4. September 2019
Deutsch-Israelische Literaturtage 2019

Begrüßung durch den Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann im Deutschen Theater in Berlin

Anrede,

Die deutsch-israelischen Literaturtage haben inzwischen einen beeindruckend langen zeitlichen Verlauf, gemeinsam getragen von der Heinrich Böll-Stiftung und dem Goethe-Institut. 2005 begonnen - laden wir nunmehr zum 14. Mal ein.

Man könnte zwei unterschiedliche Begründungen formulieren. Die erste liegt auf dem Aspekt der Kontinuität und der bewährten gegenseitigen Kenntnis und den besonderen deutsch-israelischen Beziehungen, die zweite auf der jedes Jahr neuen Konstellation in und zwischen den Gesellschaften, die sich in den Literaturen widerspiegeln und bei denen die Literatur als kritischer Denkraum selbst zum Gegenstand politischer Interventionen wird. Genau dieser zweiten Anforderung stellen sich die deutsch-israelischen Literaturtage, durch Blick und Gegenblick, durch Selbstbefragung und durch Diskurs.

„Lauter, immer lauter" ist das diesjährige Thema. Und in der Tat. Unsere Gesellschaft verändert sich zunehmend in lautstarker Auseinandersetzung, in Manipulation, Täuschung und Simplifizierung, in Verrohung der Sprache. Die öffentlichen Debatten werden immer kurzatmiger, es gilt nur noch den eigenen Standpunkt durchzusetzen. Populistische und politisch extreme Strömungen werden begünstigt und die Gesellschaft gespalten. Über die sozialen Medien wird ein Millionenpublikum mit Fake News und Reizworten in schnellem und lautem Wechsel bedient.

So unterschiedlich die außenpolitischen Rahmenbedingungen auch sind, innenpolitisch gibt es erstaunliche Parallelen in der Entwicklung beider Gesellschaften. Wir gehen davon aus, dass sich in Deutschland und Israel Gesellschaften in weitgehend politischer Unabhängigkeit und Diskursfähigkeit befinden. Ist das so?

Europa, Deutschland eingeschlossen, erlebt derzeit einen deutlichen Zulauf zur neuen Rechten, Ressentiments und Feindbilder entstehen, ausländerfeindliche Politik und Parolen gegen Minderheiten gewinnen Schwungkraft, die Kultur wird in den Dienst der nationalen Erzählung gestellt, schleichend, aber mit einer klaren Ausrichtung. Dort, wo die populistischen Parteien die Regierungen stellen, werden die Konsequenzen im Kulturbereich schnell gezogen: Intendanten der Theater und Museen werden in Polen und Ungarn vor die Tür gesetzt, wenn sie den autoritären Vorstellungen nicht folgen. Keine Vielfalt, sondern eine einheitliche Selbstvergewisserung. Zensur oder Selbstzensur bestimmen, nicht die Freiheit der Kunst.

In Deutschland ist diese Entwicklung noch nicht so deutlich, weil derzeit noch keine Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten gegeben ist. Immerhin ist die AfD seit 2017 drittstärkste Kraft im Bundestag und stärkste Oppositionspartei. Häufig versucht die AfD schon jetzt im Bundestag und Länderparlamenten in ihrem Sinn Kulturpolitik zu machen: Vermeintlich politisch linke Kunst soll dabei möglichst verhindert werden.

So hinterfragt die Partei etwa die Zulässigkeit von Fördergeldern für Kunstprojekte, die sich gegen Rassismus einsetzen, sie beantragt Kürzungen, wie beispielsweise beim Deutschen Theater oder dem Gorki-Theater. Sie will Einfluss auf Spielpläne nehmen, spricht sich für die Schließung von Hellerau aus, dem bekannten Europäischen Zentrum der Künste in Dresden, stört Theateraufführungen, wie Global Gala im Deutschen Theater durch Anhänger der Identitären Bewegung oder klagt gegen Inszenierungen, die ihre Rhetorik hinterfragen, wie zum Beispiel an der Schaubühne Berlin oder dem Chaostheater Aachen. Sie greift die Museumspolitik an wegen einseitiger Politisierung der Kunst, wie beispielsweise die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Die AfD spricht von einer „Entsiffung des Kulturbetriebs", gemeint ist die Beseitigung von sogenanntem Gedankenmüll. Der Vorsitzende der AfD sprach 2018 beim Bundesparteitag der AfD in Augsburg vom linksrotgrün verseuchten 68er Deutschland. Das Theater „muss wieder zu einem volkspädagogischen Anspruch zurückfinden. Das Theater dient der Nationalbildung". Es ist eine strikte Position gegen das Theater oder das Museum als kritischen Raum für Diskurse und Vielstimmigkeit.

Beispiele für politische Einflussnahme auf den Kulturbetrieb lassen sich aktuell auch in Israel finden. Wie in Form des sogenannten Loyalitätsgesetztes für die Kultur. Das entsprechende Gesetz hat die rechtskonservative Kulturministerin Miri Regev vorbereitet. Sie kritisiert und droht regelmäßig mit dem Streichen von Geldern für Kunstproduktionen, die nicht ihrer Auffassung von "Loyalität" entsprechen.

