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Populismus
Okamuras Gespenster

Okamuras Gespenster
Illustration: © Martina Hamouzová

„Nein zum Islam, nein zu Terroristen.“ Einer der Wahlkampfslogans der Partei Svoboda a přímá demokracie (Freiheit und direkte Demokratie, kurz: SPD) verschwindet langsam von den Plakaten. Aus den Äußerungen ihres Chefs Tomio Okamura bisher jedoch nicht. Auch wenn in Tschechien eine der kleinsten muslimischen Gemeinschaften von ganz Europa lebt, spricht das Thema Islam die Wähler noch immer an. Der Politunternehmer Okamura nutzt dies aus – auch wenn er seine Schreckgespenster schon mehrmals austauschte und den aktuellen Stimmungen der Tschechen anpasste.

Von Tereza Engelová

„Am Wochenende bin ich mit meiner Freundin in London an der Zentralmoschee vorbeigelaufen und wir haben versucht, mal hineinzuschauen. Natürlich musste sich Monika verhüllen und wurde so für 15 min zu einer arabischen Frau. Beim Ankleiden hat uns eine gerade anwesende muslimische Frau sehr bereitwillig geholfen. Ein tolles Erlebnis“, schrieb Tomio Okamura 2013 auf seinem Facebook-Profil.

Er fügte noch ein „exotisches“ Foto seiner Freundin im Hidschab hinzu. Es wurde von 86 Freunden gelikt und ein Mal geteilt. Der Islam hat damals in Tschechien noch niemanden interessiert.

Von den Roma zu den Flüchtlingen

Als frischgebackener Vorsitzende der damals neuen Partei Úsvit přímé demokracie (Morgendämmerung der direkten Demokratie) hatte Tomio Okamura den Wählern das Thema Immigration zwar schon zu dieser Zeit „eingeimpft“. Seine Wahlplakate mit der Parole „Arbeit für unsere Bürger, nicht für Immigranten!“ gerieten allerdings in öffentliche Kritik, weshalb er sich anschließend lieber auf die Roma konzentrierte.

„Stoppt Romanistan!“, rief Okamura die Abgeordneten zu einer beschleunigten Lösung der Situation mit den „anpassungsunfähigen Bürger“ auf:

„Das größte ‚multikulturelle‘ Problem in der Tschechischen Republik sind ganz offensichtlich die Roma. Es mögen mir diejenigen verzeihen, die das nicht betrifft, aber ein großer Teil ist einfach eine riesige Belastung für die Gesellschaft“, schrieb er im März 2014 auf seinem Facebook-Profil.

Einem von Okamuras Vorschlägen, die das Leben der Roma betreffen – die flächendeckende Einführung einer Anwesenheitspflicht von Kindern bis zum letzten Kindergartenjahr – hat das Parlament letztendlich zugestimmt. Es dauerte jedoch nicht lange und die Roma als Verkörperung einer „multikulturellen Belastung“ wurden in Okamuras Rhetorik von den Flüchtlingen ersetzt.

„Das ist unser Land und unser Lebensstil. Wenn ihr euch beschweren wollt, unsere Institutionen, unser Gesetz oder unseren Lebensstil kritisieren oder ausnutzen wollt, dann fordere ich euch auf, einen weiteren Vorteil unserer demokratischen Gesellschaft zu nutzen – das Recht zu gehen. Falls ihr hier nicht glücklich seid – dann geht”, so Tomio Okamura auf seinem Profil im April 2016. Über 16.000 Menschen gefiel seine Äußerung und 17.983 Mal wurde sie geteilt.

Facebookprofil von Tomio Okamura Facebookprofil von Tomio Okamura | © Facebookprofil von Tomio Okamura via HlidaciPes.org

Austausch der Gespenster

Einen Antrag auf internationalen Schutz stellten 2016 in Tschechien den Angaben des Innenministeriums zufolge 1478 Menschen. 148 davon haben ihn erhalten. Es handelte sich also nicht um eine schwindelerregend hohe Zahl und obwohl sich das Thema Immigration auf den vorderen Plätzen in Okamuras Äußerungen hielt, war klar, dass es auf diese Weise nicht ewig weitergehen wird.

Das zeigten die Proteste in der Gemeinde Smilovice, wo 2016 eine Gruppe christlicher Flüchtlinge aus dem Irak untergebracht wurde. Die SPD bemühte sich bei den lokalen Bürgertreffen die Proteste weiter anzufachen. Die negativen Reaktionen auf die Flüchtlinge hielten ungefähr zwei Wochen an. Dann zeigte sich, dass die Iraker praktisch nicht sichtbar waren, in der Gemeinde Ruhe herrschte und das Problem verschwand.

