Stadtkonturen
Auf Party im Wolfsland – die Lausitz
Wenn in Deutschland vom „ländlichen Raum“ die Rede ist, denken sicher viele an die Lausitz, den östlichsten Teil des Landes. Warum man einen Schritt in diese dünn besiedelte und gesellschaftlich gespaltene Gegend wagen sollte – und was eine slawische Minderheit damit zu tun hat.
Von Max Melzer
Zugegeben, ein Beitrag über die Lausitz in einem Format, das sich Stadtkonturen nennt, ist vergleichbar mit dem Tragen von Badehosen im tiefsten Winter – kann man machen, ist aber eigentlich ein Widerspruch. So wie auch die Lausitz an sich, was sie aus meiner Sicht zu einer so spannenden Region macht: im Spagat zwischen DDR-Nostalgie und Innovation, Alltagsrassismus und engagierten zivilgesellschaftlichen Projekten, Gebirge und Heideland. Die malerisch schönen Altstädte von Görlitz und Bautzen zeigen sich Touristen auf den ersten Blick, genauso wie die Negativschlagzeilen der jüngsten Vergangenheit. Doch was ist wirklich los in der Lausitz, und was hebt sie von anderen Regionen ab?
Minderheit mit Partylaune
Ist man das erste Mal im Umland von Bautzen unterwegs, dürfte der Blick schnell an den zweisprachigen Ortsschildern hängen bleiben. Die Lausitz ist Heimat der sorbischen Minderheit. 60.000 Angehörige gibt es, davon ein Drittel Niedersorben und zwei Drittel Obersorben. Diese Unterscheidung ist schon nicht ganz unwichtig, schließlich werden mit Ober- und Niedersorbisch auch zwei verschiedene Sprachen gesprochen. Beide sind mit Tschechisch, Polnisch und Slowakisch den Westslawischen Sprachen zugeordnet, die Ähnlichkeiten kaum von der Hand zu weisen.Die Sorb*innen unterhalten zahlreiche eigene öffentliche Einrichtungen, es gibt sorbische Kindergärten sowie sorbische Schulen und auch die Kulturszene wird durch die Minderheit enorm bereichert. So gibt es beispielsweise neben dem Domowina-Verlagshaus, in dem sorbische Printmedien erscheinen, auch das sorbisch-deutsche Filmnetzwerk Łužycafilm. Zudem ist das Deutsch-Sorbische Volkstheater in Bautzen ist das einzige professionelle bikulturelle Theater Deutschlands.
Die Jugendlichen in der Region wissen ihre sorbischen Altersgenossen vor allem für eines zu schätzen: ihre guten, teils exzessiven Partys. Insbesondere auf den Dörfern zwischen Kamenz und Bautzen gibt es einige kleinere Clubs oder Gasthäuser, in denen regelmäßig gefeiert wird. Die sorbische Partykultur zeichnet sich dabei durch einen witzigen Mix sorbischer Folklore mit modernem Clubsetting aus, was zunächst trashig wirken mag, letztlich aber eine gute Art ist, Altes mit Neuem zu verbinden und beides zu zelebrieren.
Wo sind die jungen Leute?
Die Partykultur täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die Lausitz mit Abstand eine der ältesten Regionen Deutschlands ist. In vielen Gemeinden kratzt das Durchschnittsalter an den 50 Jahren. An fehlenden Studienmöglichkeiten liegt es jedenfalls nicht, dass auf den ersten Blick alles, was auf der Landkarte östlich von Dresden liegt, für junge Menschen unattraktiv wirken mag. Mit der Technischen Universität Cottbus/Senftenberg, der Hochschule Zittau/Görlitz und der Berufsakademie Bautzen gibt es drei moderne Hochschulen in der Region, die sich ihrer geografischen Lage im deutsch-polnisch-tschechischen Dreiländereck bewusst sind und deshalb über große internationale Netzwerke verfügen, grenzüberschreitende Forschungsprojekte durchführen und Semester für Semester unzählige Studierende aus dem Ausland empfangen. Und wer denkt, dass sich das Fächerangebot nur auf Grundlagen beschränkt, die es auch überall anders gibt, sollte es sich genauer anschauen. Studiengänge wie zum Beispiel Kommunikationspsychologie in Görlitz findet man nicht einmal in großen Universitätsstädten wie Berlin oder München.Da die gesamte Lausitz einem Strukturwandel weg von der jahrzehntelang prägenden Braunkohleindustrie und ebenso einem enormen demografischen Wandel unterliegt, soll sie zu einer Modellregion für die Erforschung und Anwendung zahlreicher Themenfelder wie erneuerbare Energien, neue Technologien und Mobilität werden. Dabei sollen natürlich auch die Hochschulen stark mitwirken. Und wer weiß, vielleicht bringt ja eine Ansiedlung neuer Forschungsinstitute noch mehr Studierende und Forscher*innen in die Lausitz?
