26. Juni 2019
Verabschiedung Generaldirektor Prof. Dr. Ulrich Großmann

Rede des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann bei der Verabschiedung von Generaldirektor Prof. Dr. Ulrich Großmann

Anrede,
 
Heute verabschieden wir Prof. Dr. Ulrich Großmann als Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums nach einer beeindruckenden Amtszeit von einem Vierteljahrhundert. Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Europäischen Ethnologie und Christlichen Archäologie an den Universitäten Würzburg und Marburg, Professuren an den Universitäten in Hannover und Bamberg und ersten Fingerübungen im Museumsbereich, stand er als Vierzigjähriger dem Germanischen Nationalmuseum als Generaldirektor vor.

Das Forschungsmuseum

Der Reichtum des Germanischen Nationalmuseums ist überwältigend. Es vereinigt die kunst- und kulturgeschichtlichen Quellen des deutschsprachigen Raums, die der Kunst und die des Alltags. Daneben verfügt es von Beginn an über einen definierten Sammelauftrag für ein umfassendes Archiv und eine Bibliothek. Es ist das große Verdienst von Prof. Großmann, die Verknüpfung der Bild- und Textkultur in ihrer Tragweite als kulturelles Gedächtnis erkannt und als kulturpolitischen Ansatz zugrunde gelegt zu haben.

Als Generaldirektor beschleunigte und intensivierte Herr Prof. Großmann den Wandel des GNM von einem herkömmlichen „Kunstmuseum" hin zu einem fachübergreifend kulturgeschichtlich aufgestellten Haus. Die bisherigen gattungsspezifischen Präsentationen sollten durch eine gattungsübergreifende, verzahnte und kulturgeschichtlich geprägte Präsentation in den neuen Dauerausstellungen abgelöst werden. Diese neue Erzählweise kam in Ansätzen erstmals in der 2002 neu eingerichteten Dauerausstellung zum 19. Jahrhundert zur Anwendung.

Wirklich sammlungsübergreifend und unter besonderer Betonung des Teamgedankens wurde diese neue Form der Präsentation dann bei der Sanierung des Galeriebaus mit seinen Dauerausstellungen zur Ur- und Frühgeschichte, dem Mittelalter und Renaissance/Barock/Aufklärung eingesetzt. Mit der Sanierung und der Neukonzeption des Galeriebaus ist das Museum mit einem großartigen Auftritt auf die europäische Bühne zurückgekehrt.

Auch die 2012 neu eingerichtete Ausstellungseinheit „Mittelalterbilder" im sog. Lapidarium und die 2014 eröffnete Ausstellung „Gründung des GNM" in der sog. Ehrenhalle sind Zeugnisse für diese neue Form der Darstellung im GNM. Das Germanische Nationalmuseum ist für diesen Wahrnehmungsprozess befähigt, denn es verfügt nicht nur über Schauräume und Wechselausstellungen, sondern vereint mit Sammlung, Archiv und Bibliothek Quellen und Forschung. Nur durch neue Erkenntnisse werden Museen zu Aktivposten unserer Gesellschaft. Wir alle wissen, ohne Geschichte, ohne Wissen, ohne Tradition gibt es kein kulturelles Gedächtnis.

In diesem Zusammenhang ist auch die von Herrn Großmann 1997 initiierte neue Publikationsreihe „Kulturgeschichtliche Spaziergänge im Germanischen Nationalmuseum" zu erwähnen. Dieses neue Format sollte die bisherigen „schweren" Bestands- und Ausstellungskataloge des Museums ergänzen und der Leserschaft – gerne auch interessierten Laien - in verständlicher Sprache einen unterhaltsamen Zugang und Einblick in die Welt des GNM geben.

In der Amtszeit von Herrn Großmann ist es gelungen, das GNM in den bundesdeutschen Wissenschaftsbetrieb einzuordnen und ein starkes Mitglied in der Leibniz-Gemeinschaft zu werden, ohne dabei die Besonderheiten und Anforderungen eines Besuchermuseums aus den Augen zu verlieren.

Dabei hat sich Herr Großmann nie davor gescheut, seine Positionen gegebenenfalls mit dem ihm eigenen kritischen und streitbaren Geist deutlich zu machen.

Unter der Führung von Herrn Großmann hat das GNM drei Evaluierungen (1998/2006/2014) erfolgreich absolviert und damit die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich das GNM nun seit Jahrzehnten auf eine solide und verlässliche Finanzierung durch Bund und Länder stützen kann.

Nicht zuletzt durch den Leibniz-Wettbewerb verbesserten sich in der Amtszeit des scheidenden Generaldirektors die Möglichkeiten, zusätzliche Drittmittel für Forschungsvorhaben zu akquirieren:

Motiviert durch Herrn Großmann hat das GNM diese Chancen weidlich genutzt: Im Leibniz-Wettbewerb konnten große und kostenträchtige Drittmittelprojekte zum „Frühen Dürer", „Wege in die Moderne", „Totenschilde", „Die Deutsche Tafelmalerei des Spätmittelalters" und „Lutherbildnisse" eingeworben werden. Hinzu kamen eine Vielzahl von DFG-Projekten – als eines der bedeutsamsten sei an dieser Stelle nur das „Goldschmiedeprojekt" erwähnt, das eine Laufzeit von insgesamt 10 Jahren (1997 bis 2007) hatte.

