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Rap und Tradition
Die Stimme der unterdrückten Kulturen 

Áilu Valle in Sápmi
In seiner Musik drückt Áilu Valle sein Verhältnis zu seiner Kultur und der Natur aus.  | Foto (Detail): Marko Vasara

Wenn von Indigenen Völkern und ihren Traditionen die Rede ist, denkt man nicht als Erstes an Rap. Doch für den Musiker Áilu Valle ist er der perfekte Weg, um den Kampf der Sámi und ihr Verhältnis zur Natur auszudrücken. 

Von Áilu Valle

Musik und künstlerisches Schaffen haben für mich und mein Leben eine tiefgreifende Bedeutung. Gleichzeitig möchte ich, dass der Inhalt meiner Kunst auch eine tiefgreifende Bedeutung hat – denn die Sámi bestreiten den gleichen Kampf wie die Indigenen Völker auf der ganzen Welt, die unter Kolonialherrschaft gelitten haben. Ich empfinde es als extrem wichtig, die Stimme der unterdrückten Kulturen zu stärken, die für mich die Stimme der Natur darstellt.
 
Alle Beteiligten an der Produktion des Albums Viidon sieiddit wirkten auch bei unseren Kunstinstallationen innerhalb einerAusstellung im Siida Sámi Museum mit und veröffentlichten ein Buch über die gewonnenen Erkenntnisse des Forschungs- und Kunstprozesses während des Projekts. Viidon sieiddit wurde als Teil des wissenschaftlich-künstlerischen Projekts „Die neue Dimension des Verhältnisses der Sámi zur Natur“ (2016–2019) produziert, unter Leitung des Soziologen Prof. Jarno Valkonen, und Prof. Sanna Valkonen von der University of Lapland, die sich auf Sámi-Forschung spezialisiert hat. Außerdem wirkten Marja Helanderund Stina Aikio als bildende Künstlerinnen mit. 

Das Album besteht aus neun Rap-Songs, produziert von Tatu A, Uyarakq, 169 und Tumma. Die weiteren elf Soundscapes stammen von der samisch-kanadischen Geigerin und Sounddesigerin Raquel Rawn. 

Zyklus der acht Jahreszeiten 

Diese Soundscapes aus Viidon sieiddit waren ebenfalls Teil der oben genannten Kunstausstellung im Siida Sámi Museum. Ihre Handlung folgt dem Zyklus der acht Jahreszeiten im Norden, beginnend mit der Polarnacht. Die Zeitrechnung der Sámi basiert auf dem Zyklus der Natur, insbesondere den jahreszeitlichen Verhaltensweisen der Rentiere. Der Bogen der Jahreszeiten spannt sich vom Frühling bis zum Winter und beginnt, wenn die trächtigen Rentierkühe vom Wald zu den Kalbungsgebieten in die Berge gebracht werden. Wenn im Sommer die Sonne nicht untergeht, werden die Kälber gekennzeichnet. An diese Jahreszeit schließen sich Frühherbst und Herbst an, wenn die Rentiere wieder zu ihren Winterweiden zurückkehren. Nach dem Frühwinter kommt der Winter, wenn die Sonne gar nicht mehr zu sehen ist. Die Rentiere und die Sámi warten dann draußen in den Wäldern auf die nächste Jahreszeit und der Zyklus beginn aufs Neue. 

In dem Album verwenden wir Klangmuster aus der Natur, die Niilo Rasmus von Ohcejohka aufgezeichnet hat. Diese Klangmuster sind die Ecksteine des ganzen Albums, um die wir die Soundscapes und die Raps herumgebaut haben.  

Heilige Felsen 

In diesem Essay möchte ich gern den Titelsong des Albums „Viidon sieiddit – Widened Sacred Rocks” (Weite Heilige Felsen) vorstellen, einen durch Trommel und Bass beeinflussten Rap-Song, der von dem DJ 169 aka Mio Negga aus Ubmie (schwedisch:Umeå) produziert wurde, das zu dem schwedischen Gebiet von Sápmi zählt. 

Der Titel des Songs bezieht sich auf die gegenwärtige Situation der Sámi: Sie sind zwar Teil der modernen globalen Kultur, haben aber auch gleichzeitig noch immer eine starke Bindung an ihre traditionelle Lebensweise. „Sacred rocks“, heilige Felsen, spielen in der Sámi-Kultur als Orte der Verehrung eine wichtige Rolle. Sie zeigen die Verwurzelung der Kultur beispielsweise in der starken regionalen Naturverbundenheit der Sámi. Dennoch sind wir heutzutage auch der Natur weltweit über die von uns genutzten technischen Geräte verbunden, ob wir es wollen oder nicht. 

Der Song erzählt von den Herausforderungen, die das Leben in unserer heutigen Welt an uns Sámi stellt, der Kampf um das Bewahren der traditionellen Kultur in der sich rapide verändernden Welt. Die Aussage im Refrain „Sámi, die als letzte die Skier benutzten und die ersten, die Schneemobile verwendeten“ ist ein Zitat des legendären Ole Henrik Magga, einem Linguistik-Professor und Sámi-Politiker. Das Zitat demonstriert perfekt den Kern der Sámi-Kultur, die Fähigkeit, sich anzupassen. In dem Album finden sich auch Songs, in denen ich distanzierter über Herausforderungen allgemein rede und mögliche Lösungen andenke, die natürlich von jedem eine Handlung erfordern, insbesondere von denjenigen in Machtpositionen. 

