Goethes Pfadfinder
Wer Angst hat, darf nicht ins Berghain

Berghain
Berghain | Michael Mayer (CC BY 2.0)

Ich war auf den Spuren des Berliner Berghains, einem der besten Techno-Klubs der Welt, in dem sich die lokale Subkultur trifft, unterwegs. Obwohl bekannt ist, dass in diesen Klub nicht jeder Einlass findet,  hatte ich das große Glück hineinzukommen. 
 

Von Barbora Benešová

Bevor ich mein halbjähriges Praktikum im Tschechischen Zentrum in Berlin begonnen habe, hatte ich von der Existenz des Berghains nichts gewusst. Mir war bekannt, dass Berlin als Zentrum der Kunstschaffenden, der Tanz- und elektronischen Musikszene betrachtet wird, doch von diesem legendären Klub, der Menschen aus der ganzen Welt anzieht, hatte ich vorher noch nie gehört. Schon nach den ersten Wochen in der deutschen Hauptstadt dämmerte mir langsam, dass ich während meines Aufenthalts das Berghain gesehen haben muss – obgleich ich nicht direkt ein Anhänger von Techno bin. Ja, dass ich es zumindest versuchen muss. Denn sonst würde es scheinen, als wäre ich nie in Berlin gewesen.  

„Berg" und „Hain"

In der Nähe des Berliner Ostbahnhofs befindet sich das aus den fünfziger Jahren stammende Gebäude des ehemaligen Heizkraftwerkes, das seinerzeit das Ostberliner Arbeiterviertel an der Stalin-Allee, heute Karl-Marx-Allee, mit Strom und Wärme versorgt hat. Später ließen die Besitzer das alte Industriegebäude vom Berliner Architekturbüro Karhardt umbauen und eröffneten hier einen Musik-Club, dessen Räumlichkeiten mit ihrer Größe und ihren knapp 20 Meter hohen Decken jeden überwältigen, dem die Möglichkeit zuteil wird, diesen mit eigenen Augen zu sehen.
 
Das Berghain befindet sich zwischen den Berliner Stadtvierteln Friedrichshain und Kreuzberg. Aus dem ehemaligen Ostgut, wie die Location 1998-2003 hieß, wurde das Berghain, dessen Namen sich aus dem „Berg“ aus dem Wort Kreuzberg und dem „Hain“ aus dem Wort Friedrichshain zusammensetzt. Seit 2004 ist das Berghain der absolute Magnet für Fans der Techno- und Houseszene. 

ENDLOSE WARTESCHLANGE

Während meines Praktikums in Berlin habe ich Menschen kennengelernt, die meine Freunde wurden, die ebenfalls das gleiche Ziel hatten, einen Abend in dem weltbekannten Klub zu verbringen. Und so haben wir uns in einer unwirtlichen Dezembernacht gegen 24 Uhr ins Berliner Abendteuer gestürzt. Wir waren zu fünft: drei „Berghain-Jungfrauen“ und ein seltener, jedoch regelmäßiger Besucher des Klubs mit einem Mädchen, die ein Anhänger der elektronischen Musik war.
 
Wie ich feststellen musste, ist es so: Wer hinein will, muss warten, und zwar richtig lange. Die Warteschlange vor dem Eingang war einige hundert Meter lang. Doch wir waren fest entschlossen und reihten uns, ohne zu murren, in die unendlich scheinende Schlange ein, und hielten uns mit dem in Berlin populären Getränk Club-Mate bei Laune. Die Nacht war frostig, und obwohl die Schlange stetig nachrückte, erschien uns das Ziel fast unerreichbar. 
 
Das erste, was in der Menge der Wartenden unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, waren die skurrilen Kostüme und Aufmachungen, sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Im Internet werden Tipps und Ratschläge verbreitet, was man dafür tun sollte, um in den Club gelassen zu werden. Ich hatte nicht vor, für diese Nacht übertriebene Vorbereitungen, was meine Aufmachung betrifft, zu treffen. Dennoch habe ich mir am meisten habe den Kopf über mein Outfit zerbrochen. Schließlich habe ich mich für Schwarz entschieden, die Farbe, die ich am liebsten trage. 

REIN KOMMT NICHT JEDER 

Langsam rückten wir, eingezwängt in der Menschenmasse, in der Warteschlange nach vorn. Vor uns türmte sich das monströse Heizwerkgebäude auf. Auf beiden Seiten der Schlange bildeten Fahrräder, mit denen die Berghain-Besucher hierhergekommen waren, Gassen. Hier und da sammelten Leute Pfandflaschen von der Erde auf, die von den Wartenden weggeworfen wurden.
 
Nach zwei Stunden des Wartens näherten wir uns langsam, aber sicher dem Eingang. Davor standen zwei Türsteher, die darüber entscheiden sollten, ob wir hinein dürfen oder nicht. Das erfahrenste Mitglied unserer Gruppe wies an, dass wir uns aufteilen müssten, weil Touristen und größere Gruppen angeblich nicht eingelassen werden. Und siehe da, er hatte Recht. Mehrere Leute – vorwiegend Touristen – verließen mit hängendem Kopf kurz vor dem Eingang die Schlange und stahlen sich unter den Blicken der Wartenden beschämt davon. Die Türsteher des Berghains gehören angeblich zu den strengsten in ganz Deutschland. Warum wohl? Ganz einfach deshalb, weil alle, die hineinwollen, nicht hineinpassen würden. Außerdem ist der Klub bemüht, sich ein „Stammpublikum“ zu erhalten, von dem die einzigartige Atmosphäre dieses Orts mitgestaltet wird. Dieses „Stammpublikum“ beginnt, wie ich gehört habe, am Freitagabend ihre Odysee und beendet diese erst am Montagmorgen. 
 
