Im Gespräch mit
Uli Westphal

ULI WESTPHAL: "Ausgezeichnet"
© Uli Westphal

Der deutsche Künstler Uli Westphal beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit der menschlichen Wahrnehmung, Darstellung und Transformation der natürlichen Umwelt. Seit einigen Jahren beschäftigen ihn vor allem die Transformationen der Natur, die auf den Einfluss der Lebensmittelindustrie zurückgehen.

IG: Ihr Hauptwerk befasst sich mit der Wahrnehmung, Darstellung und Transformation von Lebensmitteln durch den Menschen. Ist es eher die Faszination, die sie treibt, oder die Sorge darum, was der Mensch mit der Natur anstellt?

UW: Mich treibt beides an, jedoch steht die Faszination für die Natur und den Menschen an erster Stelle. Die Sorge um beide ist wohl eher eine Folgeerscheinung, die entsteht, wenn man sich tiefer mit unserem heutigen Lebensmittelsystem beschäftigt.

IG: Gab es ein Schlüsselerlebnis in ihrer Vergangenheit, dass Sie dazu bewegt hat, sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu beschäftigen?

UW: Viele meiner Arbeiten sind beeinflusst durch Erlebnisse aus meiner Kindheit. Ich bin aufgewachsen in einem großen Garten, zwischen vielen Tieren. Naturwissenschaften hatten in unserer Familie eine besondere Bedeutung. Meine Großeltern waren Sammler und ihr Haus glich einer Wunderkammer. Meine erste künstlerische Arbeit war ein lebensgroßes Modell eines Blauwals, das ich baute um das Größen-Verhältnis zwischen Mensch und diesem Tier zu verstehen. Mit Lebensmitteln beschäftige ich mich, seitdem ich auf einem Berliner Wochenmarkt unter anderem einer fünfköpfigen Aubergine begegnet bin. Ich war zunächst vor allem von deren Form fasziniert, jedoch kamen auch schnell Fragen auf: Warum sieht das Gemüse, was ich aus dem Supermarkt kenne, so extrem gleichförmig aus, und warum gibt es hier auf dem Markt so eine außergewöhnliche Formenvielfalt?

IG: Seit einigen Jahren ist ein gesunder Lifestyle regelrecht Trend geworden. Viele Menschen achten auf bewusste Ernährung, Vermeidung von Müll und Konsum. Verschwendung von Ressourcen und Lebensmitteln sind dabei ein großes Thema. Was glauben Sie, hat sich verändert und warum wird der Gesellschaft erst jetzt klar, dass sie ihr Verhalten ändern muss?

UW: Ich verfolge die Veränderungen in unserem Umgang mit Nahrungsmitteln bewusst seit etwa 10 Jahren. Ich denke, dass in dieser Zeit Soziale Medien und Online Kampagnen eine große Rolle dabei gespielt haben, eine breite Masse von Menschen auf die Missstände in unserem Lebensmittelsystem aufmerksam zu machen und deren globale Zusammenhänge zu verstehen. Dokumentarfilme wie We Feed the World, Food INC und Taste the Waste haben ebenfalls viele Menschen bewegt und sogar auch Handeln in der Politik angestoßen.

Dass wir unser Verhalten im Umgang mit der Umwelt ändern müssen, ist schon lange deutlich und Umweltaktivismus ist keine neue Erscheinung. Allerdings spüren viele erst jetzt konkrete Konsequenzen aus vielen Jahrzehnten Missmanagement. Ressourcen wie Öl, Wasser und Phosphor werden knapp. Antibiotika und Pestizide verlieren ihre Wirkung. Der Klimawandel ist nun deutlich spürbar.

IG: Die Artwall Gallery in Prag arbeitet im Zuge ihrer Ausstellung Vynikající mit der Initiative „Zachraň jídlo“ zusammen. Diese versucht durch Aktionen und Aufklärungsarbeit die Menschen auf den Verschwendungswahn der Konsumgesellschaft aufmerksam zu machen. Sehen Sie ihre Arbeit auch als ein Mittel zur Aufklärung und Sensibilisierung?

