25. September 2012:
Impulsvortrag von Johannes Ebert anlässlich der Konferenz Kultur. Markt. Entwicklung

In seinem Vortrag spricht Johannes Ebert über die Schnittstellen von Kultur, Markt und Entwicklung und die Rolle der Kreativwirtschaft.

Sehr geehrte Frau Müller,
sehr geehrter Herr Dr. Kreft,
sehr geehrte Frau Gönner,
sehr geehrter Herr Dr. Hartstein,
liebe Frau Rüland,
lieber Ronald Grätz,
sehr verehrte Damen und Herren,

Die heutige Konferenz ist – wie wir gehört haben – Bestandteil einer Veranstaltungsreihe, die die Arbeitsgruppe „Kultur und Entwicklung“ seit mehreren Jahren in Bonn organisiert. In dieser Arbeitsgruppe arbeiten die staatlich geförderten Mittler der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik mit den Durchführungsorganisationen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zusammen, die inzwischen zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ fusioniert wurden, und mit der Deutschen Welle, die auch diese Konferenz wieder in ihrem Saal beherbergt.

Die Gruppe geht davon aus, dass eine Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg Synergien schafft und Wirkungen erzeugt, die ein Mittler oder eine Durchführungsorganisation für sich allein genommen nicht erreichen könnte.

Dies gilt auch für das aktuelle Thema: Kultur. Markt. Entwicklung. Und hier spreche ich ausdrücklich nicht nur für das Goethe-Institut, sondern auch für die anderen Mittler der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, den DAAD, und das Institut für Auslandsbeziehungen, das ifa: Entwicklung und die internationale Zusammenarbeit kann nur stattfinden, wenn der „Markt“ nicht nur ökonomisch betrachtet wird und eine einseitige Marktförderung bleibt, wenn sie nur marktwirtschaftliche, finanzielle Aspekte berücksichtigt und vornehmlich zwischen Regierungen ausgehandelt wird. Nein – und hier sehe ich die Kernkompetenz, das „fehlende Verbindungsstück“ – erst durch eine Verständigung über die Kultur, die kulturellen Ausdrucksweisen und über Kulturproduktionen wird wirtschaftliche Entwicklung sinnvoll und zugkräftig. Vergleichbar ist die Funktion der Bildung: nicht eine ausschließlich auf den aktuellen wirtschaftlichen Bedarf hin ausgerichtete Bildungs- und Förderpolitik führt hier zum Ziel, sondern durch die Verständigung über die Grundlagen einer Gesellschaft, die kulturellen Errungenschaften und kulturellen Arbeitsweisen wird Bildung im umfassenden Sinne möglich.

Deshalb freue ich mich, dass wir, das ifa, der DAAD und das Goethe-Institut, diese Konferenz mitgestalten. Es braucht nicht nur einen „Markt“ im wirtschaftlichen Sinne, der Werte erzeugt und Arbeitsplätze im Kultursektor schafft, sondern auch einen Marktplatz, auf dem über Werte der Kultur, der Bildung und der Entwicklung verhandelt wird: durch internationale kulturelle Zusammenarbeit und durch akademischen wie kulturellen Austausch. Das ist das „Salz in der Suppe“ der internationalen Zusammenarbeit.

Die so genannten Creative Industries sind keine neue Erscheinung, immer schon standen hinter den kreativen Szenen die kreativen Branchen, haben Künstler und Kulturschaffende, Kulturorganisatoren und Kulturvermittler mit Kunst und Kulturproduktionen ihren Lebensunterhalt bestritten oder dieses versucht.

Erlauben Sie mir eine kleine Nebenbemerkung. Nicht immer ist es für Künstler – insbesondere in Ländern der Entwicklungszusammenarbeit und Transformation – leicht, sich vollständig über ihre künstlerische Tätigkeit zu finanzieren. Der berühmte ägyptische Autor Alaa al-Aswani, den ich vor zwei Wochen in Kairo getroffen habe, hat beispielsweise sein tägliches Auskommen lange als Zahnarzt bestritten. Dass er sich nun vollständig aus seinen literarischen Aktivitäten finanziert, ist für ägyptische Kulturschaffende ein Einzelfall.

