenkt worden war. Als Antwort auf diesen Konflikt war die Ausstellung der Versuch ein breites Publikum mit Skulptur im Stadtraum in Berührung zu bringen, gewissermaßen als Aufklärung, worum es in der modernen Kunst überhaupt geht. 1987 war die Ausstellung dann immer noch sehr umstritten, erst 1997 hat die Stadt den Wert der Skulptur Projekte für sich entdeckt. Heute besitzt Münster in Sachen Kunst im öffentlichen Raum eine lange Tradition und ist insofern ein Sonderfall. Die Stadt freut sich auf die Ausstellung, sie wird regelrecht umarmt. Das ist nicht unproblematisch, macht aber auch vieles möglich. Darüber hinaus ist die Stadt sehr wohlhabend, akademisch und homogen. Interessenkonflikte, wie man sie aus anderen und größeren Städten kennt, sind insgesamt weniger präsent.

Warum überhaupt Kunst im öffentlichen Raum?

Es gibt Kunstwerke, die das Museum brauchen, aber es gibt auch sehr viel Kunst, die durch die Bedingungen des öffentlichen Raums sehr interessante, auf das Alltagsleben bezogene Dimensionen hinzugewinnt. Einmal abgesehen von den naheliegenden guten Gründen, die in der demokratischen Natur der Ausstellung liegen, wie kostenlose Teilhabe für alle und die Möglichkeit den städtischen Raum als Gemeinschaft einmal anders zu erfahren, weil es bei einer Ausstellung nicht darum geht etwas zu kaufen oder zu verkaufen.  

Was passiert mit den Arbeiten nach  Beendigung der Skulptur Projekte? Was passiert z.B. mit der riesigen Arbeit von Pierre Huyghe?

Die Ausstellung selber ist immer temporär angelegt und mit Ausnahme von Oskar Tuazons Betonskulptur „Firebuilding (Burn the Formwork)“ bereits komplett zurückgebaut. Das Schöne ist, dass die Werke von 2017 in der Erinnerung präsent bleiben. Schon jetzt begegnen Besuchern, die mehrere Ausstellungen gesehen haben, immer wieder Geister der Vergangenheit. Eine abgebaute Installation kann so gegenwärtig sein, dass man an bestimmten Stellen in der Stadt nicht vorbeigehen kann, ohne an sie zu denken.