Literatur
Die unerträgliche Schwere des Seins von Milan Kundera

Die unerträgliche Schwere des Seins von Milan Kundera
Viktorie Hanišová | © Viktorie Hanišová

Die erste Hälfte des Jahres 2020 steht im Zeichen von Katastrophen. Da kann man sich schon fürchten, morgens die Zeitung aufzuschlagen. Was springt einem diesmal entgegen? Ein politischer Putsch, eine Epidemie mit einem mutierten Virus, ein terroristischer Anschlag oder eine Naturkatastrophe?

Von Viktorie Hanišová

Die erste Hälfte des Jahres 2020 steht im Zeichen von Katastrophen. Da kann man sich schon fürchten, morgens die Zeitung aufzuschlagen. Was springt einem diesmal entgegen? Ein politischer Putsch, eine Epidemie mit einem mutierten Virus, ein terroristischer Anschlag oder eine Naturkatastrophe?

Nachdem Tschechien die Coronakrise bewältigt, sich auf den wirtschaftlichen Abschwung vorbereitet, eine Dürre und die darauf folgenden Überschwemmungen überlebt hat, steht es nun vor einer neuen Herausforderung. Die nationale Ikone Milan Kundera, der in der Welt wahrscheinlich bekannteste tschechische Autor, wird in der neuen Monographie von Jan Novák als Manipulator, Denunziant und Diener des Totalitären hingestellt. Der Sturm in den tschechischen Medien lässt sich wohl nur mit dem Fall Günter Grass und seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS vergleichen, oder damit, dass Lech Walesa als kommunistischer Agent entlarvt wurde.

Was Kundera betrifft, ist die Behauptung nicht ganz neu. Schon vor Jahren wurde in den Medien ausführlich der Fall des Agenten Dvořáček aus den 1950er Jahren auseinandergenommen. Der saß nach angeblicher Denunziation durch Kundera 14 Jahre unter schweren Haftbedingungen ab. Neu ist aber Nováks Behauptung, Kundera sei seinem totalitären Denken auch nach seiner Emigration nach Frankreich im Jahr 1975 treu geblieben. Außerdem wird Kundera als Autor fehlender Erfindungsgeist bescheinigt.

Die Medien sind sich uneins: Stimmen Nováks Behauptungen über Kundera als Denunziant? Wenn ja, kann diese Tat mit jugendlicher Unbesonnenheit erklärt werden (der damals 21jährige Kundera war ein glühender Kommunist), die der Autor später in seinem Werk reflektierte? Vor allem aber geht es um eine Frage, die so alt ist, wie die Literatur selbst: Ist das Leben eines Autors überhaupt von Bedeutung für die Interpretation seiner Texte?

In einem sind sich die meisten Kommentare aber sicher: Ein weiterer Pfeiler, auf denen unsere neuzeitliche Republik steht – wie zum Beispiel der Glaube an den Kapitalismus oder die Möglichkeit als gleichwertiger Partner zu den westlichen Staaten zu gehören – wankt.

Damit man davon nicht verrückt wird, bleibt einem nichts übrig, als nach einer der wenigen unerschütterlichen Sicherheiten zu greifen. »Versuch, in der Wahrheit zu leben« von Václav Havel ist ein so hochwertiges und authentisches Werk, dass sein Autor im Gegensatz zu anderen, und zwar nicht nur tschechischen Ikonen ohne Zweifel nie den Verführungen des Totalitären erlag. Im Übrigen haben auch unsere Papageien an ihm Gefallen gefunden, wie man auf dem Foto sehen kann. Zum Schluss noch ein kleiner Rat an die Leserschaft: Sollten Ihre Kinder Sie zur Anschaffung solch hübscher kleiner Papageien überreden wollen, warten Sie lieber das Ende der Coronakrise ab. Zwei kreischende Vögel in häuslicher Quarantäne wecken ernsthaft mörderische Gedanken.

Dieser Artikel entstand als ein Beitrag des Nachrichtenportals „LCB diplomatique“ des Literarischen Colloquiums Berlin.

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