Kultur ist ein eigener, eigenständiger gesellschaftlicher Bereich, der wesentlich ist für die Aushandlung und Definition unseres Wertegefüges und unserer gesellschaftlichen Identität. Insofern ist Kultur – das ist fast banal zu sagen – weit mehr als ein wirtschaftlicher Sektor im Sinne der Creative Industries. Kultur ist das, worauf unser Zusammenleben basiert. Kultur funktioniert aus dieser Perspektive nach eigenen Regeln und Gesetzen. Diese wirken in den wirtschaftlichen Sektor der Kreativindustrie hinein und treffen dort auf ökonomische Zusammenhänge. Warum rückt seit wenigen Jahren die Kreativindustrie immer stärker ins Zentrum der Förderinstitutionen? Dafür gibt es mehrere Gründe, und dieser Frage und ihrer Beantwortung will sich diese Konferenz „Kultur. Markt. Entwicklung“ widmen.

Ich nenne nur einige Stichpunkte:

Erstens:
Europa und Deutschland in Europa hat an sich selbst erfahren, wie wichtig die Kulturproduktion ist und möchte die Impulse, die von der „Kreativindustrie“ ausgehen, auch in andere Länder tragen, weil sie nachweislich wirtschaftliche und gesellschaftliche Erfolge zeitigen.

Aber hier müssen wir von unseren deutschen und innereuropäischen Erfahrungen lernen: Zum Beispiel macht sich regelmäßig nach dem „Rummel“ einer Kulturhauptstadt Ernüchterung breit, den Impuls dieses intensiv bespielten Jahres weiter lebendig zu halten. So gilt es auch zu überlegen, wie die neuen Kreativberufe und Kulturproduktion längerfristig Kunden gewinnen und nachhaltig wirtschaften können. Ich möchte hier die Konferenzteilnehmer ermuntern, das Aufkommen der Creative Industries mit einem längeren Zeithorizont zu betrachten.

Zweitens:
Wir sollten – und wollen – den umgekehrten Weg der Impulse bedenken: Es sollte uns auch interessieren, welche Überlebensstrategien Länder ohne die weltweit einmalige staatliche Förderung der Kultur- und Bildungsakteure in Deutschland entwickelt haben. Ganz Nollywood ist entstanden aus einem enormen Bedarf der Konsumenten, ohne staatliche Unterstützung, völlig informell. „Learning from Nairobi Mobility“ heißt ein Projekt des Goethe-Instituts mit der Hochschule für Design in Köln, bei dem Arbeitsweisen und Produktionsmechanismen der Straßenhändler in den großen Slums untersucht und dargestellt werden. Nicht umsonst haben sich dabei Kulturakteure, Künstler, Medienschaffende und Ethnologen zusammengefunden. Vielleicht kann eine Folge der Konferenz sein, solche multilateralen und multiperspektivisch besetzen Projekte zu identifizieren und neue gemeinsam zu konzipieren?

Drittens:
Wenn wir also durchlässig in beide Richtungen sein wollen und Aspekte der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kultur und der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigen wollen, müssen wir uns verständigen auf eine Förderungsmethodik, die die Regeln der Kulturproduktion und der akademischen Produktion berücksichtigt: Zum einen brauchen Wissenschaft wie auch Kultur kreative Freiräume, Freiräume im Sinne von „freien Denkräumen, frei von Zensur und Beschränkung“, aber auch als „freie Räume“ im räumlichen Sinne, als Möglichkeit zum Austausch durch Mobilität und Vernetzung, was den Diskurs sowohl innerhalb eines Landes, regional oder international fördert und belebt.

Ohne diese Freiräume können sich weder akademische noch künstlerische Erfolge entwickeln. Zum zweiten brauchen die neu geschaffenen oder verstärkt geförderten kreativen Wirtschaftszweige eine intensive Pflege und Beratung: Kompetenzen zur Professionalisierung der Produktionen, eine Förderung der Distribution, damit sie sich auf dem Markt behaupten können, und Investitionen in Bildungs- und Qualifizierungsprogramme. Auch die besondere Förderung von „jungen Talenten“ und die Förderung „gegen den Mainstream“ – beides Bereiche, die es in der freien Wirtschaft oft schwer haben, aber deren frühe Förderung sich längerfristig „bezahlt“ macht – sind oft der Grundstein für die Produktion von genuin Neuem und Innovativem. Für alle diese Bereiche steht das Goethe-Institut zur Verfügung, und ich erhoffe mir von Ihnen, den Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmern, Vorschläge und Empfehlungen an die Adresse der Veranstalter zu erhalten, wie sie, wie wir, bei Produktion, Distribution und Qualifikation der Creative Industries verstärkt aktiv werden können.