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100 Jahre Bauhaus
Eine Seuche namens Bauhaus

Walter Gropius: Fagus-Werk, 1913
Walter Gropius: Fagus-Werk, 1913 | © Carsten Jansse. CC BY-SA 2.0 de

Wenn man irgendwo „Bauhaus“ hört, denken die meisten von uns auf relativ neutrale Art und Weise an einen Großhandel für Baustoffe. In der Zwischenkriegszeit weckte dieses Wort allerdings, vor allem im deutsch-tschechischen Grenzgebiet, große Emotionen: Bewunderung und Hass.

Von Martin Krsek

Bei den Leisten fing es an

Eines der früh umgesetzten Projekte von Walter Gropius, dem ersten Direktor des Bauhauses, war eine Schuhleistenfabrik, das sogenannte „Fagus-Werk“ in Alfeld, das von 1911 bis 1916 erbaut wurde. Architekturhistoriker bezeichnen es als das erste wirklich moderne Bauwerk in der Geschichte. Glasfassaden, Flachdach, eine flexible Innengestaltung möglich durch eine Skelettkonstruktion aus Stahlbeton – schon damals bestimmte der Architekt deutlich die Richtung für die Weiterentwicklung des Bauwesens.
 
In der Tschechoslowakei trat Gropius erstmals am 17. Februar 1922 in Liberec (Reichenberg) auf. Im Saal des ehemaligen Gasthofs „Reichenberger Hof", dem heutigen Theater „Naivní divadlo“, skizzierte der berühmte Architekt seine Vision von der Verbindung künstlerischen Schaffens mit dem Handwerk. Ein zweites Mal machte er sich für den „Zweiten deutschen Baumeistertag“ hinter die tschechische Grenze auf, der von der Ständigen Delegation der deutschen Baumeister in der Tschechoslowakischen Republik organisiert wurde. In diesem Rahmen hielt er am 4. Juli 1924 in der Turnhalle des Deutschen Turnvereins in Aussig einen Vortrag. Gropius wurde damals von seinen Gastgebern sehr geschätzt – damit sein Vortrag pünktlich beginnen konnte, musste der Vorredner seinen Beitrag aus dem Programm streichen und auf den zweiten Tag verlegen.
 
Gropius Vortrag „Grundlagen für neues Bauen“ appellierte daran, Gebäude ähnlich zu rationalisieren wie Produkte in der Industrie. Der gesamte Saal folgte der Präsentation des bekannten Architekten mit großem Interesse. Dennoch waren seine an die überwiegend traditionell bauenden Architekten gerichteten Sticheleien nicht immer angenehm: „Die Kunst des Bauens versank in einer schwächlich sentimentalen, ästhetisch-dekorativen Auffassung. [...] Der Bau wurde ein Träger äußerlicher, toter Schmuckformen, anstatt ein lebendiger Organismus zu sein. [...] Dieses Bauen lehnen wir ab. Wir wollen den klaren organischen Bauleib schaffen, nackt und strahlend aus innerem Gesetz heraus ohne Lügen und Verspieltheiten, der unsere Welt der Maschinen, Drähte, und Schnellfahrzeuge bejaht, der seinen Sinn und Zweck aus sich selbst heraus durch die Spannung seiner Baumassen zueinander funktionell verdeutlicht und alles Entbehrliche abstößt, das die absolute Gestalt des Baues verschleiert.“ 
 
  • Bauhaus in Dessau (Aussschnitt) Foto DaveMBarb CC BY-NC 2.0
    Bauhaus in Dessau, Teilansicht
  • Bauhaus in Dessau (Aussschnitt) © Foto Maarten Dirkse, CC BY 2.0
    Bauhaus in Dessau

Welche Spuren hinterließ er mit seinem Vortrag bei den Zuhörern? Das wird am besten an den in den Folgejahren realisierten Bauten ersichtlich. Die erste Umsetzung des Bauhaus-Gedankens bzw. der Neuen Sachlichkeit in Nordböhmen war die Villa von Franz Heller, einem Kaffeehändler und Kunstliebhaber aus Aussig, in der heutigen Churchill-Straße. Hierbei kam die Inspiration zur Weiterentwicklung allerdings nicht durch Gropius’ Besuch, sondern als direkter Import aus Deutschland – mit dem Architekten Hans Richter aus Dresden. Der gebürtige Nordböhme war ein bedeutender Wegbereiter von Gropius’ Idee in Sachsen – der Entwurf für die Hellersche Villa stammte bereits aus dem Jahr 1923.

Das erste Flachdach war ein Reinfall

Als Echo auf die flammende Rede des Bauhaus-Direktors lassen sich noch weitere zwei Gebäude in Aussig bezeichnen. Beide wurden 1927 entworfen, im Folgejahr fertiggestellt und entstanden auf den Reißbrettern von lokalen Architekten, die den Vortrag von Gropius im Jahr 1924 fast mit Sicherheit persönlich angehört hatten. Diese beiden Gebäude brachten ein neues, ungewöhnliches Element in den öffentlichen Raum der nordböhmischen Metropole – das Flachdach.
 
