22. November 2018
„Vertagtes Erbe?“: 4. internationales Symposium des Goethe-Instituts und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Grußwort des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann

Anrede,
 
Ich freue mich heute Abend hier in Dahlem mit Ihnen zu sein. Hier hat alles seinen Anfang genommen, was wir derzeit so leidenschaftlich diskutieren: das Humboldt Forum und die damit verbundenen Themen und Konsequenzen. Ich war damals Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und überzeugt davon, dass die Sammlungen In Dahlem mit ihrer Entstehungsgeschichte, ihrem Potential und ihrer globalen Bedeutung aus dem versteckten Dahlem ins Zentrum der Wahrnehmung rücken müssen. Am 3. Mai 2000 konnte ich in der Stiftung Brandenburger Tor die Idee des Humboldt Forums öffentlich platzieren. Die Zeit war reif, denn das Raunen und Reden um den Wiederaufbau des Schlosses war zum leeren Ritual geworden und beschränkte sich letztlich nur auf die Fassade. Mit den außereuropäischen Kulturen hatten wir eine Meistererzählung für das 21. Jahrhundert. Jeder begriff, der Schlossplatz war die natürliche Erweiterung der Museumsinsel und aus einer bislang eurozentrischen Sicht und der Trennung und Hierarchisierung der Welten wird die Mitte Berlins zum Weltort für die Gleichwertigkeit von Kunst und Kultur. Die Welt sollte zum Teilhaber werden! Der Bundestag und die Bundesregierung machten sich die Idee zu Eigen: das Humboldt Forum im Neubau des Schlosses. 2007 konnte ich noch den Auslobungstext für den Wettbewerb bekannt geben. Im Februar 2008 ging meine Zeit als Präsident der Stiftung Preußischer Kultur zu Ende.
 
Ich bin dem Vermächtnis Alexander von Humboldts treu geblieben, indem ich unmittelbar im Anschluss zum Präsidenten des weltweiten Goethe-Instituts wurde, mit 160 Instituten in fast 100 Ländern – eines der schönsten Ehrenämter. Und ich bin dem Humboldt Forum mit seinen Sammlungen aus Dahlem treu geblieben, mit der Überzeugung, dass kulturelle Vielfalt ein Wert ist und Dialog und Diskurs ein lebendiger Aspekt sein muss. Folgerichtig kam es schon 2008 zu einem Kooperationsvertrag zwischen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Goethe-Institut. Er sollte wesentliche Elemente des Zivilisationsprozesses durch die Bündelung von Expertise und Ressourcen erarbeiten: zum einen die Funktion als kulturelles Gedächtnis stärken, zum anderen über geeignete Wechselwirkungen zeitgenössische Fragestellungen auf die Agenda zu setzen. Das Humboldt Forum hatte in diesem Kooperationsvertrag eine prominente Rolle.
 
Mehr denn je sind heute in der internationalen Wahrnehmung Kultur, Bildung und Wissenschaft entscheidende Indikatoren für Zusammenarbeit und Zusammenleben, oder noch zugespitzter ausgedrückt, für Überleben. Innen und außen sind keine getrennten Welten mehr, sie bedingen einander.
 
Die Welt hat sich entscheidend verändert und unsere Gesellschaften stehen an einem Wendepunkt. Globalisierung und Modernisierung haben nicht zu einer einheitlicheren Welt geführt. Sie ist im Gegenteil wieder stärker segmentiert. Diese Entwicklung ist kein vorübergehendes Phänomen. Der globale Wettbewerb hat inzwischen eine veränderte Beteiligung der Macht- und Einflusssphären geschaffen. Neue Zentren und veränderte Peripherien sind entstanden, mit Megastädten und unproduktiven Wüsten, mit abgeschotteten Parallelwelten und radikalen Auf- und Umbrüchen, mit Übersprungeffekten des rein ökonomischen Denkens auf alle Lebensbereiche, mit postkolonialen Staaten, die vor großen sozialen und politischen Herausforderungen stehen. Weltweit werden Migrationsströme ausgelöst, die sich durch die unterschiedliche demographische Entwicklung in Europa und in den Schwellen- und Entwicklungsländern noch beschleunigen, Wirtschafts- und Finanzkrisen werden erlebt und erlitten.
 
Übersetzung oder Dialog sind nur noch möglich, wenn diese globalisierte Welt lesbar ist. Es genügt nicht, eine riesige Wissens- und Informationsmaschine in Gang zu halten, es muss eine nutzerfreundliche und verständliche Bedienungsanleitung geben.
 
