28. August 2020
Verleihung der Goethe-Medaille 2020

Videostatement von Klaus-Dieter Lehmann bei der Verleihung der Goethe-Medaille 2020

Anrede,

Widerspruch ertragen – der Ertrag des Widerspruchs ist in diesem Jahr das Leitmotiv zur Verleihung der Goethe-Medaille. Es ist ein Plädoyer dafür, auch unter schwierigen Bedingungen mit Ambivalenzen umzugehen. Gerade aus Widersprüchen können fruchtbare Kräfte erwachsen, die Vielfalt ermöglichen und zu Reflexion und neuen Erkenntnissen anregen. Dazu müssen Vieldeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten wahrgenommen und der Umgang damit bewusst ausgestaltet werden. Diese Kompetenz zeichnen unsere diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger aus. Sie stehen für die Kraft kritisch reflektierender Kunst und den offenen internationalen Kulturaustausch.

Die Goethe-Medaille 2020 geht an die bolivianische Künstlerin und Museumsdirektorin Elvira Espejo Ayca, an den britischen Schriftsteller Ian McEwan und an die südafrikanische Schriftstellerin, Verlegerin und Kuratorin Zukiswa Wanner. Jedes Jahr wird diese herausragende Auszeichnung in Weimar, dem Wirkungsort Goethes, am 28. August, seinem Geburtstag verliehen. Dieses Jahr können wir den Festakt wegen der Corona-Krise nicht in Weimar veranstalten. Trotzdem wollen und werden wir auf die Verleihung nicht verzichten sondern sie in einem digitalen Festakt über die Deutsche Welle weltweit übertragen und in einer Feier unsere Preisträgerinnen und Preisträger an ihren jeweiligen Orten ehren. Wir wollen so das Verbindende stärken und die Botschaft dieser drei beeindruckenden Persönlichkeiten in die Welt tragen, die in ihrer kulturellen Vermittlungsarbeit in und zwischen Afrika, Lateinamerika und Europa sich gegen eine abgeschottete Nur-Realität wenden und der Freiheit des Austausches Raum geben. Ihnen unseren herzlichen Glückwunsch!

So unterschiedlich die drei Laureaten hinsichtlich künstlerischer Prägung, geographischer Herkunft und persönlicher Erfahrung sind, so identisch sind sie in ihrer Auffassung und Fähigkeit, den Abbau von Vorurteilen und Stereotypen durch ihre Beiträge zu fördern, der Spaltung der Gesellschaften durch offene Debatten entgegenzuwirken und die Vielstimmigkeit von Kulturen gegen Uniformität und Zensur zu verteidigen.

Gegen die derzeit zu beobachtende Einengung des freien Austauschs von Ideen und Informationen, das Errichten von mentalen Mauern, noch verstärkt durch die Corona-Krise, können die kritischen und fantasievollen Stimmen der Kunst ein Öffnung erreichen. Dazu ist es notwendig, das hierarchische Denken zu überwinden und die Kulturen vergleichend und nicht vermessend und bewertend nebeneinander zu sehen, die Wertschätzung von Vielfalt und die Gleichwertigkeit der Anderen zu achten. Die Übersetzung des Lebens in die Sprache der Kunst gelingt nur, wenn diese Sprache keiner Einschränkung von außen unterliegt. Kunst muss frei sein!

Ohne den kulturellen Austausch kommen wir nicht aus. Auch wenn er den Erfolg nicht garantiert, ohne ihn geht es auf keinen Fall. Dadurch kann erreicht werden, dass bei Stillstand und Abschottung wieder Prozesse angestoßen werden und dass

bei Blockaden über Alternativen nachgedacht wird. Standpunkte zu teilen, erfordert immer wieder aufs Neue, Gemeinsamkeiten zu beleben und auch das Verständnis, die Empathie und den gegenseitigen Respekt in den Blick zu nehmen.

Wir sind dankbar, dass unsere Laureaten mit ihrem Reichtum an Ausdrucksformen nicht nur künstlerische Perspektiven eröffnen sondern auch der Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt eine zivilgesellschaftliche Kraft geben.

Es gilt das gesprochene Wort!