Durch mein künstlerisches Wirken habe ich immer wieder meine Träume erfüllen können und konnte mit Dingen experimentieren, die ich mir nie hätte vorstellen können, als ich in der kleinen Rentierzüchtersiedlung Gámasmohkki aufgewachsen bin. Ich habe mit einer Reihe von Rap-Künstler*innen zusammengearbeitet, zu denen ich früher aufgeschaut habe, als ich noch nicht davon zu träumen wagte, dass ich eines Tages mit dem Karriere machen würde, was ich am liebsten mache: ein Musiker sein. Ich habe mit Paleface, Asa, Julma H, Mokoma zusammengearbeitet, bin mit Mari Boine und Sofia Jannok aufgetreten, um nur einige zu nennen. Ich durfte vor Präsident*innen und Minister*innen auftreten und in Paris, Berlin, Seattle und Mexiko-Stadt Konzerte geben. 

Viidon sieiddit wurde von Tatu A, Uyarakq und 169 gemixt. Die Digitalversion stammt von Uyarakq und die demnächst erscheinende Vinylversion bearbeitete Tommi Langen. Das Projekt wurde von Koneen Säätiö finanziert, die Kosten für die Produktion des Albums übernahm Taike. 
 

Viidon sieiddit – Widened Sacred Rocks

[1. Strophe]  
 
Hüten, die Herde hüten  
Dem Wetter folgen, der Seele folgen  
Die Zahlen ausgleichen, vor den Feinden schützen  
Und den Raubtieren, in der „Goathi“ (Torfhütte, Kote) die Info weitergeben  
Beim Kochen Geschichten erzählen  
Bescheiden sich um Dinge kümmern  
Am Lagerfeuer erzählen  
Mit Joiks (nordsamischer Gesang) retten, erinnern  
Sich um die Umwelt kümmern, die Familie  
Verwandte, die Siida-Gemeinschaften, eifrig, entschieden   

Mit Luft, Wasser und Erde kommunizieren  
Das Jagdglück von den Opfersteinen erbitten
Jahreszeiten lernen, günstige Standorte  
Über Nächte, Tage, Monate, Jahre  
Frühling, Sommer, Herbst, Winter  
Mit Geduld an Kraft und Elan zunehmen  

[Refrain]  

Die letzten, die auf Skiern waren  
- sich arrangieren, anpassen  
Die ersten, die mit Schneemobilen arbeiteten  
die Siida-Gemeinschaften bewegen es und antworten den Fjälls  
Sehnen wir uns wirklich nach der Vergangenheit  
- sich arrangieren, anpassen  
Wenn sich die Zeiten ändern, weiten sich die heiligen Felsen  
- die Siidas passen sich den neuen Situationen an  
 
[2. Strophe]  
 
Oh, sollten wir in die Vergangenheit zurückkehren  
Eigentlich war es keine Zeit zum Vergnügen  
Um Zeit zum Ausruhen zu haben, musste man  
Ständig auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten sein  
Jetzt ist es viel einfacher, das Wetter zu überstehen  
Schneemobil, Motor, einen Transport bestellen  
Es ist möglich, ein Leben zu retten  
egal ob Sturm oder (Wind)-Stille  
Natürlich überleben wir ohne sie  
Oder können wir noch  
Wissen wir uns noch zu helfen  
Hast du wieder verkauft, wieder gekauft, bist du wieder geflogen  
Aber was ist mit den äußeren Kräften  
Denunzieren, verurteilen  
Den Tod bringen, Absperrungen bauen  
Bei Tag angreifen, in der Dämmerung angreifen  
Einschränkungen, Vorschriften  
Gesetze, Gifte, Umweltverschmutzung  
Speisen in Räumen aus der Nähe 
Und gleichzeitig aus fernen Traditionen  
 
[Refrain]  
 
Die letzten, die auf Skiern waren  
- sich arrangieren, anpassen  
Die ersten, die mit Schneemobilen arbeiteten  
die Siida-Gemeinschaften bewegen es und antworten den Fjälls  
Sehnen wir uns wirklich nach der Vergangenheit?  
- sich arrangieren, anpassen  
Wenn sich die Zeiten ändern, weiten/verbreitern sich die heiligen Felsen  
- die Siidas passen sich den neuen Situationen an  

[3. Strophe]  

Die heutige Situation muss eingehend unter die Lupe genommen werden  
das vergessen die Kritiker  
Warum ist es so schwer zu sehen  
dass wir allein die Natur unsere Meinung prägen lassen  
Blinde vertrauen den Einzelnen  
Und den Pyramiden der Macht  
Wenn es der einzig gangbare Weg ist, lokalen „Regimen“ die Autorität zurückzugeben  
Wir haben die Kraft, wenn wir es riskieren  
Gemeinsam gegen die großen Teufel zu kämpfen  
Um des Lebens willen ist es jedermanns Verantwortung  
Unsere Dinge werden von der Natur regiert  
Unsere Dinge werden von den Rentieren regiert  
Wir selbst wissen, wie diese Länder bestimmt werden müssen  
Nicht diejenigen, die von der Natur getrennt sind  

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