Mai 2012:
Kulturelles Projekt Europa - Gute Nachbarschaft muss gepflegt werden

In einem Artikel in der Zeitung des Deutschen Kulturrates mit dem Themenschwerpunkt 50 Jahre Deutsch-Französische Freundschaft schreibt Johannes Ebert über die Bedeutung der Arbeit des Goethe-Instituts in Frankreich.

Juli 2012. Fast zur gleichen Zeit, als Frankreichs Premierminister Jean-Marc Ayrault im französischen Parlament seine Regierungserklärung abgibt, hält unweit davon Bundesaußenminister Guido Westerwelle eine Rede zum 50-jährigen Jubiläum des Goethe-Instituts Paris. Das politische Projekt Europa wird nur gelingen, wenn wir es viel starker als bisher auch als kulturelle Gestaltungsaufgabe begreifen, sagt der deutsche Außenminister. Bewegend erzählt er von seinen ersten persönlichen Begegnungen mit Franzosen als Jugendlicher. Auch Premier Ayraults Beziehung zu Deutschland geht tief: Er studierte Germanistik unter anderem in Würzburg und arbeitete vor seiner Wahl zum Abgeordneten als Deutschlehrer.

Der Elysée-Vertrag, der vor fast 50 Jahren unterzeichnet wurde, schuf den Rahmen für die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich, die in vielen Bereichen zum Motor der europäischen Integration wurde. Die entscheidende Grundlage für eine echte Aussöhnung bildeten die zahlreichen persönlichen Beziehungen und Berührungspunkte, für die Ayrault und Westerwelle symbolhaft stehen: Jugendliche in Austauschprogrammen, Städtepartnerschaften, Kulturbegegnungen, französische Schülerinnen und Schüler, die Deutsch lernen, und deutsche Schülerinnen und Schüler, die über die französische Sprache den ersten Kontakt mit dem Nachbarn bekommen.

Auf der Grundlage solcher Begegnungen ist in den vergangenen 50 Jahren ein einzigartiges Beziehungs-Netzwerk entstanden, an dessen Entstehung die Goethe-Institute in Frankreich und die französischen Kulturinstitute in Deutschland einen wesentlichen Anteil haben. Die Goethe-Institute in Paris, Nancy, Lyon, Toulouse, Bordeaux und Lille, die ein großes Netz an deutsch-französischen Kulturgesellschaften betreuen, informieren über Deutschland, öffnen den Zugang zur deutschen Kultur und fördern das Erlernen der deutschen Sprache an Schulen und Universitäten.

In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sahen sich die Goethe-Institute angesichts der weltpolitischen Umwälzungen in Osteuropa und Asien neuen Herausforderungen gegenüber. In Mittelosteuropa und der ehemaligen Sowjetunion galt es, eine historische Chance zu ergreifen und ein beispielloses Interesse an Deutschland, an deutscher Kultur und Sprache zu befriedigen. Viele hielten damals vor diesem Hintergrund die EU-Nachbarschaften – etwa zwischen Deutschland und Frankreich – für so gefestigt, dass sie glaubten, die Arbeit nationaler Kulturinstitute in diesen Ländern könne zugunsten der neuen Aufgaben reduziert werden.

Heute, vor dem Hintergrund einer Krise, die die Europäische Union in ihren Grundfesten erschüttert, sind solche Überlegungen kaum denkbar. Auch wenn die ökonomische Situation die Medienberichte dominiert, dürfen wir nicht vergessen, dass Europa ein kulturelles Projekt gesellschaftlicher Werte ist. Und auch wenn das Thema, die Strukturkosten zu senken, angesichts sinkender nationaler Haushalte auch die Kulturinstitute nicht loslassen wird, so geht es heute nicht darum, eingesparte Ressourcen in andere Weltgegenden zu verlagern, sondern Freiräume zu gewinnen für die Arbeit in Europa: Es geht darum, den Austausch zwischen den Ländern der europäischen Union zu fördern und nachhaltige Prozesse des gegenseitigen Verstehens zu intensivieren, die tiefer gehen als kurzfristige politische Differenzen. Es geht darum, ein europäisches Bürgerbewusstsein zu verstärken, das nationale Identitäten berücksichtigt, aber doch ermöglicht, dass sich der Einzelne als Europäer fühlt und handelt. Und hierbei können Frankreich und Deutschland, die Goethe-Institute und die französischen Kulturinstitute mit ihren Netzwerken und ihrer großen Erfahrung im interkulturellen Austausch gemeinsam Zahlreiches bewirken. Herausforderungen gibt es viele: Gute Nachbarschaft ist keine Selbstverständlichkeit, sondern muss dauerhaft und aktiv gepflegt werden. Das gilt gerade auch für die nachwachsenden Generationen, für die der Abschluss des Elysée-Vertrags wenig mehr ist als ein fernes historisches Ereignis. Dabei spielt die Sprache – die deutsche wie die französische – eine Schlüsselrolle. Diesen Türöffner durch modernen Sprachunterricht, Qualifizierungsangebote für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer und Beratung von Bildungsinstitutionen zur Verfügung zu stellen und Freude an der Sprache des Anderen zu wecken, sieht das Goethe-Institut als eine zentrale Aufgabe. Informationsangebote, die das Verständnis für den Anderen fördern, und kulturelle Programme gerade auch für junge Menschen, die Vertrauen und Empathie erzeugen, bleiben in den bilateralen Kulturbeziehungen weiter wichtig.

Europa heißt das große kulturelle Projekt, das unseren Einsatz heute mehr denn je erfordert. Die deutschen und französischen Kulturinstitute arbeiten hier eng zusammen. In einem Abkommen haben sich Institut français und Goethe-Institut einer engeren Zusammenarbeit verpflichtet. So führen die sieben Goethe-Institute und zehn deutsch-französischen Kulturgesellschaften in Frankreich sowie die elf Instituts français in Deutschland gemeinsame Projekte durch. Aber auch international realisieren Deutsche und Franzosen gemeinsame Kulturprogramme und demonstrieren eindrucksvoll, wie aus ehemaligen Erbfeinden befreundete Nachbarn werden können. Der Wille zur Zusammenarbeit beschränkt sich jedoch nicht nur auf bilaterale Kooperation. Goethe-Institut und Institut français sind wichtige Akteure von EUNIC, dem Netzwerk der nationalen europäischen Kulturinstitute. Gemeinsame Programme rund um den Globus verdeutlichen den hohen praktischen und ideellen Mehrwert europäischer Zusammenarbeit. Diese zu intensivieren, auch indem wir neue Programmformate initiieren und aktuelle europäische Fragestellungen in den Mittelpunkt rücken, ist eine der Zukunftsaufgaben deutsch-französischer Kultur-Kooperation.