31. Januar 2018
Prix Nerval Goethe

Begrüßung durch Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts

Anrede,

ich begrüße Sie alle sehr herzlich zur ersten Verleihung des Prix Nerval Goethe, mit dem das Goethe-Institut und die Sorbonne in Zusammenarbeit mit der „Délégation générale à la langue française et aux langues de France“ im französischen Kulturministerium und dem Verband „Défense de la langue française“ herausragende literarische Übersetzungen aus dem Deutschen ins Französische auszeichnen.  
Heute verleihen wir den Preis an Gilles Darras für die hervorragende Übersetzung dreier antiker Dramen von Franz Grillparzer: Sappho, Das Goldene Vlies sowie Des Meeres und der Liebe Wellen.

Gut, dass es den Prix Nerval Goethe gibt, denn schließlich ist er – nachdem sein Vorgänger, der „Prix Gérard de Nerval” 2016 aus finanziellen Gründen von Seiten der französischen Autorenvereinigung Société des gens de lettres (SGDL) eingestellt wurde – aktuell die einzige Auszeichnung für Übersetzungen aus dem Deutschen ins Französische.

Dass der entsprechende Preis heute wieder ins Leben gerufen wird, ist ein gutes Signal, das zur richtigen Zeit kommt, denn die Zeit ist reif, die deutsch-französischen Beziehungen wieder aufblühen zu lassen und gemeinsam Verantwortung für einen europäischen Kulturraum zu übernehmen. Frankreich und Deutschland sind keine beliebigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern sie sind der Motor bei deren Weiterentwicklung. Die nun von Staatspräsident Emmanuel Macron angestoßene Neuauflage des Elysée-Vertrags verfolgt eben diese Linie, neuen Schwung in die deutsch-französischen Beziehungen zu bringen und die Grundlage für einen „deutsch-französischen Wirtschaftsraum“ zu legen, der auch eine engere Zusammenarbeit in Kulturfragen ermöglichen wird.
  
Auch das Goethe-Institut ist der Auffassung, dass unsere Zusammenarbeit in Kulturfragen noch intensiviert werden kann. So beabsichtigen wir bis 2020 zusätzlich 10 gemeinsame Orte aus Goethe-Institut und Institute Francais zu bilden – als europäische Orte. Im vergangenen Jahr war Frankreich das Gastland der Buchmesse in Frankfurt und das mit großem Wirkungsgrad. Wir als Goethe-Institut haben dem deutsch-französischen Verhältnis mit unseren Veranstaltungen vielfach Rechnung getragen.

Erlauben Sie mir, mich auf eine Anekdote zu berufen, die eine Geschichte der Beziehung und Nähe von Frankreich und Deutschland vermittelt und uns gleichzeitig auch auf die richtige Fährte bringt, was es mit dem Namen für den heute zu vergebenden Übersetzerpreis „Prix Nerval Goethe” auf sich hat:

Gérard de Nerval war der entscheidende Mittler für die deutsche Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich, er übersetzte nicht nur Gedichte des in Paris lebenden Heinrich Heine, mit dem er befreundet war, er überzeugte als ein profunder Kenner der deutschen Geistesgeschichte.

Der 8o-jährige Goethe schrieb an den 18-jährigen Nerval, der gerade den „Faust“ übersetzt hatte: „Ich habe mich selbst niemals so gut verstanden wie beim Lesen ihrer Übertragung“. Diese Übersetzung – obgleich größtenteils in Prosa – lobte Goethe als sehr gelungen und urteilte weiter in einem Gespräch mit seinem Freund Johann Peter Eckermann: „Im Deutschen mag ich den ‚Faust‘ nicht, mehr lesen; aber in dieser französischen Übersetzung, wirkt alles wieder durchaus frisch, neu und geistreich”.

In dieser Schilderung Goethes wird die Kunst des Übersetzens und die unermessliche Leistung der Übersetzerinnen und Übersetzer deutlich: Sie erfinden in der Muttersprache die Werke fremdsprachiger Autoren neu und sind dabei nicht weniger kreativ als die Autorinnen und Autoren des Originals; vielmehr schreiben sie das Original fort, indem sie die „Aura des Textes" in der Zielsprache erst erschaffen und sich die Wörter so zu eigen machen. Wilhelm von Humboldt sagte: „Mehrere Sprachen sind nicht ebenso viele Bezeichnungen einer Sache, sie sind verschiedene Ansichten derselben.“

Ich möchte es also vor allem heute nicht versäumen, den Übersetzerinnen und Übersetzern die gebührende Anerkennung zu zollen. Ohne sie gebe es keine Mehrsprachigkeit. Sie sind unverzichtbar! Wie die Autoren sind die Übersetzer Seismographen gesellschaftlicher Phänomene und Entwicklungen. Sie beschreiben und vermitteln Lebenswelten. Durch ihre Geschichten, Assoziationen, Metaphern und Bilder überraschen sie uns, machen uns nachdenklich, berühren und begleiten uns. 

