Martin Schäuble
Bücher-Realitäten

Bücher-Realitäten
© Martin Schäuble

„Gibt es im Hotel eine kleine Bibliothek?“, erkundige ich mich zwei Uhr nachts per Telefon an der Rezeption. Ich kann nicht schlafen und will etwas lesen. „Wie bitte?“, fragt die Rezeptionistin nach. Es ist ein riesiges Hotel voller Prunk und Glitzer in Sankt Petersburg. Von der Preisklasse eher ein Hotel für Digital-Manager als für Print-Autoren.

Doch ich bin eingeladen und auf Durchreise. Per Room-Service kann man sich einen 1200-Euro-Champagner bestellen. In der Karte steht auch ein besonders reifer Cognac für über 27000 Euro (ich halte das bis heute für einen Druckfehler).

Ich will lesen und die Frau an der Rezeption muss mich enttäuschen. „Wir haben keine Bibliothek.“ Das Hotel hat Saunen, Restaurants, ein Business-Center, Mode- und Schmuckgeschäfte, Säle wie zu Zarenzeiten, eine Bar, die nie schließt, bei der Prostituierte auf Männer warten … Ich will nicht aufgeben in Sachen Büchersuche.

„Gibt es einen kleinen Bücherraum vielleicht?“
„Nein“, sagt die Frau von der Rezeption.
„Irgendwo ein Regal mit Romanen?“
„Nein.“
„Irgendein Buch, ich lese alles, egal.“
Inzwischen bin ich verzweifelt und würde auch eine verstaubte Ausgabe von Reader’s Digest mit ins Bett nehmen.
„Tut mir leid“, sagt sie ruhig und nett. „Aber kommen Sie doch morgen früh einmal an die Rezeption. Vielleicht können wir Ihnen da helfen.“

Mir helfen? Brauche ich einen Psychologen, wenn ich nachts ein Buch lesen will? Oder sollen wir da gemeinsam auf die Suche gehen? Nach dem Motto: Irgendwo im Gebäude muss es doch noch so ein komisches Ding aus Papier geben …

Egal. Ich weiß es nicht, weil ich am nächsten Tag schon wieder weg bin. Immer mit dem Goethe-Institut auf dem Weg zu Orten, an denen Bücher noch eine Rolle spielen und wir engagiert mit Leserinnen und Lesern diskutieren – egal, ob über meine Dystopie (die Scanner), über meine Sachbücher oder über das, was die Leute gerade bewegt. Und nicht selten landen wir – ohne zu wissen, wie das geschah – in einer Debatte über Homophobie und Xenophobie.

Und am Ende vieler Veranstaltungen halte ich eine kleine Liste mit Büchern in meiner Hand, die mir empfohlen wurden, für meinen Nachttisch, zum Beispiel.

Danke an alle!