Derartige Forschungsprojekte legten häufig das wissenschaftliche Fundament für große Sonderausstellungen mit vielen nationalen und internationalen Leihgaben: So konnte z. B. 2012 die fulminante Schau „Der Frühe Dürer" eröffnet werden. Die Erkenntnisse des Goldschmiedeprojekts flossen in die exquisite Ausstellung „Goldglanz und Silberstrahl", die 2007 gezeigt wurde.

Heute Abend wird die Ausstellung „Abenteuer Forschung" feierlich eröffnet – diese Ausstellung präsentiert exemplarisch, was das Wesen des GNM als Forschungsmuseum ausmacht. Insofern ist diese Ausstellung der passende und zugleich krönende Abschluss der Zeit und des Wirkens von Herrn Prof. Großmann am und für das Germanische Nationalmuseum.

Ausstellungen

Mit dem 1994 abgeschlossenen Erweiterungsbau stand Herr Prof. Großmann gleich zu Beginn seiner Amtszeit vor der gewaltigen Herausforderung, die neu errichteten zwei Ausstellungshallen regelmäßig mit attraktiven Sonderausstellungen bespielen zu müssen.

Dies gelang Herrn Großmann und dem gesamten Team im GNM eindrucksvoll.

Seit Eröffnung des Galeriebaus 2010 ist es dem GNM gelungen, jährlich regelmäßig mindestens zwei große und mehrere mittlere und kleinere Sonderausstellungen in den beiden Ausstellungshallen und in anderen Spielorten – wie z.B. in der Kartäuserkirche und im sog. Westkopf zu präsentieren.

Wenn ich nur meine Zeit als Vorsitzender des Verwaltungsrats nehme, um eine Auswahl der Ausstellungen zu benennen, dann ist man über Vielfalt und Qualität beeindruckt. Lassen Sie mich ein paar Beispiele aufführen, an die Sie sich alle bestens erinnern werden:

Was ist Deutsch? Sonderausstellung zur FIFA-Fussball-Weltmeisterschaft 2006 -2006
Plakativ. Produktwerbung im Plakat – 2009
Kunst und kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945-89 – 2009
Mythos Burg – 2010
Johannes Grützke. Die Retrospektive – 2011
Der frühe Dürer – 2012
Tagträume – Nachtgedanken- Phantasie und Phantastik in Graphik und Photographie – 2013
Aufbruch der Jugend Deutsche Jugendbewegung zwischen Selbstbestimmung und Verführung– 2013
Die älteste Taschenuhr der Welt? Der Henlein Uhrenstreit – 2014
Die Gumbertusbibel. Goldene Bilderpracht der Romanik – 2014
Monster. Fantastische Bilderwelten zwischen Grauen und Komik– 2015
Von oben gesehen. Die Vogelperspektive – 2015
In Mode. Kleider und Bilder aus Renaissance und Frühbarock– 2016
Kriegszeit im Nationalmuseum 1914 bis 1918 – 20
Luther. Kolumbus und die Folgen – 2017
Von Kirchner bis Baselitz. Ein Jahrhunderterbe: Die Sammlung Kinkel im Germanischen Nationalmuseum– 2017
Wanderland. Eine Reise durch die Geschichte des Wanderns – 2018
Warenzauber in Produktplakaten und Werbefilmen – 2018
Richard Riemerschmid. Möbelgeschichten – 2018
Luxus in Seide. Mode des 18. Jahrhunderts – 2018
Helden, Märtyrer, Heilige. Wege ins Paradies – 201
Franz Marc. Auf dem Weg zum Blauen Reiter – 2019

Dabei gab Herr Großmann den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern großzügigen Freiraum bei der Entwicklung und Realisierung ihrer Forschungsprojekte. Er war und ist überaus offen für Projektideen und Vorschläge und unterstützt Projekte mit großer wissenschaftlicher Neugier. Thematische Vorbehalte und Einschränkungen wurden und werden offen in größerer Runde in der Forschungskommission diskutiert.

Sanierungs- und Baumaßnahmen

Generaldirektor an einem so altehrwürdigen Museum mit historischer, denkmalgeschützter Bausubstanz zu sein, heißt auch immer, sich mit großen und komplexen Sanierungs- und Baumaßnahmen befassen zu müssen.