Die Vermittlung von Literatur ist dabei das Herzstück des internationalen Kulturaustausches und ihre Übersetzung das zentrale Instrument zur interkulturellen Verständigung und Wissensvermittlung. Dabei ist eine hohe Qualität der Übersetzung essentiell, um interkulturelle Verständigung zu ermöglichen. Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe beschrieb kürzlich in einem von ihr sehr persönlichen und anmutigen Text in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Übersetzer als „jene Kenner und Könner, die mich aus dem Käfig meiner eigenen Sprache in einen neuen Sprachraum befreien, wohl wissend, dass auch er seine Begrenzungen hat.” Um dann zu dem Schluss zu kommen: „Was für ein Glück, übersetzt zu werden!”

Das Goethe-Institut sieht in der Übersetzerförderung sowie in der Übersetzungsförderung ein wichtiges Arbeitsfeld und unterhält deshalb eine ganze Reihe von Initiativen, mit denen es sich für Übersetzungsförderung einsetzt und diese auch weiterhin fördern will: Neben seinem Engagement im Bereich der Weiterbildung und Qualifizierung von Übersetzern (zum Beispiel im Rahmen von Übersetzerwerkstätten) und Verlegern, fördert das Goethe-Institut weltweit die Übersetzung deutschsprachiger Bücher aus den Bereichen Belletristik, Kinder- und Jugendliteratur sowie Sachbuch. Bisher wurde die Veröffentlichung von über 6.000 Titeln in 45 Sprachen finanziell gefördert. In diesem Rahmen vergibt das Goethe-Institut gemeinsam mit Partnern auch verschiedene Übersetzerpreise, mit denen herausragende Übersetzerinnen und Übersetzer ausgezeichnet werden, die mit ihrer Tätigkeit zur Verbreitung zeitgenössischer Literatur in den Ländern beitragen. Dazu zählen zum Beispiel:
  • Der Brücke Berlin Preis, ein Autoren/ Übersetzerpreis für MOE, (GI, BHF und LCB)
  • Deutsch-Italienischer Übersetzerpreis (seit 2008)
  • Merck-Kakehashi-Literaturpreis (Goethe-Institut und Merck) für dt-jap. Übersetzungen
  • Fabjan-Hafner-Preis für slowenisch-deutsche Übersetzungen (2017)
  • Zu nennen ist hier auch die Goethe-Medaille, die jährlich an Goethes Geburtstag in Weimar an ausländische Preisträger verliehen wird für die besondere Förderung der deutschen Sprache und des internationalen Kulturaustausches vergeben wird
  • und natürlich auch der heute zu verleihende Prix Nerval Goethe (dt.-frz).
Es freut mich deshalb sehr, dass der neue Prix Nerval Goethe durch die Kooperation mit unseren Partnern ermöglicht wurde. Mein Dank gilt der Sorbonne, der „Délégation générale à la langue française et aux langues de France“ im französischen Kulturministerium, dem Verband „Défense de la langue française und den Kolleginnen und Kollegen des Goethe-Instituts Paris sowie den Jurymitgliedern unter dem Vorsitz von Claire de Oliveira (Übersetzerin, selbst Preisträgerin des früheren Prix Nerval und Maître de Conférences an der Sorbonne):
  • Bernard Banoun (Übersetzer, selbst Preisträger des früheren Prix Nerval, Direktor der Abteilung für Germanistik und nordische Sprachen, Sorbonne)
  • Isabelle Kalinowski (Übersetzerin, Germanistin und Soziologin; Wissenschaftlerin am Centre National de la recherches scientifique / CNRS)
  • Serge Niémetz (Übersetzer und selbst Preisträger des früheren Prix Nerval)
  • Françoise Toraille (Übersetzerin und selbst Preisträgerin des früheren Prix Nerval)
  • Aurélie Marquer (für Literaturveranstaltungen zuständige Mitarbeiterin des Goethe-Instituts und selbst Übersetzerin).
Ich wünsche Ihnen nun allen einen inspirierenden Abend!

Es gilt das gesprochene Wort.