17. Juni 2019
Kultursymposium Weimar

Eröffnungsrede des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann auf dem Kultursymposium Weimar

Anrede,
 
Herzlich Willkommen in Weimar, der Stadt der Kultur und der Bildung. Es ist ein Ort, der international nicht nur den Klang der Klassik und der Romantik hat, sondern mit der Bauhausbewegung vor 100 Jahren die Architektur der Moderne geschrieben und der der ersten Demokratie Deutschlands mit der Weimarer Republik ihren Namen gegeben hat.

Für uns ist Weimar als Weltkulturort ein idealer Ort des Dialogs, dem wir als Goethe-Institut eng verbunden sind. Und an dem ich Sie, gemeinsam mit Johannes Ebert, dem Generalsekretär, herzlich zum zweiten internationalen Kultursymposium Weimar begrüße.

„Die Route wird neu berechnet" lautet das Motto, welches der Frage nachgeht, wie Orientierung in einer zunehmend komplexen Welt gelingen kann, in der technische Möglichkeiten größer sind als je zuvor und gesellschaftliche Handlungsspielräume neu definiert werden.

Insgesamt rund 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Bereichen Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Publizistik und Politik, darunter mehr als 150 internationale Gäste aus über 50 Ländern weltweit, werden sich in den nächsten drei Tagen in 50 Veranstaltungen den aktuellen gesellschaftlichen Umbrüchen widmen und verschiedene Perspektiven zu aktuellen Zukunftsthemen erarbeiten.

Vier Bereiche setzen dabei die Schwerpunkte und Leitfragen des Kultursymposiums Weimar 2019 und spiegeln gegenwärtige und zukünftige globale Herausforderungen wider, die auf vielfältige Weise miteinander verwoben sind: neben der "Orientierung" die persönliche "Autonomie", die Frage der "Regression" in einer möglichen politische Epochenwende sowie "Diginomics", über die Wirtschaft der Zukunft. Jedem dieser vier Themenbereiche sind in den kommenden Tagen eine Reihe von Veranstaltungen gewidmet, und auch die Querverbindungen und Wechselwirkungen zwischen den vier Bereichen werden auf dem Symposium eine Rolle spielen.

Im Bereich „Autonomie" werden wir uns der Künstlichen Intelligenz und ihren Auswirkungen auf unser menschliches Selbstbild widmen.

Leitfrage im Bereich „Regression" wird sein, ob wir eine politische Epochenwende hin zu einem neuen Zeitalter nationaler Egoismen durchlaufen. Denn auch politisch erleben wir aktuell, dass der Kompass neu justiert wird: Wieder erstarkende Nationalismen bedrohen das Projekt europäischer Einigung.

„Wie tickt die Wirtschaft von morgen und übermorgen?" fragen wir uns im Feld „Diginomics". Und: Wie können Unternehmen heute ihrer gewachsenen Verantwortung gerecht werden – in einem Spannungsfeld zwischen ständigem Innovationsdruck, gewachsenen Kundenerwartungen und Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft?

Abschließend das Feld „Orientierung", das fragt: Was können wir tun, um in einer immer komplexeren Welt dennoch nicht den Überblick zu verlieren?

Über Zeiten und Kulturen hinweg sind Menschen herausgefordert, in unbekannten Gebieten zu navigieren, sich in wechselnden Situationen zurechtzufinden und neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen. Auch wenn die Möglichkeiten heute größer sind als je zuvor, so herrscht dennoch Unsicherheit über die normativen Grundlagen mit denen Orientierung künftig gelingen kann. Sicher geglaubte Wahrheiten beginnen zu bröckeln, das digitale Wissen verwischt die Grenze von persönlicher Mitteilung und gesicherter Publikation, Fakten und Fiktion verschwimmen, und wir sind zunehmend überfordert mit der schieren Menge der täglich auf uns einströmenden Informationen. Schnelligkeit, Spezialisierung und Fragilität gefährden die Stabilität von Wissen und die nachhaltige Wirkung. Umberto Eco hat einmal bemerkt, dass es immer leichter wird, mit immer weniger Wissen immer mehr Menschen zu beeindrucken.

Wir stehen aktuell an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, in dem die Digitalisierung, der rasante Aufstieg der künstlichen Intelligenz eine neue Welle des Wachstums und Wohlstands versprechen, aber gleichzeitig die Frage nach dem eigentlichen Wesen unserer menschlichen Existenz aufwirft.

Längst ist klar: Die digitale Revolution durchdringt alle Lebens- und Arbeitsbereiche und führt weltweit zu grundlegenden Veränderungen. Die Entwicklungen im Zusammenhang von Globalisierung, Digitalisierung und Mediatisierung gehen gleichzeitig einher mit Fragen nach den Folgen und den Herausforderungen, die diese technologischen Entwicklungen mit sich bringen. Es geht um Chancen und um Risiken, und darum, wie wir auch zukünftig Autoren unseres Lebens bleiben.

