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Goethes Dialog mit der Chemie

Goethe und Schiller
Goethe und Schiller | Goethe-Institut e.V. (über PANTHERMEDIA)

Was haben Koffein, das Feuerzeug und Seitensprünge entlang einer chemischen Reaktion mit Johann Wolfgang von Goethe zu tun? Sie denken, nichts? Nun, Sie wissen doch, dass letztlich alles mit ihm in Verbindung steht! So verwendete Goethe Zeit seines Lebens nicht nur die Sprache der Poesie und Politik, sondern auch die der Chemie. Und oftmals versteckte er diese gekonnt auch in seinen berühmtesten literarischen Werken ...
 

Von Radek Chalupa und Karel Nesměrák

Roter Leu und weiße Lilie

„Da ward ein roter Leu, ein kühner Freier, / Im lauen Bad der Lilie vermählt, / Und beide dann mit offnem Flammenfeuer / Aus einem Brautgemach ins andere gequält.“ Wenn Goethe in seinem Faust die Hochzeit vom roten Leu mit der weißen Lilie schildert, so beschreibt er tatsächlich den Ablauf der chemischen Reaktion von Quecksilberoxid (der rote Leu) mit Ammoniumchlorid (die weiße Lilie) im völlig Trockenen unter intensivem Glühen. Die Wortwahl zeugt zudem von seiner hervorragenden Kenntnis der Allegorien und Decknamen, die typisch sind für die klassische Sprache der Alchemie. Die Verse betätigen also in erster Linie die Tiefe seiner Begeisterung für Alchemie und Chemie, zu der er sich auch in seiner Autobiografie Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit bekennt. Die Schaffung eines künstlichen Menschen, des Homunculus, an einer anderen Stelle des Faust wiederum bezeugt das Echo von Erfolgen in der Chemie zu Goethes Zeit, konkret Wöhlers Entdeckung der Möglichkeit, organische Stoffe zu synthetisieren. Ansonsten ist die gute Kenntnis dieser Naturwissenschaft und ihrer Geschichte einer der Schlüssel zum Verständnis des gesamten Werkes. So gilt der Faust auch als Ausdruck von Goethes Blick auf die Entwicklung der Chemie.
 
  • Quecksilberoxid (der rote Leu) W. Oelen, Foto CC BY-SA 3.0
    Quecksilberoxid (der rote Leu)
  • Ammoniumchlorid (die weiße Lilie) Foto: Petrovskyz, CC BY-SA 4.0
    Ammoniumchlorid (die weiße Lilie)
In einem weiteren Werk Goethes, dem in seiner Zeit berühmten Roman Die Wahlverwandtschaften, kommt nicht nur der Titel aus der Chemie. Der Autor bezieht die theoretische Chemie auch direkt in die Handlung ein. Seine Protagonisten Eduard, Charlotte, Otto und Ottilie verbringen nicht nur ihre Freizeit mit dem Studium der Chemie, auch entfacht der Autor erotische Spannung zwischen ihnen auf Grundlage ihrer geliebten Wissenschaft. Die entstehende eheliche Untreue spielt sich nämlich voll und ganz im Einklang mit dem damals neu entstandenen chemischen Begriff der Wahlverwandtschaft ab (in der modernen Chemie wird der Begriff der Affinität verwendet). Die Ähnlichkeit zwischen chemischen Reaktionen und den Gefühlen der Romanprotagonisten wird bis auf die mikrostrukturelle Ebene des Romans vorangetrieben. Die Vorbestimmtheit des entstehenden Liebesquartettes zum Misserfolg können Chemiker auch mehr als zweihundert Jahre später leicht mit einem einfachen Laborversuch beweisen.