Gerade im Laufe des Jahres 2016 wurde das Thema Muslime und Islam in der Agenda der SPD und seines Vorsitzenden immer wichtiger. Zunächst konzentrierte sich die Partei auf kontroverse Themen in Verbindung mit der islamischen Rechtssprechung Scharia und dem Dschihad. Schrittweise legte die SPD allerdings eine härtere Gangart ein und wandte ihre Kritik nun gegen den Islam als solchen.

Der frühere muslimische Konvertit und heutige Islamkritiker Lukáš Lhoťan vermutet nichtsdestotrotz, dass es Tomio Okamura nicht im Wesentlichen um die Gefährdung durch den radikalen Islam geht:

„Herr Okamura ist ein politischer Unternehmer, der im Islam irgendeine Gefahr sehen mag, aber Priorität hat für ihn das politische Kapital, das er daraus schlagen kann, und die Stimmen der Wähler. Ich fürchte, dass er, wenn er einen größeren Vorteil in der Unterstützung von Muslimen sehen würde, ihnen diese auch gewähren würde. Ich glaube auch, dass er, wenn er sich von der Politik verabschiedet und wieder in die Tourismusbranche zurückkehrt, kein Problem damit haben wird, mit Muslimen Geschäfte zu machen oder ihnen zu helfen.“

Lhoťans Worte werden indirekt auch vom Soziologen und Experten der Agentur Median, Daniel Prokop, bestätigt:

„Ich schließe nicht aus, dass Herr Okamura vor einigen Erscheinungsformen des Islams wirklich Angst hat. Aber da er keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Formen des Islam macht, einst Minderheiten gegenüber sehr aufgeschlossen war, und da er die sogenannten ‚out-groups‘, auf die er sich konzentriert, ununterbrochen ändert – von den Roma (Wahlen 2013), Immigranten (Wahlen 2014) zu den Muslimen und dem Islam (seit den Wahlen 2016) –, sieht es tatsächlich so aus, als ob es sich eher um eine politische Strategie handelt, mit der ein bestimmter, autoritärer Teil der Wähler aufgestachelt werden soll, als um seine innere Besorgtheit.“

Die Wette auf den inneren Feind

Aus den Analysen von Daniel Prokop geht sogar hervor, dass Tomio Okamura sich vom Thema Islam langsam zurückzieht und beginnt, sich eher gegen den „inneren Feind“ abzugrenzen – auch wenn der Slogan „Nein zum Islam“ auf den Internetseiten der SPD noch immer prominent auftaucht.

„Ich habe eine quantitative Inhaltsanalyse der Äußerungen von Martin Konvička, Petr Hampl und Tomio Okamura durchgeführt, die von einer Demonstration am 6. Februar 2016 stammen. Der Islam und die Migration als Risiko für Europa tauchten in 14 Prozent der Kundgebungsinhalte auf. Weitere je sechs bis sieben Prozent betrafen konkrete Lösungen der Migration und den Islam weltweit beziehungsweise in der Geschichte. Der radikale Islam wurde nur in einigen Sätzen erwähnt. Dem gegenüber standen massive Passagen, die die Verurteilung und den Kampf gegen verschiedene Typen innerer Feinde betrafen,“ erklärt Daniel Prokop seine Perspektive.

Diese inneren Feinde bestehen laut Prokop zu 21 Prozent aus tschechischen und europäischen Politikern zusammen, zu 15 Prozent aus trügerischen Eliten, Intellektuellen, den Medien oder Helfern von Migranten. Der Rest der Beiträge betraf überwiegend die Tätigkeiten der eigenen Bewegung und die Glorifizierung der tschechischen Geschichte – oft in Kontrast zur Verurteilung der „trügerischen Eliten“.

Das Thema Kampf gegen die Eliten wurde laut Daniel Prokop bei der SPD durch die Wahlergebnisse im letzten Jahr abgemildert, seit denen sich die Macht in den Händen der „anti-elitären“ Politiker Andrej Babiš und Miloš Zeman konzentriert.

Facebookprofil von Tomio Okamura Facebookprofil von Tomio Okamura | © Facebookprofil von Tomio Okamura via HlidaciPes.org

Es sich mit den Muslimen nicht verscherzen

Die „Mainstreamparteien“ und ihre ablehnende Haltung gegenüber Immigration und den fundamentalen Erscheinungsformen des Islams nahmen Tomio Okamura den Wind etwas aus den Segeln. Nach der Meinung des Soziologen Daniel Prokop ist auch das ein Grund dafür, warum während des Wahlkampfes der Slogan „Nein zum Islam“ vorherrschte und nicht „Nein zur Scharia“.