Das Ganze ist nicht nur ein technologischer Prozess, sondern er verändert gesellschaftliche Strukturen, Kunst und Kultur, Vertriebswege und Geschäftsfelder, die Art und Weise wie wir arbeiten, lernen, leben.

Die Zukunft ist mehr oder weniger offen. Vom Klimawandel über künstliche Intelligenz bis zur globalen Politik: Es scheint häufig, als erzeuge mancher Gedanke an in die Zukunft heute eher Bedenken als Neugier. Die Zukunft der Arbeit, der Bildung, Liebe, Pflege – so hieß es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Simon Strauß) kürzlich überspitzt: "Wenn nicht gleich Angst, so fühlt doch häufig Bedenken, wer heute in die Zukunft schaut. Und die, die den Morgen aufgeregt-fröhlich erwarten, arbeiten meist im Digitalbereich einer Technologiefirma". In anderen Teilen der Welt scheint solch ein Blick in die Zukunft, der neben den Risiken auch die enormen Chancen sieht, die sich bieten, manchmal weiter verbreitet als hier in Deutschland. Auch aus diesem Grunde freue ich mich, dass wir auf dem Kultursymposium Perspektiven aus fast 70 Ländern erleben werden. Auch wenn Veränderungen oftmals ein gewisses Unbehagen auslösen: Die Bewahrung des Status Quo bringt uns nicht weiter. Um relevant zu bleiben, nicht nur ökonomisch, sondern auch gesellschaftlich – wird man über die Fähigkeit und Bereitschaft verfügen müssen, lebenslang zu lernen und sich immer wieder neu zu erfinden. Dazu müssen Zugänge und Vermittlung zu Wissen und Bildung besser gestaltet, Wissen mit Erlebnisfreude verbunden werden und der nur tagesaktuelle Bezug zugunsten von Reflexion und Assoziation geweitet werden. Je besser man weiß, worüber man redet, desto weniger ist man manipulierbar. Gerne zitiere ich an dieser Stelle unseren Namenspatron Johann Wolfgang von Goethe. Er sagte: "Nur was sich ändert, bleibt."

Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz, der Wandel der Wirtschafts- und Arbeitswelten oder auch der wieder erstarkende Nationalismus auf globaler Ebene — das sind nur einige der Zukunftsthemen, mit denen wir uns beim Kultursymposium beschäftigen. Wir können nur darüber spekulieren, wie die Welt in 30 Jahren aussehen wird, sicher ist aber: Mehr Informationen, mehr Möglichkeiten, mehr Pflichten erwarten uns – wo verortet sich da das eigene Selbst in Anbetracht wachsender Mobilität, Pluralität und Offenheit der Gesellschaften, wenn die Grenzen des Ichs scheinbar verschwimmen und gleichzeitig das Bedürfnis nach Selbstinszenierung und -vermarktung in sozialen Medien wächst?

Einen ersten Einblick in mögliche Zukunfts-Szenarien gewinnen wir aber bereits heute Abend, wenn die britisch-indische Designerin und Futuristin Anab Jain in ihrer Keynote an konkreten Beispielen demonstriert, wie es sich anfühlen könnte, in der Zukunft zu leben. Und wie wir frühzeitig reagieren können auf die Herausforderungen und Chancen, die die nächsten Jahrzehnte für unsere Gesellschaft bereithalten.

Auf eine Besonderheit möchte ich Sie noch hinweisen, die für uns als Goethe-Institut, mit unseren 160 Instituten in fast 100 Ländern, ein wichtiges Anliegen ist. Ein Blick in die Rednerliste, aber auch auf die Liste aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums zeigt, dass uns die globale Vielfalt der hier in Weimar vertretenen Perspektiven und Positionen besonders wichtig ist. Sie bereichert den Diskurs hier in Deutschland und ist ein wichtiges Korrektiv für eine allzu oft selbstbezogene Debatte. Wir sind daher besonders dankbar, dass so viele Expertinnen und Experten aus unserem weltweiten Netzwerk der Einladung nach Weimar gefolgt sind, um gemeinsam mit uns über die genannten brennenden Themen zu diskutieren. Wir freuen uns auf einen anregenden Austausch mit Ihnen in den nächsten Tagen.