Neben den schulischen Verpflichtungen nutzen Lausitzer Studierende übrigens gerne die Freiräume der Region und bringen sich in zivilgesellschaftliche Projekte und die Stadtgestaltung ein, schaffen tolle Orte, an denen man sich engagieren oder einfach gut chillen oder Party machen kann. Bestes Beispiel aus meiner Studienstadt Görlitz ist da die „Rabryka“, ein auf dem Gelände einer ehemaligen Energiefabrik geschaffenes Zentrum für Jugend- und Soziokultur – immer gut für Konzerte lokaler oder weit hergereister Bands oder ein Feierabendbier an der Feuertonne.
Kohle ohne Ende
Das Thema Braunkohle lässt sich natürlich nicht mit dem einen Satz abschließen, dafür ist es viel zu wichtig in der Region – und außerdem kontrovers diskutiert. Die Braunkohle- und Bergbauindustrie, die im 20. Jahrhundert den allergrößten Teil der Arbeitsplätze in der Region ausmachte, ging bereits nach der Wende in eine tiefe Rezession. Im Zuge der globalen Diskussion um die Klimaerwärmung scheint nun mittelfristig das endgültige Aus zu kommen, womit natürlich die Frage nach neuen Industrien und Beschäftigungsmöglichkeiten aufkommt.Doch auch über die Funktion als Arbeitgeberin hinaus ist die Braunkohle etwas sehr identitätsstiftendes für viele – vor allem ältere – Menschen und es wird ein schwieriger Prozess sein, alle Interessen in Einklang zu bringen. Ach, und was passiert eigentlich mit den leeren Tagebauen? Da könnte das Motto ungefähr „aus dem Bergwerk an den Strand“ lauten. Durch die Flutung der Restlöcher entsteht gerade die bald größte künstliche Wasserlandschaft Europas, und schon jetzt dienen die zahlreichen Seen als „Badewanne vor der Haustür“ für die Menschen aus der Region, aber auch von weiter her. Vor allem Inlineskate- und Fahrradfans schätzen das flache Land und die gute Infrastruktur.
Film ab!
Mit Sicherheit muss ich auch noch einmal den Titel erklären: Warum eigentlich „Wolfsland“? Einerseits, weil in der Region das eine oder andere Wolfsrudel zu Hause ist und diese an vielen Flecken der Oberlausitz auch ganz ungestört von menschlicher Zivilisation leben können. Andererseits ist Wolfsland aber auch der Titel einer seit 2016 produzierten Fernsehserie um die Schauspielerin und Sängerin Yvonne Catterfeld. Die Serie spielt in Görlitz und ist nur eines von vielen filmischen Werken mit Lausitzer Beteiligung. So wurden die reiche Architektur der Görlitzer Altstadt und vor allem das prachtvolle Jugendstilkaufhaus auch von Filmgrößen wie Wes Anderson (Grand Budapest Hotel) oder Quentin Tarantino (Inglourious Basterds) als Filmkulissen genutzt.Vom Kosenamen Görliwood, den die Stadt im Zuge ihrer steigenden Bekanntheit in der Filmszene verpasst bekam, kann man halten was man will, doch er ist durchaus etwas, worauf sich die regionale Kulturszene berufen kann. Wenn einem die Lausitz als reine Kulisse nicht reicht, sollte man sich den Film Gundermann anschauen, einen biografischen Musikfilm über den Hoyerswerdaer Liedermacher Gerhard Gundermann, der zeitgleich im Braunkohlerevier schuftete und sich immer im Konflikt zwischen musikalischem Freigeist und sozialistischer Gesinnung befand.