Susan Bernofsky im Interview
„Es gibt keine unübersetzbaren Autoren“

Susan Bernofsky
Susan Bernofsky | Foto: Goethe-Institut e.V.

Mit dem Helen und Kurt Wollf Übersetzerpreis sowie dem Gutekunst Preis zeichnet das Goethe-Institut New York hervorragende Übersetzungen vom Deutschen ins Englische aus. Auch Susan Bernofsky erhielt einen der Preise. Im Interview berichtet sie über die Besonderheiten der deutschen Sprache und erklärt, warum Werke von Frauen viel seltener übersetzt werden als die ihrer männlichen Kollegen.

Frau Bernofsky, wozu braucht man in englischsprachigen Ländern deutsche Literatur?

Die deutsche Sprache besitzt eine außergewöhnlich reiche Literaturtradition und Ansätze des Geschichtenerzählens, die im Englischen einfach nicht vorhanden sind. Die Vorstellungen darüber, wie man als Schriftstellerin oder Schriftsteller an einen Roman herangeht, was eine Geschichte darstellt, sind unterschiedlich. Den Feuilletonismus, eine Tradition, die enorm produktiv für den literarischen Ausdruck im Deutschen war, gibt es im Englischen nicht in vergleichbarer Weise. Für amerikanische und englischsprachige Leserinnen und Leser eröffnen sich neue Perspektiven im Hinblick auf die Erzählung und darauf, was eine Geschichte darstellt, wenn man ihnen Zugang zu dieser Literatur verschafft.

Welches sind die Besonderheiten beim Übersetzen aus dem Deutschen?

Die deutsche Sprache ist herrlich. Man kann sich unglaublich spezifisch und präzise ausdrücken. Durch die stärker strukturorientierte Grammatik und die Deklinationen kann man die Dinge in eine andere Reihenfolge bringen, was enorme Flexibilität mit sich bringt und eine sehr genaue Ausdrucksweise ermöglicht. Es ist sehr schwierig, das ins Englische zu übertragen, wo wir eine stärker verbal und auf das Vokabular ausgerichtete Sprache haben.

Im Deutschen gibt es verschiedene Präfixe, die zum Beispiel angeben, dass man den ersten Biss eines Apfels genommen hat. Dabei wird der erste Biss alleine durch das Präfix ausgedrückt: angebissen. Ich liebe die Ökonomie der deutschen Sprache und bin immer auf der Suche nach Möglichkeiten, das im Englischen wiederzugeben.

Und dann kann man im Deutschen diese unglaublich langen Sätze auf eine Art und Weise verfassen, die sich in keiner Weise gekünstelt oder unnatürlich anfühlt, sodass eine ganz andere Art des Denkens möglich ist. Im Englischen ist das nur schwer wiederzugeben. Der Übersetzende muss daher Möglichkeiten finden, dieses expansive Gefühl im Satz zu schaffen, ohne gegen sämtliche Regeln der englischen Grammatik zu verstoßen.

Als Homage an den “Women in Translation Month” August, ausgewählte Titel von Frauen geschrieben und übersetzt Als Homage an den “Women in Translation Month” August, ausgewählte Titel von Frauen geschrieben und übersetzt | © Goethe-Institut e.V. „Das Interesse an übersetzter Literatur scheint derzeit eine Art Renaissance zu erleben“

Wieso publizieren amerikanische Verleger nur so wenige übersetzte Werke?

Die Zahl der in den USA veröffentlichten Übersetzungen steigt allmählich. Es sind eine ganze Reihe neuer, meist kleinerer Verlage entstanden, die auf übersetzte Literatur spezialisiert sind, und ich habe das Gefühl, dass das Interesse an internationaler Literatur bei der jüngeren Leserschaft groß ist.

Deutsch ist derzeit eine der am häufigsten übersetzten Sprachen in der Literatur. Ich denke, das ist auf die reiche deutsche Literaturtradition und das Bewusstsein der Menschen dafür zurückzuführen, was man gewinnt, wenn man Übersetzungen liest. Verleger dachten früher oft, dass sie übersetzte Bücher nicht so gut verkaufen könnten wie auf Englisch verfasste. In England wurde jedoch gerade bei einer Studie festgestellt, dass sich übersetzte Bücher in vielen Fällen sogar besser verkaufen als auf Englisch verfasste Werke. Das Interesse an übersetzter Literatur scheint derzeit eine Art Renaissance zu erleben – eine wahre Trendwende.

Waren Sie schon einmal so überzeugt von einem Buch, dass Sie es übersetzt haben, ohne vorab einen Vertrag mit einem Verlag zu haben?

