Dezember 2012:
Bis an die rote Linie – politische Bildung im Ausland

Die Anforderungen an die politische Bildungsarbeit westlicher Institutionen im Ausland steigen. Gelingen kann sie dennoch: Wenn kulturelle Sensibilität und langfristige Kooperationen an die Stelle von Apellen treten.

„Vorsicht Ausländer“ – Das neue „Agentengesetz“, das in Russland jetzt in Kraft getreten ist, hat zu großer Verunsicherung von zivilgesellschaftlichen Institutionen auch im Bereich Kultur geführt. Demnach müssten sie sich jetzt als „ausländische Agenten“ registrieren lassen, wenn sie Finanzmittel von ausländischen Organisationen annehmen. Jüngst haben die USA auf Wunsch Moskaus ihr großes USAID-Hilfsprogramm eingestellt, das für wichtige Nichtregierungsorganisationen im Bereich Demokratisierung oder Umweltschutz eine essenzielle Förderung darstellte. Der Bundestag hat zur russischen Innenpolitik eine kritische Resolution verfasst.

Kritik an ausländischen Einrichtungen, die sich die Förderung der Zivilgesellschaft auf die Fahnen geschrieben haben, und auch konkrete offizielle Maßnahmen gegen sie, sind in der Geschichte nichts Neues: Von der Schließung des Goethe-Instituts in Teheran 1987, über die Kritik an der Soros-Stiftung, die vor allem in den neunziger Jahren in vielen Staaten Osteuropas aktiv war, bis hin zur jüngsten Schließung der Büros der Adenauer-Stiftung in Kairo und Abu Dhabi reichen die Beispiele.

Hinter solchen Entwicklungen steckt auf der einen Seite häufig die Furcht, dass Programme ausländischer Organisationen tatsächlich zu einem innenpolitischen Kontrollverlust führen könnten. Auf der anderen Seite müssen wir erkennen, dass die Bedeutung Europas und der USA und mit ihnen die Vorbildfunktion eines westlichen Wertekanons verblassen. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Welt multipolar geworden. Neue Zentren sind entstanden, die selbstbewusst ihren eigenen Weg verfolgen, in dem bisweilen die Entwicklung einer Zivilgesellschaft nach westlichem Vorbild nicht zu den erstrebenswerten Modellen gehört. Gerade Gesellschaften, die für sich diesen eigenen Entwicklungsweg postulieren und sich in einem Selbstfindungsprozess befinden, reagieren bisweilen harsch auf Aktivitäten ausländischer Organisationen.

Welche Lehren müssen wir aus dieser Situation ziehen? Es ist klar, dass unsere Arbeit im Ausland ihre Inhalte und ihre Kraft aus einem demokratischen Wertekanon bezieht. Daran gibt es nichts zu rütteln und diese Werte vertreten wir offen in unseren Gastländern. Ob unsere Botschaften und Angebote ankommen oder sogar angenommen werden, ist meiner Erfahrung nach jedoch häufig weniger eine Frage des Was, sondern des Wie: Ein Dialog auf Augenhöhe und die Bereitschaft zu lernen erfordern mehr interkulturelle Sensibilität und Mühe als der belehrende Zeigefinger. Er ist jedoch die Grundvoraussetzung dafür, dass sich der Gesprächspartner ernstgenommen fühlt, Vertrauen fasst und sich einem echten Austausch öffnet. Es geht in diesem Zusammenhang auch nicht darum, ein Entwicklungsziel nach westlichen Maßstäben vorzugeben; gemeinsame Verständigungsprozesse mit offenem Ausgang entfalten eine deutlich höhere kreative Kraft und Lösungsorientierung und damit Vertrauen und Nachhaltigkeit. Unliebsame Wahrheiten müssen ausgesprochen werden: Nur wenn wir die rote Linie aus Tabus und politischen Vorbehalten berühren, ohne sie zu überschreiten, kann ein ehrlicher Diskurs entstehen. Es gilt, Themen zu finden, die in beiden Gesellschaften virulent sind - auch in dem Geist, dass wir viele gesellschaftliche Herausforderungen ohnehin nur noch über Ländergrenzen hinweg gemeinsam lösen können. Mehr als über Vorträge und Appelle vermitteln sich unsere Werte über die konkrete und auch längerdauernde Kooperation von Künstlern, Musikern und anderen Kulturschaffenden. Solche gemeinsamen Produktionen machen den Geist der Verständigung auch einem großen Publikum zugänglich.

Vielleicht klingt diese Beschreibung einer kulturell orientierten „Dialog-Strategie“ idealistisch. Aber nach 15 Jahren konkreter Arbeit in Transformations- und Ländern der Enzwicklungszusammenarbeit bin ich der festen, auf Erfahrung begründeten Überzeugung, dass nachhaltige und langfristig angelegte Kultur- und Bildungsprogramme auch dann noch wirken, wenn andere Kommunikationskanäle zwischen Gesellschaften verschlossen sind.

Auswärtige Kultur- und Bildungsarbeit in diesem gesellschaftspolitischen Sinne wird in einer multipolaren Welt gerade auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch anspruchsvoller werden. Für Deutschland weniger bedeutend wird sie auf keinen Fall.