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Tijana Rakočević: SIE KOMMEN, UNS ZU ÜBERSCHWEMMEN

Brunnen
Nirgends geschrieben, dass sie uns überleben, doch so ist es.
Ich sehe das in ihrem Sickerstreben,
in der Art, mit der Glücksschwall an die Oberfläche quellt,
wie Champagner nach dem Korkensternflug.
Schön und selbstgenügsam, schleifen sie weise Kieselsteine,
auf denen du ausrutschen wirst.
Keinerlei Gezier in diesem Klar:
sogar wenn sie unverdrossen zu unseren Häusern vorstoßen,
tun sie dies, ganz als ob sie nur nachsehen wollten, was du da hast,
auch wenn sie Schlamm hinterlassen, gleich
Gästen, die sich nicht ausgezogen haben.
Der Ort, an dem sie vertrockneten, ist ein Tempel.
Da war der Fluss einst ein Anhalt, reine Macht
verkörpert im Frauenarm, der, aus voller Kraft ausholend
unerbittlich auf weißes Lakenstück eindrischt.
Manchmal höre ich in ihren Tiefen die wundervolle Njeri.
Ist es wahr, Mutter, sagt sie, es ist wahr. (…) Pssst – hör zu –
zwischen den Klippen donnern ihre Eisherzen.
Alles ist gut, solange es so ist.
Mit Körpern, in die sich Schiefer einschneidet,
erinnern sie an Ahninnen, von denen ich
meine Eigenschaften erbte. Am höchsten schätze ich Mut.
Keinerlei Vorsatz in dieser Anspannung:
Nur endlose Reinheit, die atmen macht,
einwärts.

Übersetzung: Olja Avir


 

1. Preis: Tijana RakoČeviĆ (Podgorica) für das Gedicht
"One dolaze da nas preplave" (Sie kommen, um uns zu überwältigen)

Das Gedicht "One dolaze da nas preplave" (Sie kommen, um uns zu überwältigen) ist eine gewaltige Ode an das Wasser. Der bereits im ersten Vers ausgesprochene Gedanke,  dass das Wasser den Menschen überdauern wird, entwickelt sich souverän anhand eindrucksvoller Bilder bis zum letzten, gleichsam gewaltigen Vers. Eine derart formulierte These befreit das Wasser von der kolonisatorischen menschlichen Perspektive und erhebt es zu etwas Archaischem, Uranfänglichem, etwas viel Mächtigerem und Wichtigerem als dem Menschen, wodurch der Mensch subtil, aber nicht weniger stark auf seine Umwelt aufmerksam gemacht wird.

 

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Tijana Rakočević wurde am 23. Juni 1994 in Podgorica geboren. Sie ist Doktorandin an der philosophischen Fakultät in Nikšić, Abteilung für die montenegrinische Sprache und südslawische Literatur, sowie Stipendiatin der Montenegrinischen Akademie der Wissenschaften und der Künste im Jahre 2016/2017. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit hat sie auch ein Poesiebuch "Sve blistavi kvanti" (Alles strahlende Quanten) publiziert. Ihre Werke - Essays, Darstellungen, Gedichte und Geschichten - wurden in mehrere Weltsprachen übersetzt und können in regionalen Literaturzeitschriften gefunden werden. Sie ist Redaktionsmitglied der Literatur- und Kulturzeitschrift "Fokalizator" aus Montenegro. Sie war Mitarbeiterin der Montenegrinischen Akademie der Wissenschaften und der Künste sowie der Anstalt für Lehrbücher und Lehrmittel in Podgorica. Derzeit ist sie für die Regierung Montenegros tätig. 2019 hat sie im Rahmen eines Wettbewerbs des Podgorica Art Festivals den ersten Preis für die beste Kurzgeschichte Montenegros gewonnen. Sie ist Autorin der besten Erzählung in der montenegrinischen Region Bihor (2020) sowie der besten überregionalen Queer-Erzählung (2021). Vom Kulturministerium wurde sie für die beste Kurzgeschichte beim IPA-Projekt HAMLET ausgezeichnet (Interregionales IPA-Programm für die grenzübergreifende Zusammenarbeit von Italien - Albanien - Montenegro). Sie ist Mitglied des montenegrinischen PEN-Zentrums.




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