Ein Buch ohne Vertrag zu übersetzen ist eines der verrückten Dinge, die junge Übersetzerinnen oder Übersetzer mit viel Energie, Zeit und Hoffnung machen. Solche Sachen habe ich in meiner Jugend gemacht und jetzt bin ich alt und zynisch und mache so etwas unter keinen Umständen mehr. Dabei sollte ich allerdings erwähnen, dass ich in den Neunzigerjahren Geschichten von Yoko Tawada aus Freude an der Sache übersetzt habe – sie ist eine wirklich wunderbare Autorin, deren Werke ich heute regelmäßig für New Directions übersetze.

Damals habe ich eine ihrer Geschichten in einer Zeitschrift gefunden und sie kurzerhand übersetzt. Ich habe ihr die Übersetzung geschickt und geschrieben „Hallo, ich bin ein Niemand und ich habe Ihre Geschichte übersetzt, weil sie mir gefällt. Darf ich sie veröffentlichen?“ Und sie schrieb sofort zurück und meinte „Toll, dass Sie meine Geschichte übersetzt haben! Hier ist noch eine. Können Sie die auch übersetzen?“ Und plötzlich hatte ich etwa 100 Seiten ihrer Werke übersetzt, unter anderem die Novelle Ein Gast, für die ich erst Jahre später einen Verlag fand. Es kommt also durchaus vor, aber für den Übersetzer ist das meistens eine gefährliche Sache.

Laudatio auf den Helen und Kurt Wolff Preisträger 2016 Daniel Bowles. Laudatio auf den Helen und Kurt Wolff Preisträger 2016 Daniel Bowles. | © Jacobia Dahm Was halten Sie von der Behauptung, dass bestimmte Autoren unübersetzbar sind?

Meine kurze Antwort ist, dass es keine unübersetzbaren Autoren gibt, sondern nur Autoren, deren Übersetzer noch nicht geboren sind. Die längere Antwort ist, dass es meiner Meinung nach eher eine Frage des Werks als des Autors ist. James Joyce ist ein berühmtes Beispiel: Portrait of an Artist as a Young Man („Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“) ist erheblich besser für die Übersetzung geeignet als beispielsweise Finnegan’s Wake, ein Werk, das schon deswegen kaum übersetzbar ist, weil es von vorneherein aus mehreren Sprachen schöpft. Dennoch gibt es mehrere deutsche Übersetzungen.

Schwer übersetzbare Bücher erfordern vom Übersetzer eine hervorragende schriftliche Ausdrucksfähigkeit und ein sicheres Gespür dafür, was Literatur in der Zielsprache ausmacht. Schwierige Werke erfordern besonders kreative und innovative Übersetzende und Übersetzungen.

„Die Verlage haben das Gefühl, dass sie nur ihre besten Autoren für die Übersetzung auswählen können“

Woran liegt es, dass mehr deutschsprachige Autoren als Autorinnen übersetzt werden?

Das ist nicht allein ein deutsches Phänomen. Die Frage, warum mehr Werke männlicher Autoren übersetzt werden und diese dann auch eher Literaturpreise gewinnen, wird in letzter Zeit weltweit heftig diskutiert. Viele Menschen haben viel Arbeit investiert, um der Frage auf den Grund zu gehen. Katy Derbyshire hat sich sehr intensiv damit befasst. Margaret Carson und Alta Price sind der Frage nachgegangen, warum die Werke von Frauen seltener übersetzt werden als die ihrer männlichen Kollegen. Zum Teil hat das mit den Verlagspraktiken in deutschsprachigen und anderen Ländern zu tun, in denen dieses Phänomen auftritt. Die Verlage haben das Gefühl, dass sie nur ihre besten Autoren für die Übersetzung auswählen können, und irgendwie scheinen Männer da schneller in Betracht zu kommen.

Wir Leser und Leserinnen müssen uns das bewusst machen. Wenn wir gerne Werke englischsprachiger Autorinnen lesen, dann lesen wir auch gerne übersetzte Werke von Autorinnen und müssen uns gezielt um diese bemühen. Es gibt weltweit eine Menge wirklich fantastischer Autorinnen und auch hier sehe ich eine Trendwende. Ich glaube, wir werden in Zukunft viel mehr fantastische Übersetzungen von Autorinnen sehen.
 

Goethe-Institut New York

Der Gewinner der Helen & Kurt Wolff Übersetzerpreises 2016

Daniel Bowles wurde für seine Übersetzung von Christian Krachts Imperium als diesjähriger Gewinner des Helen und Kurt Wolff Übersetzerpreises ausgewählt.