Der Initiator des ersten Baus war Viktor Ratka, ein Musiker am städtischen Theater, der ein dreistöckiges Haus im Stadtviertel Klíše (Kleische) erbaute. Er hatte dabei einen Bau modernster Architektur im Sinn. Ein Walmdach im Stil des amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright, welches beim bereits erwähnten Haus von Franz Heller verwendet wurde, lehnte er ab und setzte eine komplett flache Vollendung des Baus durch. Sein Haus erhielt dadurch ein individuelles Aussehen, das neben den historischen Villen in der Nachbarschaft jedoch wie ein frisch gelandetes UFO gewirkt haben muss.
 
Der Musiker Viktor Ratka korrigierte die Baupläne des örtlichen Baumeisters nicht nur wesentlich im Bauhaus-Stil, sondern leitete auch selbst sämtliche Bauarbeiten. Dies lohnte sich für ihn allerdings nicht. Die Betonplatte des Dachs fing bald wegen der schlechten technischen Bauleitung an einzusinken und so verkaufte Ratka das beschädigte Haus nach gerade einmal einem Jahr nach Fertigstellung recht günstig …

Das Haus von Viktor Ratka in Aussig, 1927 Das Haus von Viktor Ratka in Aussig, 1927 | © Archiv des Autors Die neuen Eigentümer sicherten zwar den statischen Zustand des Betondachs; die städtische Amtskommission, die für den modernen Bau offensichtlich eine spürbare Abneigung empfand, empfahl trotzdem, das Dach komplett umzubauen – als klassisches Holzdach. Damals widersetzen sich die Eigentümer des Hauses noch dem konservativ geprägten Druck. Dennoch wurde die Einzigartigkeit des Hauses bedauerlicherweise durch eine Serie rücksichtsloser Umbauten bis in die jüngste Vergangenheit ausradiert.

Eine moderne Wohnsiedlung – und dann nichts mehr

Der zweite Bau stammt aus der Feder des Aussiger Stadtarchitekten Franz Josef Arnold.  Er plante anfangs Gebäude im neoklassizistischen Stil, aber im Jahr 1927 änderte sich sein Zugang zugunsten einer abstrahierten Auffassung im Stil der Neuen Sachlichkeit.
 
Die erste sichtbare Erscheinung dieses Trends war eine Wohnsiedlung mit städtischen Häusern in Kleische. Auch diese haben Flachdächer und stellen wiederum die erste wirkliche Wohnsiedlung im Stil einer Gartenstadt dar. Signifikant ist auch, dass das Projekt durch die politisch linksgerichtete, durch die Deutsche Sozialdemokratische Partei in der Tschechoslowakei angeführte Stadtverwaltung realisiert wurde.
 
Fünf Jahre danach beeindruckten derselbe Architekt und derselbe Investor mit dem Projekt der „S-Häuser“ in Kleische. Dazu gehörten 208 Sozialwohnungen, die sich u. a. durch zwei parallel verlaufende Laubenganghaus-Blöcke, die durch ihre Konturen aus der Vogelperspektive eben wie ein „S“ aussahen, optisch abhoben.
 
Allerdings wich ähnlich wie in den deutschen Ländern auch im tschechischen Grenzgebiet unter dem stärker werdenden Einfluss der Nationalsozialisten die linke Avantgarde der Architektur einer neuen Welle des monumentalen Neoklassizismus aus dem Deutschen Reich. Wie vorher die Werke von Gropius erregte dieser nun die Aufmerksamkeit der lokalen Auftraggeber und die Schöpfer von Bauten dieser Art wurden zu Berühmtheiten unter Hitler - wie Albert Speer oder Paul Bonatz. Franz Josef Arnold, der progressive Architekt von Aussig, entwarf noch im Jahr 1937 das Gebäude der städtischen Sparkasse für die sozialdemokratischen Stadträte. Dieses wurde jedoch bereits bei der Eröffnung im Jahr 1939 von den neuen Machthabern als (r)echter Repräsentant der nationalsozialistischen Architektur bezeichnet. Die Gedanken des Bauhauses bekamen für lange Jahre den Stempel einer linken „Seuche“, die die aus den klassischen Mustern entstandene Architektur zerstört.  
 
  • Franz Josef Arnold, S-Häuser, 1931-1933 © Archiv des Autors
    Franz Josef Arnold, S-Häuser, 1931-1933
  • Franz Josef Arnold, Gartensiedlung in Aussig,1933 © Archiv des Autors
    Franz Josef Arnold, Gartensiedlung in Aussig,1933

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