Bornholmer Straße

Bornholmer Strasse Bornholmer Strasse | Foto: © ARD UfaFiction Nik Konietzy Am Grenzübergang Bornholmer Straße beginnt die Nacht als Farce: Ein kleiner Hund rennt von West nach Ost. Ein Genosse erstattet Meldung: „Unerlaubter Grenzübergang eines Hundes!“ Der Parteisekretär erklärt den Hund zum „operativen Fahndungsfall“, dafür sei seine Abteilung zuständig. Das Tier wird buchstäblich zum running gag in dieser Geschichte – und damit gibt der Regisseur auch die Tonart der Farce vor, die der Film zwar immer wieder bricht und doch niemals gänzlich vergisst. Er erzählt von den Ereignissen der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 erkennbar aus heutiger Sicht; er verweist auf mögliche Abgründe und verleugnet in keinem Moment das Wissen um den glücklichen historischen Ausgang.
 
Oberstleutnant Schäfer, der in dieser Nacht der Hauptverantwortliche für den Grenzübergang ist, erklärt eingangs, mit dem Hund habe man jetzt ein Problem; das wahre Problem indes wird erst noch kommen – mit der Erklärung des hohen Politfunktionärs Schabowski, der den Bürgern der DDR überraschend die lang ersehnte Reisefreiheit zusichert. Die Grenzsoldaten und ihre Kollegen vom Zoll können nicht glauben, was sie in ihrer Wachstube am Bildschirm gesehen haben. Schnell kommen die ersten Neugierigen, noch in sicherem Abstand zum Schlagbaum, doch die Menschen werden immer mehr, und bald fordern die ersten, wie versprochen nach drüben gehen zu dürfen. Die Ausreise haben sie weniger im Sinn als nur einen Bummel am Kurfürstendamm oder einen kurzen Besuch bei Freunden oder Verwandten. Wie mit der unaufhaltsam wachsenden und immer lauteren Menge umgehen? Das diktatorische System rächt sich, denn alle warten auf einen Befehl. Die Grenzsoldaten wollen ihn von ihrem Vorgesetzten bekommen, der ruft immer wieder vergeblich bei Oberst Kummer im „Operativen Leitungszentrum“ an, Kummer sucht am Telefon bei einem General Hilfe und bekommt sie nicht. Die Volkspolizei rückt an, Schäfer denkt, dies sei die Rettung – doch die Vopos suchen nur Rat bei ihm. Während sich der Obrigkeitsstaat selbst lahmlegt, eskalieren die Konflikte an der Bornholmer Straße. Die Menge, so befürchten die Männer in Uniform, könnten den Übergang stürmen, einer holt schon mal ein Schnellfeuergewehr aus dem Panzerschrank, ein anderer geht mit der Pistole auf einen Zivilisten los.
 
Schäfer, der sein Arbeitsleben an der Grenze verbracht und darauf auch seine Identität aufgebaut hat, muss eine Entscheidung treffen. Allein und nicht abgesichert durch einen Befehl. Um Blutvergießen zu vermeiden, öffnet er den Schlagbaum. „Ich habe gehandelt, wie ich handeln musste“, wird er hinterher feststellen. Am folgenden Morgen, daheim bei seiner Familie, erklärt er: „Ich habe heute Nacht die Grenze geöffnet!“ Seine Frau antwortet: „Darüber macht man keine Witze!“ Witze macht auch dieser Film nicht: Bornholmer Straße ist eine Tragikomödie, die sich die Freiheit nimmt, ihren wirklichen Helden ausgerechnet unter den ungeliebten Grenzsoldaten der DDR zu suchen und zu finden.

Hans Günther Pflaum, 07.05.2015

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