„Die Fehde“
Ein Fototagebuch von Olga Matwejewa

„Die Fehde“: Fototagebuch-1
„Die Fehde“: Fototagebuch-1 | Foto: © Olga Matwejewa

Im Juni dieses Jahres fand in Wien zum zweiten Mal das „Vienna Photobook Festival“, ein internationales Festival für Fotobücher, statt. In der kurzen Zeit seines Bestehens hat es dieses Festival geschafft, zu einem Ereignis innerhalb der Fotowelt zu werden und mehr als 500 Verlagshäuser anzuziehen. Der Hauptpreis bei den Fotobüchern, der in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen wurde, ging an „Feud“, eine Arbeit der 28-jährigen russischen Fotografin Olga Matwejewa. „Feud“ ist ein persönliches Fototagebuch, das Olga während der Ereignisse auf der Krim 2013/2014 führte. Die politischen Ereignisse dieser Zeit vermischen sich bei ihr mit dramatischen Ereignissen aus ihrem Privatleben.

Wie ist die Idee zu diesem Projekt entstanden?

Dieses Projekt ist im Gegensatz zu vielen anderen, die ich gemacht habe, spontan entstanden. Ich hatte schon lange mit dem Gedanken gespielt, mal für eine längere Zeit auf der Krim zu leben. Anfang Dezember bin ich dann mit jemandem, der mir sehr nahe stand, nach Jalta gezogen. Ich hatte ursprünglich geplant, ganz andere Projekte umzusetzen – aber dann hat es sich eben so ergeben, dass sich die Ereignisse des politischen Lebens und meines Privatlebens parallel zueinander entwickelten. In dem Maße, wie sich der ukrainisch-russische Konflikt verschärfte, veränderte sich unerwartet auch unsere Beziehung. Die einmal heftigen, starken Gefühle verwandelten sich an einem bestimmten Punkt in einen ebenso starken Hass und eine Feindschaft zwischen uns. Ich kann mir schwer erklären, woher wir die Kraft für einen derart leidenschaftlichen Kampf zwischen uns genommen haben. Während ich weiter in Jalta lebte, begann ich also damit, intuitiv all das festzuhalten, was mit mir und um mich herum vor sich ging – in Form eines persönlichen Tagebuchs. Zu dieser Zeit dachte ich noch gar nicht daran, dass daraus einmal ein eigenes Projekt entstehen könnte. Anders gesagt: dass ich dieses Projekt einfach würde machen müssen.

Dein Buch heißt „Feud“. Wie bist du auf diesen Namen gekommen?

Ich habe lange nach einem Begriff gesucht, der den privaten wie den politischen Konflikt gleichzeitig beschreiben könnte. Dann entschied ich mich dazu, das Buch „Die Fehde“ zu nennen – auf Englisch also „Feud“. Meiner Meinung nach ist das eine sehr gelungene Übertragung.

"Die Fehde": Fototagebuch-2 Foto: © Olga Matwejewa
Die Fotos aus deinem Privatleben korrespondieren im Buch mit Aufnahmen von Ereignissen auf dem Maidan, die Youtube-Reportagen und anderen frei zugänglichen Quellen entnommen sind. Wie hast du diese Fotos ausgewählt, und nach welchem Prinzip hast du sie angeordnet?

Im Buch gibt es eine ganz bestimmte Struktur: sie ist als eine logische Abfolge von Sequenzen aufgebaut, wie eine Art Narrativ. Und was die Auswahl angeht: die Aufnahmen, die ich aus Nachrichten-Quellen herausgenommen habe, sind allgemeinere Symbole, die in den Kontext der jeweiligen Situation – einer sozialen Anspannung – gestellt werden. Unter anderem habe ich Bilder ausgesucht, die von der Komposition und vom Konzept her mit meinen eigenen Fotos korrespondieren. Im Buch gibt es fast keine Aufnahmen, auf denen Gesichter zu sehen sind, weil ich diese Geschichte so universell wie möglich erzählen wollte. Und, im Prinzip – wenn auf dem Umschlag nicht eine Karte der Krim abgebildet wäre, sondern die eines anderen Landes mit einer politisch ähnlich angespannten politischen Situation, würde sich der Sinn des Projekts kaum verändern.

Bevor du 2013 die Rodschenko-Schule für Fotografie absolviert hast, hattest du schon eine Ausbildung als Politologin abgeschlossen. Dein Diplom-Projekt hast du im Kosovo realisiert, und jetzt das neue Buch über die Krim: Politik ist in deinen Projekten stark vertreten. Was fasziniert dich so sehr daran?