Regev wollte gesetzlich verankern lassen, dass es in Zukunft möglich sein solle, Künstlern und Institutionen Förderung zu entziehen oder vorzuenthalten, wenn sie sich nicht an bestimmte Grundsätze der „Loyalität" gegenüber dem Staat halten. Die Grundsätze waren so vage formuliert, dass das Gesetz zum Knebel für kritische Künstler hätte werden können. Die vorgezogenen Neuwahlen hatten verhindert, dass Miri Regev ihr "Loyalitätsgesetz" in der Knesset bis zur endgültigen Abstimmung durchbringen konnte.

Die Proteste gegen den Gesetzesentwurf waren zuletzt immer lauter geworden; Kulturschaffende initiierten landesweite Demonstrationen; zuletzt verbrannten Künstler in Jerusalem öffentlich ihre Werke als drastisches Zeichen des Widerstands gegen Regevs Pläne. Die Parlamentswahl am 17. September könnte das Gesetz in der Knesset wieder zur Abstimmung bringen.

Aber auch ohne Gesetz wird die staatliche Förderung im Einzelfall vom politischen Wohlverhalten abhängig gemacht. So sehen sich beispielsweise das arabisch-hebräische Theater in Jaffa oder das Habimah-Theater in Tel Aviv von Kürzungen bedroht. Das Al-Midan-Theater in Haifa musste schließen. Beim bekannten Fringe-Theater-Festival in Akko müssen inzwischen alle Inszenierungen bereits vor ihrer Aufführung vom Ministerium geprüft werden. Aber auch das Erziehungsministerium nimmt Streichungen von der Liste empfohlener Bücher für die Schulen vor. Trotzdem gibt es viel Energie bei den Kulturakteuren. Sie trotzen der staatlichen Disziplinierung.

Diese von mir beschriebenen Entwicklungen darf nicht dazu führen, dass die Diskursfähigkeit verloren geht, dass die extremen Positionen bewirken, sich nur in der eigenen Blase abzuschotten und sich immer nur selbst zu bestätigen. Kultur ist immer auch Auseinandersetzung. Die muss geführt werden, mit Argumenten und Offenheit. Es darf keine Tabuisierung der Gedankenfreiheit geben.

Jüngst gab es einen heftigen Streit um das Jüdische Museum in Berlin, der zum Rücktritt des Leiters Peter Schäfer führte und der noch immer nicht gelöst ist. Das geht Deutsche und Juden gleichermaßen an. Es ging um die Definitionsmacht des Jüdischen. Peter Schäfer, ein großer Freund Israels und Judaist von internationaler Reputation, sah im Judentum nicht nur den Geist des Glaubens, sondern auch den der Kritik. Das Jüdische Museum begriff er als Ort einer liberalen, manchmal auch kontroversen Diskussion und schuf damit ein ideales Forum, um über aktuelle Fragen von Religion, Kultur und Politik zu reflektieren. Dies führte zu einer Kampagne gegen das Museum, die sich immer lauter nur für eine „Schau des Judentums" einsetzte. Ich bin der Auffassung, dass wir solche demokratischen Gestaltungsräume mit Meinungsvielfalt brauchen und eine Museumsleitung muss solche Diskurse organisieren können. Denkverbote sind fatal und untergraben die Glaubwürdigkeit kultureller Institutionen.

Heute geht es verstärkt darum, Frei- und Dialogräume verfügbar zu haben, Begegnungen zu ermöglichen, kulturellen Austausch und Koproduktionen zu initiieren, zivilgesellschaftliche Entwicklungen zu stärken und Infrastruktur für Kultur und Bildung zu etablieren. Das versuchen wir mit den Goethe-Instituten in der Welt zu leisten.

Die Deutsch-Israelischen Literaturtage stellen sich ebenfalls bewusst dieser Aufgabe. Acht Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Israel und Österreich werden heute und am Sonntag über mögliche Gründe für das weltweite Erstarken rechtspopulistischer Politik diskutieren. Heute Abend sprechen der israelische Schriftsteller Sami Berdugo und der ebenfalls vielfach ausgezeichnete österreichische Autor und Dramatiker Franzobel unter dem Titel „Get together" darüber, was unsere Gesellschaften spaltet, aber auch, was sie jeweils zusammenhält. Beide würde ich als Querdenker bezeichnen. Sami Berdugo wird seinen bislang noch nicht ins Deutsche übersetzten Roman "An Ongoing Tale Upon Land" vorstellen, ein sehr persönlicher Streifzug durch das heutige Israel. Es folgt dann Franzobel, der aus seinem dystopischen Krimi „Rechtswalzer", einer satirisch zugespitzten Gesellschaftsanalyse liest, in dem eine neue Partei, die in Österreich des Jahres 2024 an die Macht gekommen ist, langsam das demokratische System aushöhlt. Das Buch ist also mehr als aktuell!

Ich bedanke mich abschließend im Namen des Goethe-Instituts bei der Heinrich Böll-Stiftung für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Mein Dank gilt den Teams für Planung und Realisierung dieser diesjährigen Literaturtage, vor allem danke ich den großartigen Autorinnen und Autoren und ihren kenntnisreichen Übersetzerinnen und Übersetzern.

Ich wünsche uns allen einen anregenden Abend!

Es gilt das gesprochene Wort!

Anstelle von Franzobel, der kurzfristig seine Teilnahme absagen musste, nahm die britisch-indische
Schriftstellerin Priya Basil an dem Eröffnungsgespräch teil.