Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Ani Vaseva im Gespräch
Der Hoffmann-Effekt

„Hoffmann“ - Zweisprachige Theateraufführung von „Metheor“
Foto: © Zafer Galibov

Ani Vaseva ist Theaterregisseurin und Autorin von Theaterstücken, kritischen und theoretischen Texten zum Theater und Tanz. Sie zählt zu den Mitgründern von „Metheor“ – eine Gruppe gleichgesinnter Kunstmacher, die sich mit künstlerischen und kritischen Texten, sowie Ausdrucksformen auf dem Gebiet der szenischen und visuellen Kunst auseinandersetzt. Die Gruppe beschreibt ihre künstlerische Arbeit als „Theater der Unordnung“, „unmenschliches Theater“ und „Theateroratorium“. Ihre zweisprachige Theateraufführung „Hoffmann“ ist dem Leben und Werk von E.T.A. Hoffmann gewidmet. Die nächsten Aufführungen finden im Oktober und November im Goethe-Institut Bulgarien statt.

Von Georgi Dermendzhiev

Die Theateraufführung nach Texten von Hoffmann ist eine Fortsetzung Ihrer Beschäftigung mit dem Mischformat Lecture-Performance. Leben und Werk von Hoffmann erscheinen dabei als eine Einheit miteinander verflochten. Gibt uns die Kenntnis biographischer Einzelheiten über den Dichter den Schlüssel zum besseren Verständnis seiner Werke? Was hat Sie in der Biographie von Hoffman besonders beeindruckt?
 
Die Aufführung ist nach der Struktur eines der Werke von Hoffmann aufgebaut – des Märchens „Der goldne Topf“, das in „Vigilien“ aufgeteilt ist. Die Vigilie, das Wachen, ist eng mit Hoffmanns Leben verbunden, der viele schlaflose Nächte verbracht hat, arbeitend, durch die Stadt streifend oder einfach Wein trinkend. Und Hoffmanns Werk hängt selbstverständlich mit seinem Leben zusammen – sein ganzes Lebensdrama, seine Misserfolge, seine Frustrationen sind darin zu finden sowie seine Phantasien über eine Welt, die mehr als die vorhandene ist, eine Welt, in der das Außergewöhnliche (manchmal doch) das Mittelmäßige zu besiegen vermag.

Ihrer Theateraufführung liegen drei Werke von Hoffman zugrunde – die Novelle „Der Sandmann“ sowie die Kunstmärchen „Der goldne Topf“ und „Klein Zaches genannt Zinnober“. Warum haben Sie gerade diese Werke gewählt und wo sehen Sie die Berührungspunkte zwischen ihnen?
 
Alle drei Texte enthalten ein für Hoffmann zentrales Thema – die Spannung zwischen der Darstellung des Lebens, wie es sein soll, außergewöhnlich, märchenhaft, eine Welt des Unmöglichen einerseits, und der Darstellung des Lebens, wie es am häufigsten ist, grob, hässlich, grausam andererseits. „Der goldne Topf“ ist das poetischste, das schönste Werk von Hoffmann. Für mich ist es auch das interessanteste in literarischer Hinsicht. Die Dynamik in der Erzählung, die Ironie, die ständigen Wenden im Denken, im Sujet, im Stil; das Spiel mit der Sprache, mit der Handlung, mit dem Paradoxon: alle diese Elemente werden nicht nur meisterhaft eingesetzt, jedes einmal angewandte Prinzip wird dann untergraben, was die Neugierde zuspitzt und das Vergnügen beim Lesen steigert.

Gemeinsam für die drei Erzählungen ist auch die Zwiespältigkeit der Gestalt von Hoffmann selbst, der als schöner, geistreicher (aber schwerfälliger und oft anspruchsvoller) Student erscheint und gleichzeitig als hässlicher, buckliger Zwerg. Hoffmann selbst unterstützte gern sein Image als Friedensstörer, als Clown, als Provokateur. Er amüsierte sich, die anderen und sich selbst mit der Übertreibung seiner unangenehmen Züge zu schockieren. Das Vergnügen wird dabei verdoppelt – einerseits wird das Hässliche bei den anderen dargestellt und ihnen dreifach gesteigert präsentiert, andererseits wagt er es aber auch sich selbst vollkommen bloßzustellen. "MAELSTRÖM", audiovisuelle immersive Installation von Metheor Foto: © Metheor In Hoffmanns Texten fließen das Alltägliche und das Phantastische ineinander, zuweilen verwandeln sich das Unerklärliche und Paradoxe plötzlich in etwas Normales, Alltägliches, dessen Helden nicht in eine, sondern in zwei „Fallen“ geraten zu sein scheinen – in die des Wahnsinns und in die der Normalität, ohne sicher zu sein, in welcher sie sich gerade befinden. In der Verflechtung von Natürlichem und Unnatürlichem, beruht darauf der „Hoffmann-Effekt“?
 