Klagen über marode Technik und sanierungsbedürftigen Gebäudekomplexe sind daher seit fast 25 Jahren treue Begleiter von Herrn Großmann:
So fiel in die Amtszeit von Herrn Prof. Großmann die über einen Zeitraum von 10 Jahren laufende Sanierung des Galeriebaus, die erst 2010 abgeschlossen werden konnte.
Aufgrund der dabei gewonnenen Erfahrungen zeigte sich, dass für die weitere Sanierung der Gebäudekomplexe des GNM ein zentrales Depot unumgänglich sein wird.
Im Mai 2013 konnte der erste Spatenstich erfolgen. Die Einweihung wird 2021 sein, leider nicht mehr in der Amtszeit von Prof. Großmann.
Mit dem im Bau befindlichen Tiefdepot nebst Technikzentrale ist jedoch dem Museum eine entscheidende Weichenstellung für die anstehenden Sanierungen des Süd- und Südwestbaus geglückt.
Auch dieses bedeutende Sanierungsprojekt konnte in der Amtszeit von Prof. Großmann auf den Weg gebracht werden.
Seinen Weitblick und sein strategisches Geschick im Hinblick auf räumliche Erweiterungsmöglichkeiten des Museums hat Herr Großmann insbesondere auch durch die 1998 bzw. 2003 erfolgten Erwerbungen der Immobilien in der Kartäusergasse 18 und 20 unter Beweis gestellt.

Ein besonderes Anliegen war ihm schon immer die Erhöhung der Attraktivität und der Benutzerfreundlichkeit des Museums für Gäste. So konnten unter seiner Ägide die Eingangshalle mit zentralem Kassenbereich, der Museumsshop, die Gastronomie und die Info Lounge neu- bzw. umgestaltet werden.

Professionalisierung und Modernisierung

Unter Prof. Großmann erfolgte außerdem der Start des Museums in digitale Welten. Zum Amtsantritt von Prof. Großmann steckte das Internet noch in den Kinderschuhen, eine eigene Homepage war Zukunftsmusik, Twitter, Facebook und Instagram existierten noch nicht. Mittlerweile spielt das GNM auf allen diesen Kanälen mit, außerdem verfügt es über einen digitalen Online-Katalog und hat eine eigenständige wissenschaftliche Kommunikations-Infrastruktur namens WissKI entwickelt. Viele Druckerzeugnisse des GNM sind mittlerweile als Open Access Publikationen frei zugänglich.

Für die Entwicklung und Umsetzung dieser neuen Themen im musealen Alltag hat Herr Prof. Großmann seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stets mit großem Vertrauen in deren Kompetenz und Fähigkeiten den notwendigen Freiraum gewährt.

Herr Prof. Großmann und „sein" Personal

Ein so großes Museum wie das GNM lebt natürlich vor allem auch durch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das GNM hat aktuell rund 230 Beschäftigte – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen sind sämtliche dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Amtszeit von Herr Prof. Großmann eingestellt worden. Seit 1994 wurden alleine an Sammlungs- und Referatsleiterinnen und –leitern insgesamt 46 (!) Personen neu eingestellt bzw. ernannt – bei allen diesen Personalentscheidungen war Prof. Großmann unmittelbar beteiligt. Er hat dabei eine überaus glückliche Hand bewiesen und viele hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Fach- und Führungskräfte ans Haus holen und binden können, viele Karrieren befördert und insbesondere auch Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler nach Kräften unterstützt.

Prof. Großmann hat seine Führungsverantwortung nicht autoritär oder autokratisch wahrgenommen, sondern „seinen" Leuten die notwendigen Freiheiten gelassen, damit diese ihre Ideen und Pläne umsetzen konnten. Die Freiheit der Forschung ist für ihn ein überragend wichtiges Gut, dies zeigte sich auch und insbesondere im musealen Alltag. Inhaltliche Vorgaben, Einschränkungen oder gar Denkverbote gab es unter Prof. Großmann nicht. So ist es kein Wunder, dass sich unter seiner Leitung die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im GNM selbst verwirklichen und mit Forschungsprojekten und Ausstellungsvorhaben ein eigenes Profil entwickeln konnten. Nicht von ungefähr sind aus dem Personalstamm des GNM mittlerweile drei Generaldirektorinnen bzw. -direktoren hervorgegangen. Frau Dr. Eikelmann und Herr Dr. Kammel als Generaldirektoren des Bayerischen Nationalmuseums sowie unser Herr Dr. Hess als zukünftiger und neuer Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums.

Dank

Es ist eine beeindruckende Bilanz, die Sie, Prof. Großmann, vorlegen. Es ist ein großer Spannungsbogen, den Sie über 25 Jahre gezogen haben. Das Germanische Nationalmuseum hat sich in seinen Entwicklungen, seinen wissenschaftlichen Ansprüchen, seiner positiven Wandlungsfähigkeit hervorragend positioniert. Dieses Haus schafft geistigen Humus, es sorgt für intellektuelle Anregung, für kreative Debatten und ist ein attraktiver Lern- und Bildungsort, der Generationen übergreifend wirkt. Für Nürnberg ist das Museum ein schätzenswerter Standortfaktor mit europäischer Ausstrahlung. Lieber Herr Großmann, im Namen des Verwaltungsrates darf ich Ihnen für diese Lebensleistung unseren tief empfundenen Dank aussprechen.

Es gilt das gesprochene Wort!