3. Oktober 2012:
Denk ich an Deutschland …

Johannes Ebert über das Deutschlandbild in der Welt und die Arbeit des Goethe-Instituts.

Eine sichere Quelle für Informationen jeder Art sind bekanntlich Taxifahrer. Beflissen, nur manchmal etwas mürrisch, geben sie Auskunft zu Wetter, Weltpolitik und allem Wesentlichen. Das gilt auch für das Deutschlandbild in der Welt. Möchte man wissen, wie es um das Ansehen unseres Landes bei Otto, Marianne oder Naoko Normalverbraucher bestellt ist, lohnt sich ein Blick in das globale Taxi. Auch wenn sich mein Taxifahrer in Kairo in erster Linie fußballkundig gibt. Mühelos subsumiert er die Gemengelage der deutschen Bundesliga. Sein Herz schlage auf jeden Fall für den FC Bayern. Es scheint, dass die regelmäßigen Reisen des Clubs und zuletzt die Teilnahme am Endspiel der Champions League ihre Wirkung nicht verfehlen. Als globale Botschafter Deutschlands ist der FC Bayern jedenfalls eine verlässliche Größe.

Der Taxifahrer, der unsere Kollegin mit feinen weißen Handschuhen durch das Straßengewirr Tokoys dirigiert, gibt sich leutselig: . „Das nächste Mal zeigen wir es ihnen“, deklamiert er stolz.. Gemeint ist damit keineswegs die jüngste Niederlage der Bayern in der Champions League, sondern die gemeinsame Kriegserfahrung Deutschlands und Japans. Eine fragwürdige Hommage an die Herkunft des deutschen Fahrgastes. Was die Situation rettet? Das allgegenwärtige Oktoberfest natürlich, ein weit unverfänglicheres Gesprächsthema. Natürlich gibt es auch in Tokyo es alljährlich ein „Beer Festival“, veranstaltet von der deutschen Handelskammer.

Neben Maßkrug und Blasmusik ist die deutsche Ingenieurskunst ein fester Bestandteil des Deutschlandbildes rund um den Globus. „Ein BMW oder Mercedes, ja das wäre schon ein Traum“ schwärmt der Taxifahrer in Singapur, der unsere Kollegin in seinem Toyota durch die 4-Millionen-Metropole fährt. In Europa ist der Taxidiskurs dieser Tage eher von der Eurokrise geprägt. Unverhohlen zeigt der Fahrer eines Athener Kollegen seinen Unmut über das Schlamassel, das „die Europäer da im schönen Griechenland angerichtet haben“. „Deutschland ist jetzt gefragt“ – heißt es dagegen in einem Warschauer Taxi, ein durchaus bemerkenswertes Bekenntnis, wenn man an die Ängste der Nachbarn vor einem übermächtigen Deutschland bei der deutschen Wiedervereinigung denkt. Einzig der Taxifahrer in London war – oh Wunder! – nicht willens, sich auf das dünne Eis der Politinterpretation zu begeben. „Germany has changed“, erklärt er staatsmännisch. Die Fußball-WM 2006 habe viel verändert, die Briten hätten seither ein ganz anderes Bild von den Deutschen – aber die würden ja auch erstmals in ihrer Geschichte „richtigen Fußball“ spielen.

Bier, BMW und Bayern – im Großen und Ganzen funktionieren sie mit ungebrochener Kraft, die alten Stereotype, die unserem Land weltweit ein Gefühl etwas unterkühlter Hochachtung einbringen. Neu dazu gekommen ist in den letzten Jahren mit „Berlin“ ein weiteres wirkmächtiges „B“. Die deutsche Hauptstadt steht als eine fast eigenständige „Submarke“, die die traditionellen Komponenten des Deutschlandbildes in interessanter Weise ergänzt und modifiziert. Wird Deutschland auch im 21. Jahrhundert reflexartig mit Präzision, Pünktlichkeit und ein wenig Langeweile assoziiert, punktet Berlin mit dem „Charme von kreativem Chaos“. Zahllose junge Kreative aus aller Welt, die sich in Berlin niedergelassen haben, senden diese Botschaft an ihre Freundeskreise daheim und agieren so als authentische „Markenbotschafter Deutschlands“.