„Die SPD kopiert auch die Meinungen der Öffentlichkeit. Wenn wir die Untersuchungen aus den Jahren 2014 und 2018 miteinander vergleichen, dann wuchs neben dem Niqab und der Burka – also der Gesichtsverschleierung – auch der Widerstand dem Hidschab gegenüber. Und ein recht großer Anteil der Tschechen ist für verfassungswidrige Maßnahmen wie das Verbot des öffentlichen Glaubensbekenntnisses zum Islam oder die Beschränkung einiger Bürgerrechte,“ fasst Daniel Prokop zusammen.

Die negative Rhetorik auf alles zu beziehen, was mit dem Islam zusammenhängt und nicht nur mit seinen radikalen politischen Erscheinungsformen, würde sich für die Tschechen auf lange Sicht nicht auszahlen. Die muslimische Gemeinschaft in Tschechien ist verhältnismäßig gut integriert und der Großteil ihrer Angehörigen bekennt sich zu einem individuellen, eher gemäßigten Islam.

Auch dank der Informationen aus der muslimischen Gemeinschaft konnten Lukáš Lhoťan zufolge die tschechischen Sicherheitsdienste den ehemaligen Imam der muslimischen Gemeinde in Prag, der Gedanken des radikalen Islams verbreitet hatte, und den zum Islam konvertierten Dominik K., der einen Terroranschlag geplant hatte, ermitteln.

Eine flächendeckende antimuslimische Agitation durch Okamuras SPD könnte diese entgegenkommende Haltung der muslimischen Gemeinschaft in Tschechien gefährden.

„Eine undifferenzierte Betrachtung der einzelnen muslimischen Gruppen könnte dazu führen, dass die Bereitwilligkeit der gemäßigten und säkularisierten Muslime, unseren Sicherheitsdiensten bei der Enttarnung radikaler Islamisten zu helfen, zurückgeht,“ weist Lhoťan hin.

Minderheiten? Für Tschechen eher „Untermenschen“

Die populistische französische Politikerin Marine Le Pen beispielsweise ist in der Lage, zwischen radikalen und gemäßigten Muslimen zu unterscheiden und genießt sogar die Unterstützung eines Teils der französischen Muslime.

Auch die populistischen Schwedendemokraten, die 2018 drittstärkste Partei im schwedischen Parlament geworden sind, vermeiden pauschalisierende Verurteilungen des Islam.

„Die Schwedendemokraten bleiben eher bei Slogans wie: Ordnung und medizinische Versorgung, Der richtige Wandel, Make Sweden Great Again und Ähnliches. Natürlich grenzen sie sich in ihrer Argumentation von Immigranten und Muslimen ab. Aber sie pflegen eher ihr Image als allgemein autoritärere, populistische Partei,“ so Daniel Prokop.

Die Wahlkampagne der Alternative für Deutschland (AfD) mit dem Slogan, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, war derjenigen von Okamuras SPD noch am ähnlichsten. Damit war die AfD in Regionen erfolgreich, die an die ärmsten Gegenden Tschechiens grenzen – beispielsweise in Sachsen.

Warum also springen die Tschechen auf eine viel zugespitztere und härtere Rhetorik an als viele ihrer westlichen Nachbarn? Laut Daniel Prokop deshalb, weil sie im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung gelernt hätten, Minderheiten nicht als Menschen wahrzunehmen.

„Wir haben in der Tschechischen Republik eine Forschung amerikanischer Sozialpsychologen wiederholt und gefragt, wie menschlich (human-like) verschiedene Bevölkerungsgruppen wahrgenommen werden. Während in den USA die am schlechtesten wahrgenommenen Minderheiten um die 70 bis 80 Punkte von 100 erhielten, waren es bei uns unter 50“, macht Daniel Prokop auf einen verborgenen Wesenszug der tschechischen Gesellschaft aufmerksam.

„Die Bereitschaft zu dehumanisieren kann eine Strategie sein, um sich zu rechtfertigen. Damit wir beispielsweise die Aufnahme von leidenden Menschen ablehnen können, muss ich diese als schlechtere und andere Menschen betrachten. Aber das ist auch eine Folge des tschechischen Diskurses über Parasiten, Krebsgeschwüre, Menschenmassen und so weiter.“ So erklärt Prokop sich, warum ein Teil der tschechischen Öffentlichkeit auf die erfolgreiche antiislamische Rhetorik von Tomio Okamura hört und auch weiterhin hören wird.

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