Ingrid Neumann-Moser

Die Bibliothek des Goethe-Instituts Lyon: ein Überblick von 1972 bis 2007

Ingrid Neumann (rechts) mit Ulrich Fügener und Pia Cüppers, 2007 © Ingrid Neumann
Ingrid Neumann (rechts) mit Ulrich Fügener und Pia Cüppers, 2007
Am 15. März 1972 trat ich die Bibliothekars-Stelle im Goethe-Institut Lyon an. Es war meine erste „richtige“ Stelle, ich verdiente ca. 2000 FF und ich fühlte mich enorm reich. Meine Vorgängerin hatte mir ein Zimmer zur Untermiete gesucht und hat mich 1 Woche lang in die Arbeit eingewiesen.


Neben den Deutschlehrern und den Germanistikstudenten kamen die Leser aus den unterschiedlichsten Berufen mit ganz verschiedenen Interessen: Theaterleute, Musiker, Angestellte von deutschen Firmen, Deutsche, die hier verheiratet waren oder Leute, deren Söhne oder Töchter nach Deutschland heiraten wollten. Es gab eine kleine Gruppe von ehemaligen französischen Soldaten, die während des Krieges in Deutschland gewesen waren. Es gab viele deutsche Juden, die kulturell bemerkenswert Anteil nahmen, über ein grosses Allgemeinwissen verfügten, sehr  belesen waren und sich für das aktuelle Deutschland interessierten.

Der Bestand unserer Bibliothek setzte sich zusammen aus Werken der deutschen klassischen, aber auch immer mehr zeitgenössischen Literatur in deutscher und französischer Sprache, aus Schallplatten mit literarischen Texten, mit klassischer deutscher Musik sowie von Liedermachern. Theaterstücke von Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Kriminalromane von Hansjörg Martin, immer wieder Brecht und Böll waren sehr gefragt. Sie galten als leichte Lektüre für Leseanfänger. Den Deutschlehrern standen Dias, Tonbänder und 16 mm-Filme zur Verfügung. Diese Filme wurden im gesamten Einzugsbereich sehr viel an Schulen und Deutschklubs verschickt.

Die 90er Jahre brachten unserer Bibliotheksarbeit zwei enorme Umwälzungen, die einem Erdbeben glichen - erstens auf technischem Gebiet und zweitens die inhaltliche Konzeption:

Die Einführung des Computers ermöglichte die Katalogisierung nach dem System Allegro und später die retrospektive Eingabe des Bestandes sowie die Bearbeitung aller Medien mit Strichcode-Etiketten. So konnte 2001 die automatisierte Verbuchung beginnen… Seit Herbst 1996 hatte unser Institut Internetanschluss, und zwei Jahre später war unser Katalog im Internet recherchierbar.

Was den Bestand anging: anstelle der großen, allgemeinen Bibliothek sollte nun schrittweise eine Verkleinerung des Angebots und eine bewusste Beschränkung  auf Spezialgebiete erfolgen. Im Sommer 1996 ermittelte die Region Frankreich mit einem Pilotprojekt den Bedarf an Deutschland-Iinformation. Für Lyon ergaben sich zwei Schwerpunkte: Bibliotheken, sowie Tanz und Theater.

Seit Jahren bestanden schon freundschaftliche Kontakte zu den Kollegen der Lyoner Bibliotheken. Auf deren Bitten hatten wir die fachliche Organisation und finanzielle Unterstützung einer Studienreise nach München unternommen (1995). Dazu konnten wir im gleichen Jahr ein gemeinsames Projekt der vier Institutionen durchführen, die „Das deutsche Buch“ in Lyon zum Thema hatten: ein Literatur-Quiz mit Preisverleihung.

Und mit unseren Ansprechpartnern der verschiedenen Theaterhäuser konnten in den folgenden Jahren ebenfalls zwei Studienreisen durchgeführt werden. Die erste ging zu „Theater der Welt“ im Rheinland im Mai 2002, die zweite nach Berlin (Theatertreffen Mai 2004). Beide Reisen waren sehr bereichernd und intensivierten die Kontakte zu den französischen Kollegen aus Lyon, Paris, und Aix-en-Provence.

Im Jahre 2006 gab es eine grosse Aussonderung von ca. 1.000 Medien (v.a. aus den Bereichen Literatur, Sprachlernmaterialien sowie Dokumentar-Videos) und die massive Abbestellung von Zeitschriften. Drei Viertel der Gelder für die Neuanschaffung der Medien wurden gekürzt. Andererseits gab es viele Webprojekte: neue Nummern des „Courrier Théâtrallemand“, Mitarbeit am Länderportal Frankreich, ein „Brecht-Quiz“, Gedichte online („Printemps des poètes“), und die "Band des Monats“ (Rock, Pop, Electro).

Diese dreieinhalb Jahrzehnte in der Bibliothek des Goethe-Instituts sind im Flug vergangen, mit vielen neuen Medien, neuen Interessensgebieten, neuen Informations-Möglichkeiten, ständig wechselnden Projekten. Besonders wichtig für mich sind die freundschaftlichen Beziehungen gewesen zu den Kollegen und Mitarbeitern im Institut und in der Region, sowie mit den Partnern und unseren Lesern der Bibliothek. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle besonders danken!

Mit den besten Wünschen für die Zukunft des Goethe-Instituts Lyon!


Ingrid Neumann-Moser