3. Juni 2019
Globale Arbeitsbesprechung in Berlin

Rede des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann auf der Globalen Arbeitsbesprechung in Berlin

Anrede,
 
ich begrüße sie alle auf das Herzlichste. Es ist schon beeindruckend, das Goethe-Netz durch seine Instituts-, Regional-, Abteilungs- und Bereichsleiterinnen und -leiter personalisiert zu sehen. Knapp 300 Teilnehmer zählt die Globale Arbeitsbesprechung. Sie repräsentieren die Arbeit in knapp 100 Ländern mit ca. 160 Instituten. Es ist das erste Mal in der 68-jährigen Geschichte des Goethe-Instituts, dass wir in dieser Fokussierung zusammenkommen. Wenn alle eingeladen wären, die zu uns gehören, kämen wir auf 3000 Personen. Zunächst eine beeindruckende Zahl. Wenn man sie auf die gesamte Welt projiziert, merkt man schnell, wie grobmaschig unser Netz ist.

Umso wichtiger ist die prägende Kraft der Institution. Denn nichts ist möglich ohne den Menschen, also ohne sie alle, aber nichts ist von Dauer ohne die Institution! Deshalb ist es so wichtig, einen verantwortungsvollen Austausch zu haben, gemeinsame Ziele zu definieren, gemeinsame Werte einer offenen freiheitlichen Gesellschaft zu vertreten und dem Grundsatz der Partizipation und der Lerngemeinschaft zu folgen.

Unser Zusammenkommen im Rahmen dieser Globalen Arbeitsbesprechung dient einem Ziel: Wenn wir unsere Wertevorstellungen und unsere Praktikabilität als lernende Organisation glaubhaft vermitteln wollen, müssen wir sie nach innen auch selbst leben. Deshalb beruht die gesamte Vorbereitung und Durchführung dieser Konferenz auf dem Input und der Realisierung durch jede einzelne Kollegin oder einzelnen Kollegen. Themenauswahl, Formate, Struktur ist alles aus dem Engagement der Teilnehmerinnen und Teilnehmer entstanden, keine gesetzten Vorgaben „von oben", keine vorbestimmten Ziele. Es kann ein großes Potenzial von Ideen, Erfahrung und Positionen durch eine gewollte Durchlässigkeit gehoben werden. Die gestalterische Teilnahme ist aktiv an den Zahlen zu sehen. Über 86 % der angeschriebenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind dem Aufruf zur Beteiligung gefolgt. Das heißt über 200 Personen, von denen wiederum rund 60 Personen Themenvorschläge eingereicht haben, eine beeindruckende Zahl. Insgesamt sind mehrere übergreifende Zukunftsthemen identifiziert worden, die alle Kolleginnen und Kollegen unabhängig von Standort, Funktion und Profession in näherer Zukunft betreffen, und die sich als „roter Faden" in fast allen Formaten, Methoden, Vorträgen und Veranstaltungen wiederfinden. Diese lauten unter anderem: Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Transregionale Zusammenarbeit sowie New Work. Wenn ich den Elan bewerte, mit dem schon die Vorbereitungsphase verlaufen ist, ist allein schon das Erleben der gemeinsamen Anstrengung ein Gewinn – von den gewonnenen Erkenntnissen ganz zu schweigen. Herzlichen Glückwunsch, denn dies ist IHRE Konferenz mit IHREN Workshops.

Wir haben vor rund zehn Jahren eine grundlegende Reform unserer strukturellen Aufstellung vorgenommen, indem wir eine dezentrale Verantwortlichkeit eingeführt haben, um in einer fragmentierten Welt nahe am Geschehen zu sein und glaubwürdig agieren zu können. Um es mit drei Begriffen schlagwortartig zu charakterisieren: die Innovation kommt von den Instituten, sie stehen in unmittelbarer Beziehung zu den lokalen Partnern und bilden selbst lokale Netze. Die Interaktion kommt von der Region. Hier finden sich gemeinsame Vorstellungen zu Initiativen und Projekten, die regional oder auch transregional größere Wirkung entfalten können. Die Inspiration kommt von der Zentrale durch ein vertieftes Beratungspotenzial zur Vermittlung der deutschen Szene und Politik, durch Schwerpunktthemen und strategische Ziele.