Die Normalisierung des Ungewöhnlichen ist ein grundlegender Zug in Hoffmans Werken und dies ist besonders erkennbar im „Goldnen Topf“ und „Zaches“. Diese Normalisierung setzt aber das Ungewöhnliche nicht herab, im Gegenteil – die Grenzen des Zulässigen verwischen sich so sehr, dass das Zauberhafte als natürlicher Teil des Lebens erscheint. Somit verteidigt Hoffmanns Literatur (und zwar auf spektakuläre Art und Weise) das Existenzrecht des Magischen, auch wenn die Ereignisse eine tragische Entwicklung nehmen mögen. Bei Hoffmann ist es nicht wichtig, ob man die ungewöhnlichen Ereignisse als Illusion liest, die durch ein fieberhaftes Bewusstsein oder durch Übereinstimmungen verursacht wird, oder als wahren Zauber – beide Lesarten sind absolut möglich und wirken bzw. werden gleichzeitig verwirklicht.
 
Hoffmanns Werke strahlen die visuelle Dichte kinematographischer Darstellungen aus. Häufig gibt Hoffmann dem Leser keinerlei Erklärungen zu Elementen der Geschichte und der Text passiert vor den Augen des Lesenden als einzelne Filmszenen. Auf der Bühne existieren Ihre Figuren auch als multimediale Bilder. War diese Entscheidung im Voraus so geplant, oder wurde sie bei der Arbeit an der Aufführung getroffen?
 
Nach Hoffmanns Texten existieren zahlreiche Ballett- und Opernwerke, Verfilmungen sind jedoch eher selten und gewöhnlich weit entfernt von der literarischen Grundlage. Dies liegt wohl daran, dass in Hoffmanns Literatur eine besonders wichtige Rolle das Unvorstellbare spielt. Deshalb ist Hoffmann auch für das Theater so schwer anzupassen – wenn die Figuren seiner Werke anschaulich dargestellt werden, wird man des riesigen Reichtums an Vorstellungsvarianten beraubt, die man beim Lesen selbst ergänzen kann. Die von der Kamera aufgenommenen Momentdarstellungen (häufig der Schauspieler selbst) und die gleichzeitige Reproduktion auf der Bühne in entstellter Form sind verbunden mit Themen und Motiven aus Hoffmans Werk wie Doppelgänger, Zerrspiegel, der eigene Schatten, der gleichsam aus dem Hinterhalt lauert. Die Apparate von Stefan Dontchev ermöglichen Flexibilität bei der Verdoppelung desjenigen, was man als etwas widerspruchslos Reales vor sich sieht, d.h. sie erlauben letztendlich das Gefühl für Realität selbst zu sabotieren.
 
Obwohl die Aufführung zweisprachig ist, entsteht beim Zuschauer das Gefühl einer Einheit der Sprachen Bulgarisch und Deutsch. Wie erreicht man diese Ganzheitlichkeit und Unteilbarkeit der zwei so verschiedenen Sprachen, welchen Regeln sind sie bei der Strukturierung des Textes gefolgt?
 
Am Anfang hatten wir vor, nur einen, höchstens zwei Auszüge von Hoffmann in deutscher Sprache aufzunehmen, damit die Poetik der Sprache im Original erklingen kann. Allmählich kam es aber dazu, dass beide Sprachen gleichwertig in der Aufführung verwendet werden. Dies führte zu einem intensiven Sprachtraining mit der exzellenten Fachfrau und Pädagogin Venceslava Dikova, das während der ganzen Zeit der Proben durchgeführt wurde. Wir wollten, dass die Aufführung gleichwertig in beiden Sprachen wahrgenommen werden kann. Viele der Texte sind auf Deutsch und auf Bulgarisch nicht identisch, was einen höheren Grad an Kompliziertheit und Einbildungsvermögen voraussetzt, damit der Text voranschreitet und doch verständlich bleibt, aber zugleich auch das Spiel mit den Sprüngen und den Nichtübereinstimmungen im Text in den zwei Sprachen möglich ist.

Top