UW: Ich denke schon. Die Bilder sind visuelle Anziehungspunkte und oft Auslöser dafür sich überhaupt mit Themen wie Lebensmittelverschwendung und dem Verschwinden von Biodiversität in der Landwirtschaft auseinander zu setzten. Die Bilder sind weltweit in vielen Ausstellungen, Zeitschriften und Büchern erschienen und haben sich viral im Internet verbreitet. Sie wurden bei verschiedenen Kampagnen gegen Lebensmittelverschwendung eingesetzt, wie zum Beispiel 2013 bei einem Feeding 5K Event in Sydney, bei dem 5000 Besucher mit Lebensmitteln bekocht wurden, die normalerweise auf dem Müll gelandet wären.

IG: Ihre Fotografien zeigen Obst und Gemüse, welches wir in unseren Supermärkten in diesen Formen schon lange nicht mehr finden. Achten Sie bei ihrem Konsumverhalten auf Nachhaltigkeit und Umwelt?

UW: Ich kaufe wenn immer möglich auf Wochenmärkten ein. Durch den direkteren Bezug zu den Lebensmittel-Händlern hat man Einfluss darauf, was angeboten wird. Man kann hier direkt kleine Händler und regionale Bauern unterstützen und fördert damit gleichzeitig auch Formenvielfalt und Biodiversität in der Landwirtschaft. Und wenn man seine eigenen Beutel mitbringt, lassen sich hier auch Plastikverpackungen komplett vermeiden.
 

  • Okurka © Uli Westphal
  • Paprika © Uli Westphal
  • Aubergine © Uli Westphal
  • Pflaume © Uli Westphal


IG: Würden Sie sagen, dass Ihre Arbeiten politisch sind? Und wenn ja/nein, ist es in Ihrem Sinne?

UW: Ich reagiere mit meinen Arbeiten auf zeitgenössische Umstände, Entwicklungen und Phänomene. Meine Arbeiten haben dadurch oft auch eine politische Komponente und das ist gut so. Ich versuche jedoch selbst eher eine objektive Beobachterrolle zu behalten und Dinge so zu betrachten, als hätte ich sie nie zuvor gesehen, etwa so wie ein Außerirdischer unsere Welt betrachten würde. Oft offenbart sich durch diesen Abstand erst die Absurdität vieler alltäglicher Handlungen und Systeme.

IG: Stellen Sie zum ersten Mal in Prag aus? Wenn ja, denken Sie, dass es hier eine Öffentlichkeit für diese Thematik gibt?

UW: Ja, dies ist meine erste Ausstellung in Prag. Das Thema der Ausstellung, kommerzielle / kosmetische Marktnormen für Obst und Gemüse und dadurch verursachte Lebensmittelverschwendung, ist ein Phänomen, das in so gut wie jedem Land mit industrialisierter Landwirtschaft vorkommt. In Prag ist dieses Thema vor allem durch die Arbeit der Zachraň jídlo Gruppe bereits ins Bewusstsein vieler Menschen gebracht worden. Wir hoffen, über die Ausstellung eine noch breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Die Lage des Ausstellungsortes an einer Hauptverkehrsstraße ist dabei eine große Hilfe.

IG: Ihre Fotografien werden in der Artwall Gallery gezeigt. Dies ist ein Projekt, dass in den 1990er Jahren initiiert wurde und zeitgenössische Kunst auf einer alten Mauer aus kommunistischen Zeiten zeigt. Ist dieser Ausstellungsort etwas Besonderes für sie? (Wenn ja, weshalb?)

UW: Die Artwall Gallery ist sicherlich ein Ort, dessen Geschichte einen besonderen Kontext für Ausstellungen mit sich bringt. Sie liegt zu Fuße eines ehemaligen Stalin-Monuments, das 1962 gesprengt wurde. Die acht großformatigen Tafeln wurden zu Sowjetzeiten wohl für Propagandazwecke genutzt. Seit 2005 wurde hier regelmäßig Kunst ausgestellt. Zwischen 2008 und 2011 wurde die Galerie zwangsgeschlossen, weil dort durch eine Ausstellung Korruption in der Stadtverwaltung öffentlich kritisiert wurde. Seit ihrer Wiedereröffnung hat sich die Artwall Gallery darauf konzentriert, regelmäßig gesellschaftlich relevante, aktivistische und politische Kunst zu zeigen. Die Galerie ist durch ihre Geschichte prädestiniert für diese Aufgabe. Für mich ist es eine Ehre, in der Reihe dieser Ausstellungen einen Platz zu finden.