Wir hatten uns in zwei Gruppen aufgeteilt: eine Zweiergruppe und eine Dreiergruppe. Ich war gemeinsam mit dem „erfahrenen“ Berghainer und seiner techno-begeisterten Begleiterin in der Dreiergruppe. Wir waren als erste an der Reihe. Obwohl wir froren wie die Schneider, versuchten wir so zu tun, als wäre es uns gleichgültig, ob wir eingelassen werden oder nicht.

Unser cooles Gehabe schien seine Wirkung nicht verfehlt zu haben, und gleich darauf befanden wir uns im Inneren des legendären Berghains, in dem wir nun auf den „Rest“ unserer Gruppe warten wollten. Jedoch wurde über den Rest meiner Begleitung ein anderes  „Urteil“ gefällt. Nachdem wir im Inneren zehn Minuten gewartet haben, wurde uns klar, dass die beiden anderen nicht so viel Glück hatten. Zuvor hatten wir die klare Absprache getroffen: Wer reingelassen wird, geht hinein. Wer nicht eingelassen wird, geht nach Hause.

Goethes Pfadfinder in Berghain (Autorin Barbora Benešová links im Bild)
Goethes Pfadfinder in Berghain (Autorin Bára Benešová links im Bild) | © Barbora Benešová
OHNE TOURISTEN – FÜR TOURISTEN

Obwohl es mir leid tat, dass es nicht gelungen war, unsere Gruppe vollzählig hier einzuschleusen, war ich doch froh, dass es mir vergönnt war, die Atmosphäre dieses Klubs am eigenen Leib zu erleben, und vor allem nach zweistündigem Warten endlich im Warmen sein zu können. Ein bisschen widersprüchlich zum ungeschriebenen Gesetz des Berghains „Touristen unerwünscht“ befindet sich gleich neben der Garderobe ein Souvenirgeschäft, in dem man sich Andenken kaufen kann. 
 
Wir legten unsere Mäntel ab, bezahlten 12 Euro Eintritt und passierten die Kontrolle, bei der wir darauf hingewiesen wurden, dass in den Räumen des Klubs das Fotografieren verboten sei, und die Linsen der Fotoapparate unserer Handys mit einem gelben Band überklebt wurden. Danach wünschte man uns noch viel Spaß, und wir brachen in die pulsierende Dunkelheit auf.
 
Während wir durch dunkle Räume nach oben stiegen, spürten wir, wie die Musik bis tief in unserem Inneren vibrierte. Anschließend bewegten wir uns direkt auf die Tanzfläche, ließen uns von der Musik ergreifen und davontragen. Die aus den Boxen stammenden Töne ließen einen kalten Schauer über meinen Rücken laufen. Meine Augen nahmen die absonderlichsten Tanzkreationen und Kostüme wahr. Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter oder Herkunft schienen hier keine Rolle zu spielen. 

TECHNO, DROGEN, SEX UND SOUVENIRGESCHÄFT 

Im Laufe der Nacht merkte ich, dass es im Berghain nicht nur um das tanzende Publikum oder um die Shows der besten Techno-DJs geht, sondern um den Konsum von Drogen. Denn dort gibt es spezielle Boxen, in die sich die Besucher zurückziehen können, um hier in „Energie“ für die nächste Tanzrunde „aufzutanken“ – oder sich sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Das gleiche gilt auch für die Toiletten. Ich kam mir vor wie in der Hölle auf Erden. Doch zugleich genoss ich gemeinsam mit meinen Freunden auf der Tanzfläche die Kraft des Augenblicks. Musik, Tanz und Milieu hatten unerwartet von mir Besitz ergriffen.
 
Wenn Ihr einen Besuch im Berghain plant, dann seid darauf gefasst, dass Ihr nicht alle hineinkommt. Es ist ratsam, sich in kleine Gruppen aufzuteilen, und durch nichts anderes, als durch seine Aufmachung, auf sich aufmerksam zu machen. Wer am Wochenende nichts ins Berghain hineinkommt, sich diesen Klub aber trotzdem gern einmal ansehen möchte, kann sich eine Eintrittskarte für eins der vielen „normalen“ Konzerte kaufen, die hier jeweils im Laufe der Woche stattfinden.
 
Ich bin bei weitem kein Mensch, der diese Art von Vergnügen jedes Wochenende brauchen kann, und es würde mich auch nicht wundern, wenn die Beschreibung dieses Erlebnisses bei dem einen oder anderen Entsetzen auslöst. Dennoch würde ich den Besuch des Berghains als außergewöhnliches Kulturerlebnis bezeichnen, das ich jedem empfehlen würde, der dem Kontakt neuer kultureller Dimensionen offen gegenüber steht.
 

Top