17. August 2020
Abschied vom Goethe-Institut

Interview von Katja Weise vom NDR mit Klaus-Dieter Lehmann
 

Herr Lehmann, es steht schon lange fest, dass Sie im November Ihr Amt als Präsident des Goethe-Instituts abgeben werden. Ihre Nachfolgerin ist auch schon bekannt: die Ethnologin Carola Lentz. Ist es ein guter Zeitpunkt, jetzt zu gehen oder hätten Sie sich in diesem ein wenig merkwürdigem Jahr vielleicht auch gewünscht, noch bleiben und weiter lenken zu können?

Der Termin war gesetzt. Ich habe gesagt: Mit 80 Jahren ist Schluss. Das war vor zwei Jahren von mir so angedacht. Dass das Jahr so verläuft, wie es gelaufen ist, war nicht mitgedacht worden. Denn ich hatte schon den Eindruck, ein entspanntes letztes Jahr machen zu können. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Corona-Krise hat uns richtig gepackt und hart an die Kandare genommen. Wir müssen sehen, dass wir durch diese ganzen Beschwernisse, Einschränkungen und erheblichen Einschränkungen, was die Öffnung der Goethe-Institute betrifft, durchkommen. Es ist ein sehr belastendes Jahr, aber andererseits bin ich froh, dass ich genau in diesem belastenden Jahr da bin, weil ich durch meine Kenntnis und meine Netzwerke vielleicht das ein oder andere auch richten kann.

In den vergangenen Jahren haben Sie sich viel mit Afrika beschäftigt, Stichwort: Restitutionsdebatte. Die Provenienzforschung ist ein riesiges Thema, auch in Deutschland an den Museen. Das Goethe-Institut spielt in dem Zusammenhang auch eine wichtige Rolle, gerade in Afrika. Wie positionieren Sie sich da?

Dass man dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat, war dringend notwendig und erforderlich. Was man zu Beginn der Diskussion vernachlässigt hat, war, dass man die afrikanischen Stimmen selbst gehört hat. Und das fand ich nicht ausreichend, um wirklich eine Position einzunehmen. Ich nenne mal zwei Projekte, die wir in Afrika gemacht haben, die für mich charakteristisch sind, in dem Sinn, Lerngemeinschaften zu haben. Das eine nennt sich ”The Burden of Memory”. Das war eine Aufgabe an afrikanische Kuratoren, in die ehemaligen Kolonialgebiete Deutschlands zu gehen und zu untersuchen, welchen Einfluss die Kolonialzeit auf die heutige gesellschaftliche kulturelle Prägung hat. Mit diesem Ergebnis haben wir Neuland betreten. Das hat niemand bisher gemacht, und das war hochinteressant. Die Künstler haben sich auch in Performances ausgedrückt, wie sie mit diesem Thema umgehen.

Das Zweite war, dass wir eine große Initiative zur Museumspolitik gestartet haben. Wir haben in fünf oder sechs Ländern die Wissenschaftler, Künstler und Kulturakteure zusammengeholt, um über Museen zu sprechen: Wie seht ihr eigentlich die Aufgabe eines Museums? Ist das für euch eine Aufgabe? Oder ist das Museum ein Kind der Aufklärung, also europäisch, und hat für euch keine Bedeutung?

Wir haben dann in Windhoek diese afrikanischen Stimmen zusammengeschlossen und haben aus Deutschland ebenfalls diejenigen, die in Deutschland die Diskussion betreiben, zusammengeführt. Daraus ist ein hervorragender Leitfaden entstanden, der deutlich macht: Museen ja, aber in der Eigenbestimmung der Afrikaner.

Für mich ist auch klar, dass man Raubkunst nicht einfach in den deutschen Museen belassen kann. Darum müssen wir über Rückgaben verhandeln und reden. Denn was Unrecht ist, muss auch Unrecht bleiben. Insofern sollten die Museen, wenn sie glaubwürdig sein wollen, eine Linie haben, um in Verhandlungen einzutreten.

Sie gelten als einer der Gründungsväter des Humboldt-Forums in Berlin, beziehungsweise dessen, was dann da präsentiert werden soll, die außereuropäischen Sammlungen. Sie haben das Goethe-Institut in dem Kontext als so eine Art Außenminister des Humboldt-Forums ins Gespräch gebracht. Was genau meinen Sie damit?

Ich glaube, es ist wichtig, dass das Humboldt-Forum eine Möglichkeit bietet, die Kulturen nicht nur rückwärtsgewandt zu sehen, sondern in der heutigen Ausdrucksform. Wenn wir uns nur auf die Sammlungen beziehen, die jetzt vorhanden sind, wird das sehr schnell eine verstaubte Angelegenheit. Ich habe gesagt, es wäre gut, wenn die Goethe-Institute mit ihrem Netzwerk, mit den 160 Instituten in der Welt, die sehr nah an den jeweiligen Gesellschaften im kulturellen Bereich sind, als Außennetz wirken würden. Wenn sie die Informationen, die Künstler, die Wissenschaftler, die Kulturakteure mit Berlin verbinden und diesen Input immer neu mit den Themen setzen, die in der Welt diskutiert werden.