Besonders möchte ich aus aktuellem Anlass eine dieser Stipendiatinnen begrüßen: Rasa Antanavičiūtė, eine enge Partnerin des Goethe-Instituts in Litauen. Sie ist Produzentin des diesjährigen litauischen Pavillons bei der Biennale in Venedig und damit Gewinnerin des Goldenen Löwen 2019, des außerordentlich begehrten Hauptpreises einer der weltweit wichtigsten Kunstausstellungen. Die von ihr ermöglichte Arbeit „Sun & Sea (Marina)" ist eine gesellschaftskritische Opernperformance. Ich gratuliere Ihnen und Ihrem gesamten Team sehr herzlich zu dieser Leistung!

Die Debatten, die uns hier in Weimar in den nächsten Tagen beschäftigen werden, greifen Fäden auf, die bereits anderswo begonnen wurden. Zwölf Goethe-Institute weltweit haben sich bereits im Vorfeld intensiv mit Fragestellungen des diesjährigen Kultursymposiums befasst, von Dakar und Ramallah über Athen, Amsterdam, Bogota und Washington bis nach Seoul, Peking und Sidney. Diese Einblicke in wissenschaftliche, gesellschaftliche und künstlerische Ansätze und Initiativen bereichern das Kultursymposium um internationale Perspektiven. IIch möchte Ihnen drei Schlaglichter an dieser Stelle nennen:

1. Gemeinsam organisiert vom Goethe-Institut Amsterdam und dem Debattenzentrum De Balie nahm eine Diskussion im April den Romantizismus in Europa in den Blick. Sind Geschichten der Romantik neues Futter für anti-liberale Bewegungen? Auch für Weimar hat De Balie eine Diskussionsrunde kuratiert: Am Donnerstag findet das Panel "Europa neu denken. Der Aufstieg des Populismus und die Zukunft der EU" statt.

2. In Griechenland verwandelte das Künstler- und Kuratorenkollektiv „Most Mechanics Are Crooks" das Goethe-Institut Athen im März in ein Laboratorium postdigitaler Kunst. Unter dem Titel „Weasel Dance" setzte sich die Gruppe mit der Selbstdarstellung in digitalen Medien auseinander. Hier in Weimar setzt die Künstlergruppe ihr Projekt fort – mit einer Lecture Performance heute Abend auf dem E-Werk-Gelände. Ich kenne die Vorstellung selbst noch nicht, habe mir aber sagen lassen, dass zur Requisitenliste u.a. ein aufblasbarer Swimmingpool, verschiedene Tiermasken und eine Peitsche gehören sollen. Man darf also gespannt sein!

3. Die kulturellen Rahmenbedingungen für die Entwicklung Künstlicher Intelligenz schließlich standen im März im Fokus am Goethe-Institut Sydney. In „The Relevance of Culture in the Age of AI" diskutierten u.a. der KI-Experte Toby Walsh und die Start-Up-Gründerin Angie Abdilla über die Frage, welchen Einfluss der kulturelle Kontext auf die Entwicklung intelligenter Algorithmen hat und umgekehrt. Wir freuen uns, dass beide auch hier in Weimar ihre Expertise erneut mit uns teilen werden.

Hier in Weimar möchten wir geballtes, globales Wissen zusammenbringen –um neue Perspektiven zu entdecken, neue Fragen zu stellen – und vielleicht sogar die eine oder andere Antwort zu finden.

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung", sagte der berühmte Philosoph Martin Buber. In diesem Sinne lädt das Kultursymposium Weimar Sie herzlich zum Meinungs- und Kulturaustausch ein. Drei Tage lang wollen wir gemeinsam in kreativer Festivalatmosphäre künstlerische und wissenschaftliche Beiträge erleben und diskutieren.

Abschließend möchte ich allen Beteiligten herzlich danken.

Ich danke den Sponsoren aus den Reihen unseres Wirtschaftsbeirats, ohne deren Unterstützung dieses Symposium nicht möglich gewesen wäre: Dem Premiumsponsor Bertelsmann, dem Sponsor und Mobilitätspartner Volkswagen, den Sponsoren Lufthansa, Siemens, Trumpf und Würth. Weiterhin BMW, BASF und Continental für ihre Unterstützung.

Unterstützt haben uns auch zahlreiche Partner hier in Weimar, vielen Dank!

Mein großer Dank gilt auch unseren Medienpartnern Deutschlandfunk Kultur, 3Sat und brand eins.

Danken möchte ich außerdem:

- dem Projektteam für die großartige Arbeit
- Den Kolleginnen und Kolleginnen an den Goethe-Instituten in aller Welt
- unseren zahlreichen Helferinnen und Helfern.
- Und nicht zuletzt allem Ihnen allen hier im Saal, dafür, dass Sie heute mit dabei sind.

Ich wünsche Ihnen anregende, aufregende und vergnügliche Tage in WEIMAR!

Es gilt das gesprochene Wort!