Ein solcher ist qua Amt auch das Goethe-Institut. Mit seinem Netz von derzeit 149 Instituten in 93 Ländern beeinflusst es seit 60 Jahren das Deutschlandbild. „Sprache. Kultur. Deutschland.“, lautet der Claim, der seine Arbeit in größtmöglicher Verknappung zusammenfasst. Die „Spracharbeit“ besteht unter anderem aus den rund 21.500 Kursen, an denen 2011 mit 234.587 Teilnehmerinnen und Teilnehmern so viele Menschen unsere Sprache gelernt haben wie nie zuvor. Zudem betreut das Goethe-Institut die Dozenten und Lehrerinnen und Lehrer in aller Welt. Das breite Fortbildungsangebot sorgt dafür, dass sich unsere Partner aus den Erziehungssystemen in Deutschland auch immer wieder selbst ein Bild davon machen können, wie es in unserem Land aussieht. Mehr als 5.000 Kulturveranstaltungen pro Jahr ermöglichen zudem einen differenzierten Eindruck davon, was in unserem Land gedacht, erdichtet und ersonnen wird – ein Spiegel der kulturellen Vielfalt und Dichte unseres Landes. Neben „Spracharbeit“ und Veranstaltungen sind es die aktuell insgesamt 95 Bibliotheken des Goethe-Instituts, die in 68 Ländern Informationen über Deutschland anbieten. Schließlich wird das Deutschlandbild auch durch den multimedialen, vielsprachigen Internetauftritt des Goethe-Instituts mit geprägt. Bei Genese und Präsentation seiner Projekte verzichtet das Goethe-Institut bewusst auf die große Geste des Kulturexports. Seit 60 Jahren setzt es konsequent auf die Kraft des Dialogs auf Augenhöhe. Dies wird weltweit als ein Stück gelebter Demokratie erlebt, ein Ansatz, der seinerseits das Deutschlandbild nicht unerheblich prägt.

Das individuelle Informationsverhalten unterliegt indes in allen Teilen der Welt einem stetigen Wandel. Für die Bibliotheken des Goethe-Instituts mit ihrer starken lokalen und regionalen Verankerung birgt dies die Herausforderung, ihre Rolle als Vermittler und Lotse in den sich rasant entwickelnden Medien- und Informationslandschaften zu gestalten und die Funktion als „Fenster nach Deutschland“ in physischer und digitaler Form neu zu definieren. Wichtiger als der Besitz von Medien und Information wird angesichts ihrer praktisch unbegrenzten Verfügbarkeit die Zugänglichkeit, Vermittlung und qualitative Bewertung. Die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts mit ihrer digitalen Wunderkiste verfügt über ganz neue Möglichkeiten, sich rasch und umfassend zu informieren. Zugleich zeigt sich jedoch weltweit, dass Klischees und Stereotype fortbestehen. Die Vielzahl der Angebote scheint die Ausbildung differenzierter Meinungen mitunter eher zu behindern als zu befördern. Und doch hat sich in den letzten 60 Jahren viel bewegt. Deutschland verfügt über ein weitverzweigtes Netz an Fürsprechern und Freunden in aller Welt, Menschen, die oft zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Karriere mit Deutsch und Deutschland in Kontakt gekommen sind, Anregungen erfahren haben oder Förderung ihrer beginnenden Karriere. Die Arbeit der deutschen „Antennen in aller Welt“ – Goethe-Institut, Humboldt-Stiftung, DAAD, Deutsche Welle, Ifa und ZfA…– bildet so ein wertvolles Kapital für Deutschland. Eine krisensichere Währungsreserve von unerschütterlicher Sympathie und Hochachtung. Es wird spannend sein zu sehen, was die Taxifahrer in den Metropolen der Welt 2050 über unser Land zu sagen haben.