Und umgekehrt kann das Humboldt-Forum das, was erarbeitet wird, auch in die Welt bringen, sodass ein Dialog in einer globalen Größenordnung entsteht. Ich glaube nicht, dass es reicht, wenn man das Humboldt-Forum auf ein kolonialgeschichtes Museum reduziert.

Gründungsintendant war Neil MacGregor, den sie sehr schätzen. Seit 2018 ist er nicht mehr Intendant, sondern Hartmut Dorgerloh. Die Eröffnung hat sich immer wieder verschoben - im Moment gehen wir von Ende dieses Jahres aus. Vor dem Hintergrund dessen, was Sie sich mal vorgestellt haben, was das Humboldt-Forum sein soll und sein könnte: Sehen Sie das auf einem guten Weg?

Ich hoffe, dass es auf einem guten Weg ist. Mir ist es wichtig, dass nicht immer nur über die Schlossfassade geredet wird. Es ist wichtig, dass das Konzept offensiv nach vorne getragen wird. Und da hoffe ich, dass in der nächsten Zeit, wenn die Bespielbarkeit der Flächen da ist, deutlicher wird, was für ein enormes Potenzial mit dem Humboldt-Forum verbunden sein kann.

Das heißt, da ist noch eine Menge Luft nach oben?

Das würde ich so sagen, ja.

In den letzten Wochen ist auch viel über die Struktur der Stiftung Preußischer Kulturbesitz diskutiert worden. Die haben Sie zehn Jahre geleitet, bevor Sie Präsident des Goethe-Institutes wurden. Da hat es ein Konzept gegeben - unter Vorsitz von Marina Münkler -, das besagt, man müsse die Strukturen verändern, da sei zu viel unter einem Dach. Manche haben in dem Kontext von Zerschlagung gesprochen. Insgesamt war das Echo aber doch so, dass man sagte, das ergebe Sinn. Wie sehen Sie das? Ich glaube ein bisschen anders, oder?

Ich glaube, da setzt man die Akzente falsch. Die Analyse der Stiftung, so wie sie der Wissenschaftsrat gemacht hat, ist nicht falsch. Es ist ein gewisser Stillstand da. Es ist eine Hierarchisierung da. Es ist keine klare Budgethoheit da. Das sind alles Dinge, die ich unterschreibe. Das ist aber ein organisatorisches und kein kulturpolitisches Problem. Die Zerschlagung der Stiftung in Museen, Bibliotheken und Archive bedeutet im Grunde, dass diese Segmente mit einer neuen Verwaltung ausgestattet werden, also eher mehr Stellen als weniger Stellen kommen.

Zum anderen sind wir auch einer Geschichte verpflichtet. Der Begriff Stiftung Preußischer Kulturbesitz wird als nicht gesellschaftsfähig angesehen. Preußen hat einen negativen Touch. Wir sollten klären, wie sich Preußen mit diesen kulturellen Hinterlassenschaften überhaupt identifiziert hat. Es war im Wesentlichen im 19. Jahrhundert die Leistung nach den vernichtenden Kriegen, wo deutlich wurde: Mit Militär kann man die Welt nicht gewinnen, aber mit Bildung, Kultur und Wissenschaft. Ich glaube, es ist ein Fehler, wenn man diese Geschichte so völlig außen vorlässt. Wenn wir uns nicht mit unserer eigenen Geschichte befassen, dann können wir auch keine entsprechenden Veränderungen reflektieren.

Wenn wir die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wirklich gut aufstellen wollen, müssen wir ein qualifiziertes Organisationsgutachten haben. Denn letztlich hängt es nicht daran, dass zu viel an Einrichtungen da ist, sondern dass die Einheiten nicht souverän mit ihren Möglichkeiten umgehen können. Es muss einen Präsidenten geben, der kulturpolitisch agiert. Es muss Museumsdirektoren geben, die ihre Eigenständigkeit in der Budgethoheit haben und eine entsprechende Möglichkeit, wie ein Universalmuseum, ihre Dinge zusammenzutun. Wenn wir jetzt so politisch mit der Zerschlagung arbeiten, besteht die Gefahr, dass es einen langen Prozess zwischen Bund und Ländern gibt, und die Reform der Struktur auf der Strecke bleibt. Das wäre das Schlimmste, was uns passieren kann. Wir sind ein Bundesstaat, wir sind kein Zentralstaat. Ich fand es immer charmant, wenn Bund und 16 Länder diese Stiftung tragen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass wir den Föderalismus verraten, wenn die Länder rausgehen.