Und hier setzt die Arbeit des Humboldt-Forums an. Arroganz sowie Hierarchisierung der Kulturen sind keine Herangehensweise in unserer Zeit. Musealisierung in abgeschlossenen Sammlungen ebenfalls nicht, Sammlungen müssen Fortsetzungen finden, um lebendig zu sein. So ist auch beim Humboldt-Forum nicht der Transfer ethnologischer Sammlungen an einen neuen Platz das Ziel, sondern das Schaffen neuer Blickachsen. Den kolonialen und postkolonialen Fragestellungen muss eine intensive Bearbeitung eingeräumt werden, mit entsprechender Provenienz-Forschung und entsprechenden Überlegungen zum Eigentumsverständnis. Der „intellektuelle Kolonialismus“ soll hier ein Ende finden. Die aufregende zeitgenössische Kunst Chinas, Indiens, Südamerikas und Afrikas wird vermittelt und in Beziehung gesetzt, sie wird entsprechend der Fragestellungen mit europäischen Epochen verbunden, aber auch die Beziehungen der nicht-westlichen Kulturen untereinander werden aufgespürt.  
 
Das Humboldt-Forum soll kein frei schwebender Think-Tank sein und schon gar kein reiner Ausstellungsort, sondern den Reichtum der Sammlungen nutzen – bestandsorientiert, spartenübergreifend. Es soll Material zu Material in Beziehung setzen, entdecken und interpretieren und Experten und Kuratoren aus den verschiedenen Weltregionen zugänglich machen. Das Humboldt-Forum ist keine Wissensgemeinschaft sondern eine Lerngemeinschaft. Die größte Herausforderung dabei wird sein, Verschiedenheit zu erkennen und zu respektieren, Veränderungsprozesse zu wollen.
 
Um diesen Fragestellungen adäquat zu begegnen und Antworten zu finden, beschlossen die beiden Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und des Goethe-Instituts den Kooperationsvertrag zu nutzen, um Reisen in die jeweiligen Regionen zu organisieren. Gespräche und Begegnungen, Austausch und Beratung, Anschauung und Information sollten vielfältige Zugänge schaffen, um von Anfang an mit den jeweiligen Gesellschaften, besonders den indigenen Gesellschaften, unmittelbar die Vorstellungen und Auswirkungen des Humboldt Forums zu besprechen und zeitgemäß zu behandeln.
Das Goethe-Institut führte mit den Fachleuten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Humboldt Forum drei Reisen durch, je 6 Teilnehmer.
  • In den Pazifik (Vanuatu, Neu-Kaledonien), Australien, Neuseeland - 2013
  • Nach Lateinamerika - 2014
  • Nach Afrika – 2016.
Jede der Reisen war verbunden mit einer oder mehreren Regionalkonferenzen von hoher Qualität.
 
Es war ein unglaublich intensiver Austausch, ungemein produktiv, der sehr schnell erkennen ließ, dass es nicht die alleinige Deutungshoheit gibt sondern die Zukunft einer adäquaten Zusammenarbeit im gleichwertigen Zusammenwirken des Wissens, der Erfahrung und der unterschiedlichen gesellschaftlichen Perspektiven liegt. Es genügt auch nicht, sich nur auf Provenienzforschung zu beschränken, - so wichtig sie auch ist. Es gilt die rechtlichen Voraussetzungen für Rückgaben zu schaffen, es gilt verschiedene Formen der Zusammenarbeit zu prüfen, es gilt aber auch für die heutige Zeit eine Zukunft zu ermöglichen, die für den Aufbau eigener Museen sorgt, Bildungseinrichtungen schafft, in denen die historische Dimension verknüpft wird mit der heutigen Lebenswirklichkeit. Es gibt eine direkte Verbindung zwischen dem kolonialen Geschehen und den heutigen aktuellen Themen, die aufgrund der bestehenden Tabuisierung verschüttet ist. Ohne diese gemeinsame Aufarbeitung kann die Zukunft nicht gewonnen werden. Eine einseitige Aufarbeitung ist der falsche Ansatz. Sie würde dem Grundsatz folgen: ich wasche mich von meinen Sünden rein. Für mich ist das eine neue Form von Arroganz. Nur wenn wir uns gegenseitig die nötigen Einblicke gewähren öffnen sich die Köpfe. Das habe ich auf den Reisen gelernt und mich darin bestärkt gesehen, dass es ein gegenseitiges Interesse gibt, nicht nur zurückzuschauen sondern damit neue Beziehungen zu begründen Die Reisen haben für die weitere Entwicklung gute Impulse geliefert. Dabei hat sich besonders deutlich gezeigt, dass die Verknüpfung der Potentiale und Netze der SPK und des GI dem Projekt völlig neue inhaltliche und kommunikative Möglichkeit eröffnen kann, die es in der Zukunft auf einer institutionalisierten Grundlage zu nutzen und auszubauen gilt. Der besondere Gewinn dieser Kooperation besteht darin, dass die SPK ihre konzeptionelle Arbeit für das Humboldt Forum und ihre fachliche Kompetenz mit der kulturpolitischen Expertise des GI, seinem globalen Netzwerk und seiner Vertrautheit mit den unterschiedlichsten lokalen Bedingungen verbinden kann. Es wurde auch deutlich, in welch hohem Maß die politische und kulturelle Bedeutung des Humboldt Forums außerhalb von Deutschland wahrgenommen wird, auch welch große Erwartung, das Projekt auslöst. Ich bin der Auffassung, dass nicht zuletzt die weltweite Prominenz des Humboldt Forums es geschafft hat, dass sich in Deutschland endlich eine klare Haltung zur Erforschung der eigenen Kolonialgeschichte formiert hat und die Politik bereit ist, - gemeinsam mit den Wissenschaftlern und Kuratoren - dieses komplexe Thema auf die Tagesordnung zu setzen und es auch zu fördern.
 