Wahlverwandschaften Wahlverwandschaften | © Radek Chalupa, Karel Nesměrák „Chemie ist immer noch meine heimliche Liebe“

Diese Worte schrieb der Dichter in einem Brief vom 26. August 1770 adressiert an seine Freundin Susann Katharina von Klettenberg. Den Weg zur Chemie eröffnete ihm paradoxerweise eine lange Krankheit im Jahre 1768, während der ihm sein Arzt Dr. Johann Friedrich Metz nicht nur alchemistische Medizin verabreichte, sondern ihm gleichzeitig als ergänzende Therapie die Lektüre von alchemistisch-chemischer Literatur vorschlug. Der Patient erfreute sich baldiger Genesung und begann sich auch aktiv mit chemischen Experimenten auseinanderzusetzen. Sein Interesse vertieften anschließend universitäre Vorlesungen in der Chemie, die er während seines Jurastudiums in Straßburg besuchte. In den bereits erwähnten Erinnerungen schreibt er in diesem Zusammenhang, dass er, sofern es um die Chemie ginge, sich vorgenommen habe, „sehr fleißig zu sein“.
 
Die Chemie begleitete Goethe auch während seiner gesamten Weimarer Zeit, eigentlich bis an das Ende seines Lebens. Der Dichter und Staatsmann suchte hier mit Vorliebe die Gesellschaft von Chemikern und unterstützte in jeglicher Hinsicht die sich rasant entwickelnde Wissenschaft. Wie seine Tagebucheinträge zeigen, nutzte er seine Kenntnisse der Chemie auch zur Stärkung seines eigenen gesellschaftlichen Ansehens. So führte er beispielsweise im April 1808 der Weimarer Elite in seinem Haus über drei Tage die funkelnagelneue Isolation von Natrium und Kalium durch Elektrolyse vor. Gleich am ersten Abend erschien der Herzog selbst und hielt sich, wie Goethe in seinem Tagebuch bemerkte, „bis nach zehn Uhr auf“.

Goethe inspiriert

Goethe stand gleichzeitig hinter der Emanzipation der Chemie an der Jenaer Universität und der Schaffung herausragender materieller Bedingungen für deren Lehre, die eine Reihe bedeutender Entdeckungen ermöglichten. Einer von Goethes großzügig unterstützten Chemikern, Johann W. Döbereiner, entdeckte u. a. die Rolle von Platin als Katalysator und erfand auf Grundlage dessen das bis heute benutzte Feuerzeug. Gleichzeitig begann er mit der Lehre in Klassen und wurde so zu einem wichtigen Vorgänger des Mendelejewschen Periodensystem der Elemente. Dank Friedlieb F. Runge, eines Studenten Döbereiners, gilt Goethe auch als Mitentdecker des populären Alkaloides mit dem Namen Koffein.
 
Der Chemie widmete sich Goethe auch während seiner häufigen Kuraufenthalte im Königreich Böhmen. Der Dichter verbrachte hier während seiner 17 Besuche insgesamt dreieinhalb Jahre seines Lebens. Neben den Heilkuren und dem gesellschaftlichen Leben widmete er sich auch seinen mineralogischen und geologischen Vorlieben, beiden in Verbindung mit der Chemie. Aus Goethes erhaltener Korrespondenz geht zudem hervor, dass er von Jenaer Chemikern verschiedene Mineralwässer aus Westböhmen analysieren ließ, ebenso wie in Böhmen aufgefundene Mineralien. Auch fand in Cheb ein Treffen zwischen Goethe und dem bedeutenden schwedischen Chemiker Berzelius statt. Dabei diskutierten sie nicht nur den vulkanischen Ursprung des unweiten Kammerbühls (Komorní hůrka), sondern untersuchten auch Minieralien aus Goethes Privatsammlung. Berzelius machte Goethe dabei mit dem Lötrohr bekannt, dem berühmtesten chemisch-analytischen Gerät überhaupt. Und nach den Erinnerungen des gefeierten Chemikers bedauerte der Dichter es zutiefst, dass ihn sein Alter daran hinderte, den Gebrauch dieses Gerätes zu erlernen.

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