Was wir mit unserer Arbeit erreichen wollen ist:
  • Die Förderung der Zivilgesellschaften
  • Vielfältigen Zugang zu Bildung und Wissensaustausch
  • Kulturelle Zusammenarbeit in Netzwerken und Koproduktionen
  • Digitale Modernisierung der Sprach-, Bildungs- und Kulturarbeit
  • Allianzen mit anderen Kulturmittlern
  • Und die Überwindung der Trennung von innen und außen
Das funktioniert dann gut,…
  • Wenn die Ebenen in ihrem Informationsfluss durchlässig sind
  • Wenn best practise Methoden Anwendung finden
  • Wenn wir nicht Feuerwehr spielen, sondern kontinuierlich und nachhaltig arbeiten
  • Wenn wir auf der Basis von Vertrauen eigenverantwortliche Gestaltungsräume zulassen
  • Wenn wir Entsandte und Ortskräfte nicht als Zweiklassengesellschaften einteilen
  • Wenn wir uns auf gemeinsame Werte und Ziele verständigen
  • Wenn wir einer gemeinsamen Vision folgen
  • Wenn wir Partizipation nicht nur vermitteln, sondern auch selbst leben
  • Wenn wir Diversität als Teil unserer Identität begreifen
  • Wenn wir nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Blick haben, sondern auch die mit ausreisenden Partner und Partnerinnen und Familien
Wir haben gute Voraussetzungen mit unserer Struktur und unserer Expertise. Aber der Erfolg der Initiativen und Arbeitsergebnisse ist nicht nur eine Frage von Strukturen und Professionalität sondern auch eine Frage von kollegialer Partnerschaft. Es geht nicht um naturgegebene Souveränitätsbereiche oder um autonome Aufgabenstellungen, bei denen jeder Auftrag oder jede Auflage als Eingriff empfunden wird, sondern um ein argumentatives Miteinander.

Wir haben noch immer ein sehr ausgeprägtes Spartendenken, das sich in der jeweiligen Sparte verwirklicht, übergreifenden Denkansätzen aber eher zurückhaltend betrachtet. Es kann nicht schaden, darüber nachzudenken, wie wirkungsvolle Verbindungen in andere Abteilungen oder Sparten hergestellt werden können. Es gibt erste hoffnungsvolle Ansätze, aber da geht noch mehr: Übergreifend ist nicht übergriffig!

Noch ein weiteres Thema ist Aufbruch und Fortsetzung im Zusammenhang mit Rotation. Ich bin ein Befürworter der Rotation. Es kommen neue Ideen, neue Blickachsen, neue Prozesse. Der Neuanfang sollte aber nicht zum Kahlschlag genutzt werden, um radikal neu zu sein, sondern aufbauend betrieben werden. Das gehört auch zum Begriff Nachhaltigkeit.

Wir alle wissen, dass wir an diesen Punkten kontinuierlich arbeiten und teilweise auch noch besser werden müssen. Wir müssen dem Experimentellen eine Chance geben, wir müssen Scouts sein, die neue Themen und neue Partner entdecken.Die Grundlage zur Erreichung dieser Ziele ist der Dialog. Deshalb ist diese Konferenz so wichtig. Sie ist als ein Auftakt zu verstehen, der uns hilft, in den Aktionsmodus zu kommen und die verschiedenen vor uns liegenden Puzzlestücke zusammenzufügen.

Unter dem Motto „Innen und Außen verbinden" wollen wir uns die Zeit nehmen, um uns gemeinsam den großen Fragen der Zukunft zu widmen: Wie schaffen wir es, global und gleichzeitig nachhaltig zu agieren? Wie gehen wir mit der zunehmenden Einschränkung künstlerischer und politischer Freiräume in autoritären Regimen um? Wie begegnen wir der Tatsache, dass sich unsere Angebote der Sprach- und Kulturarbeit radikal verändern müssen, um dem Tempo des technologischen Fortschritts standhalten und innovative Lösungen entwickeln zu können?

Der wechselseitige Dialog nach Innen und Außen ist dabei unser Profil, um diese Fragen zu beantworten. Wenn wir das Prinzip der natürlichen Wechselwirkung sinnvoll nutzen, öffnen wir uns für neue Chancen und Möglichkeiten.

Ralf Dahrendorf, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hat 1970 als entscheidende Leitsätze für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik – die heutzutage auch noch gelten – formuliert: „Was wir geben ist nur so viel wert wie unsere Bereitschaft zu nehmen. Offenheit für andere ist daher ein Prinzip unserer Auswärtigen Kulturpolitik".

Wir sprechen bei den Goethe-Instituten von partizipatorischer Arbeit und Partnerschaft, wir sehen Möglichkeiten des Verstehens und Verständigens durch Begegnungen und Austausch, wir sprechen von Freiräumen. Und diese Räume müssen offen sein für Begegnungen, sie müssen Chancen bieten für Austausch und sie dürfen sich nicht durch eine gängelnde Zensur einschüchtern lassen. Diese Freiräume zu bewahren oder zu schaffen ist deshalb unser Mandat, welches wir durch die Gestaltung eines verantwortungsvollen Dialoges wahrnehmen.