Ansonsten waren die Themen, die auf den Reisen angesprochen wurden, vielfältig, aber immer getragen von einer Bereitschaft zu kooperieren. Es ging um Organisationsstrukturen, um die Strukturierung von Sammlungsbeständen, um Forschung und historische Abgrenzung. Bei den Konzepten spielte eine Rolle Zielgruppen, Multiperspektivität, Geschichte der Sammlungen, Einbezug und Beteiligung indigener Gruppen, um kulturelle Tabus, um Vermittlungshaltungen, um shared heritage. Bei der Ausstellungsgestaltung waren Gesamtdramaturgie, Menschheitsthemen, Mehrstimmigkeit und Narrative, Medienproduktionen und besondere mediale Gestaltung Diskussionspunkte. Einen Schwerpunkt bildeten Aspekte der Internationalität von Kuratoren, der Möglichkeit von Austausch- und Residenzprogrammen und der institutionellen Koproduktion. Personalen Netzen und deren aktuell bleibende Nutzung wurde hohe Bedeutung beigemessen. Um einen wirklichen Beitrag zum internationalen Kultur- und Wissenschaftsaustausch leisten zu können, muss es im Humboldt-Forum um Themen gehen, die wir globalgesellschaftlich zu lösen haben, und die aus dem Sammlungskontext vermittelt und in die persönliche Interaktion übertragen werden.
 
Mit seinen 160 Instituten in der Welt ist das Goethe-Institut nah am Puls der Zeit, an den Menschen, an den Kulturen. Das Goethe-Institut initiiert künstlerische Prozesse und Produktionen in den Ländern, fördert die kulturelle Vielfalt, unterstützt Bildungs- und Kulturakteure, baut kulturelle Infrastruktur in Entwicklungs- und Schwellenländern auf, organisiert Austauschprogramme und vieles mehr, immer mit partizipatorischen Strukturen. Für das Humboldt-Forum ist es somit der ideale Vermittler und unverzichtbar Partner. Denn neben seinem Kristallisationskern in der Mitte Berlins benötigt das Humboldt-Forum ein dichtes internationales Netz an Partnern, mit dem sowohl die Funktion als Seismograph für kulturelle Entwicklungen als auch der weltweite Austausch von Erkenntnissen und Erfahrungen organisiert werden kann.
 
In einem weltweiten Netzwerk von Experten liegt meiner Auffassung nach der Kern eines erfolgreichen Wissenschafts- und Kulturaustauschs im 21. Jahrhundert.
Letztlich bleibt das Engagement der Menschen das wichtigste Kapital. Dazu gehört auch eine erfolgreiche Alumni-Politik. So entsteht auf Dauer ein lebendiges Netz der Verständigung, eine Bindung in einer immer unübersichtlicher gewordenen Welt und eine Zusammenarbeit und ein Wissenstransfer in einem internationalen Umfeld.
 
Für mich steht deshalb das jetzige Symposium in einer konsequenten Fortführung der drei Reisen mit seinen Konferenzen als 4. Internationales Symposium von Goethe-Institut und Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Ich danke den Organisatoren für ihre überzeugende Themensetzung, den Vortragenden und Diskutanten für ihre Expertise und ihr Engagement und erwarte mir ein Impuls gebendes Ergebnis und ein Bedarf an einer Fortsetzung.


Es gilt das gesprochene Wort!