Ich würde nicht sagen, dass meine Projekte direkt politisch sind, aber sie sind – in diesem oder jenem Sinne – politisch inspiriert. Die große Politik ist ein großes Geschäft für große Leute mit ganz bestimmten Interessen, und diese steht abseits von Romantik, Moral und einem seelischen Gleichgewicht. Warum mich das interessiert? Es ist interessant, sich mal anzusehen, wie sich diese Prozesse auf das Leben ganz einfacher Menschen auswirken. Daran kommt man in keinem Fall vorbei – du wirst gegen deinen Willen in das Ganze hineingezogen. Darin steckt auch das Element der Gewalt, das ist sehr prinzipiell. Und im privaten Raum passiert das Gleiche: du wirst in eine Neugestaltung mit hineingezogen, die du niemals selbst initiiert hast. Du wirst also zur Marionette, und das ist der Moment, in dem sich Privates und Politisches verbindet – in dem du nicht mehr Herr deiner selbst bist. Genau diesen Moment habe ich versucht, in meiner aktuellen Arbeit nachzuzeichnen.

"Die Fehde": Fototagebuch-3 Foto: © Olga Matwejewa

Dein Buch ist im Format eines persönlichen Tagebuchs aufgemacht, für das auch private Fotografien verwendet werden – darunter ziemlich offenherzige Aufnahmen. Jedes Mal, wenn ich mir solche Bilder ansehe, kommt bei mir die Frage hoch, wie sich wohl der Fotograf dabei fühlt – der ja immerhin einen Teil seines Privatlebens für ein größeres Publikum aufdeckt? Wo verläuft für dich die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum?

Das Fototagebuch bietet einen sehr ehrlichen Ansatzpunkt. Davon abgesehen ist es meine erste Arbeit in diesem Format, also ein Experiment. In diesem Buch sind wirklich auch sehr intime Fotos enthalten – aber ab dem Moment, in dem ich anfange, mit ihnen als Buchmaterial zu arbeiten, werden sie für mich zu einem Teil des Arbeitsprozesses. Und das ist ein sehr fragiler Moment. Einerseits mache ich dieses Projekt, weil ich es machen muss – weil es sehr tiefe persönliche Gefühle in mir hervorruft. Und andererseits höre ich ab einem bestimmten Moment auf, mich mit den auf diesen Fotos abgebildeten Personen zu identifizieren. Deswegen habe ich in Bezug auf die Arbeit keinerlei persönlichen Konflikte.

"Die Fehde": Fototagebuch-4 Foto: © Olga Matwejewa

Diesen Sommer hat „Feud“ auf dem internationalen „Vienna Photobook Festival“ seinen ersten Preis abgeräumt. Was bringt eine solche Auszeichnung – abgesehen von der Anerkennung deiner Arbeit und der Möglichkeit, „Feud“ in Österreich zu verlegen, denn auch das ist ja ein Preis – einer jungen Fotokünstlerin?

Heute ist es für junge Künstler schon möglich, einen Herausgeber zu finden – aber der Fakt, dass du einen prämierten Platz in einem Wettbewerb belegt hast, gibt deiner Arbeit noch mal einen zusätzlichen Status. Das ist ein großartiger Start. Und, klar: wenn dein Buch in vielen europäischen Ländern und in Japan verkauft wird, dann kennt eine große Anzahl von Leuten deinen Namen, und das nächste Projekt lässt nicht mehr lange auf sich warten.

"Die Fehde": Fototagebuch-5 Foto: © Olga Matwejewa

Du bist regelmäßig zu Portfolio-Checks in Europa und gestaltest dort deine Projekte, vor ein paar Jahren hast du im Rahmen einer Artist Residence auch einige Monate in Düsseldorf verbracht. Wie gefragt sind junge russische FotokünstlerInnen in Europa?

Meiner Meinung nach sehr gefragt. In Österreich und Deutschland stelle ich ein gestiegenes Interesse fest. Obwohl die Grenzen schon seit einigen Jahrzehnten offen sind, wird Russland immer noch als ein geheimnisvolles Land wahrgenommen. Alle wollen ein bisschen näher heranrücken, den Vorhang zur Seite schieben und die Welt mit den Augen von Vertretern der russischen Kunstszene sehen. Damit geht vielleicht auch einher, dass von der russischen Fotografie immer noch eine gewisse Exotik erwartet wird.

Kann man sagen, dass die neue russische Fotografie sich in den letzten Jahren ein eigenes „Gesicht“ mit Wiedererkennungseffekt, also eine Art Identität erworben hat?

Wir haben da vereinzelte Namen, aber eine einheitliche Tendenz der visuellen Tradition ist in der russischen Fotografie nicht vorhanden. In Russland gibt es wenige Institutionen, die Künstler unterstützen würden. Das ist auch einer der Gründe, warum talentierte russische Kunstschaffende in Russland unbekannt, im Ausland dagegen aber bekannt sind. Denn dort kann man Stipendien, Förderungen, Künstler-Residenzen und interessante Festivals auftreiben – in Russland ist das alles leider viel weniger präsent. Ich glaube aber, dass sich die Situation Schritt für Schritt ändern wird.