Ich betone an dieser Stelle das Prinzip des „Dialogs ohne Hierarchisierung", welches wir als Goethe-Institut besonders ernst nehmen. Dialog kann Gespräche eröffnen, wo vorher Stillstand war, Dialog kann durch das Erkennen des Anderen zur Reflexion der eigenen Position führen. Die Erfolgsfaktoren dafür sind folgende: Wertschätzung von Vielfalt, Gleichwertigkeit des Anderen, interkulturelle Kompetenz der Akteure.

Die Chancen für einen glaubwürdigen Dialog für das Goethe-Institut liegen dabei in der langjährigen gegenseitigen Kenntnis und dem Vertrauen, das in einer solchen Zeit gegenüber uns gewachsen ist, aber auch in dem Umstand, dass er in einer offenen kreativen Lerngemeinschaft geführt wird. Und er geschieht auf drei Ebenen: In Deutschland selbst, in Europa und mit der Welt.

Aufgrund der jüngst zurückliegenden Europawahl ist die Relevanz des kulturellen Projekts Europa und seiner Dialogfähigkeit aktuell besonders augenfällig. Nur in gemeinsamer Verantwortung für den europäischen Kulturraum haben wir die Stärke gegen Abschottung und Feindbilder und können Löcher in die mentale Mauer schlagen. Das Goethe-Institut arbeitet an der gemeinsamen Verantwortung für einen europäischen Kulturraum, denn Europa ist unsere Basis, die sich nicht auf ein technokratisches Projekt oder eine Service-Einrichtung reduzieren lassen darf. Es muss ein Kontinent sein, der sich durch Solidarität, Humanität und Kultur auszeichnet und für emotionale Fragen auch emotionale Antworten geben kann.

Es gibt derzeit genügend Beispiele, die uns die Möglichkeiten und die Grenzen des Dialogs aufzeigen. Doch vor allem in Zeiten sich häufender Konflikte wird unsere Arbeit immer wichtiger und der Kultur eine immer stärkere aktive gesellschaftliche Rolle zugewiesen. Sie wird nicht auf die Spielwiese der Künstler und Intellektuellen reduziert, sondern als ein essentieller Teil unseres Zusammenlebens in Deutschland und in der Welt angesehen. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag wird die Innen- und Außenkulturpolitik als verschränkt wahrgenommen: „Nach innen und außen fördern wir Dialog, Austausch, Verständigung und Kooperation." Dies beschreibt unser praktisches tagtägliches Handeln.

Alexander von Humboldt sagte kurz und bündig: „Alles ist Wechselwirkung". Und ein Zitat von Wilhelm von Humboldt beschreibt den Dialog und die Erfahrung der Anderen so: „Des Menschen Wesen ist es, sich zu erkennen in einem Anderen."

Schluss
Ich freue mich insofern auf das anstehende Wechselspiel des Erlebens, der Erfahrung und der Reflexion, das hier in den nächsten Tagen stattfinden wird. Bei dem enormen Engagement, das wir bis hier her erlebt haben, werden spannende Ergebnisse am Ende dieser Globalen Arbeitsbesprechung stehen. Lassen Sie uns Ideen und Wissen austauschen, Anregungen liefern, gedanklich experimentieren und die „Kraft der Community" dazu nutzen, die entstandenen Ideen dann auch weiterzuentwickeln. Mit dieser Globalen Arbeitsbesprechung haben wir eine herausragende Möglichkeit geschaffen, hierarchiefrei miteinander in den Dialog zu treten. Diese Dynamik der nicht formalisierten Gesprächsmöglichkeiten zu unseren Kernthemen ist einzigartig für das Goethe-Institut. Gemeinsam und partizipativ an unseren Themen zu arbeiten, ist die einzig richtige Antwort auf die aktuellen Herausforderungen.

Dank
Mein Dank geht abschließend an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie sich auf den Weg nach Berlin gemacht haben – trotz verschiedener Feiertage wie z.B. dem Zuckerfest, das morgen Abend am Ende des Ramadans gefeiert wird – und wünsche Ihnen nun arbeitsintensive und fruchtbare Tage. Einen großen Dank möchte ich selbstverständlich an das Organisationsteam rund um Jovana von Beckerath, Luise Jobst, Katharina Puppe und Johann-Jakob Wulf aus der Strategieabteilung richten. Vielen Dank!

Es gilt das gesprochene Wort!