60 Jahre Goethe-Institut Athen

– Es gilt das gesprochene Wort –

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

vor sechzig Jahren wurde hier in Athen die erste Auslandsvertretung des Goethe-Instituts eröffnet und so feiern wir in diesem Jahr, in Zeiten großer Herausforderungen für die deutsch-griechischen Beziehungen, ein sehr denkwürdiges Jubiläum.

 

Eine lächerlich kurze Zeitspanne sind diese 60 Jahre für unseren Gastgeber, die prächtige Stadt in Attika:

 

·          die ältesten Zeugnisse Athens reichen 7.500 Jahre in die Jungsteinzeit  zurück;

·          Auf 1.300 v. Chr. datiert der mykenische Palast auf der Akropolis;

·          Vom sagenhaften König Theseus zu einer Polis vereinigt, entwickelte sich hier die attische Demokratie, wurde Athen die führende Stadt des attischen Seebunds, beginnt die klassische Zeit, das goldene Zeitalter Griechenlands

·          Sokrates, Platon und Aristoteles, Sophokles, Aischylos und Euripides – an diesen Namen und Programmen hat sich Europa, die alte und die neue Welt orientiert, deren Name heute wieder so leichtfertig in den Mund genommen wird, wenn man glaubt, Europa und seine kulturelle Identität wieder gegen einströmende Einflüsse aus dem Osten verteidigen zu müssen

 

Wenn man sich also fragt, was die Steine auf der Akropolis oder in den antiken Agoren der alten Stadt denken über ein Fest, das an eine Gründung vor sechzig Jahren erinnert, so muss man sich nicht wundern, wenn sie fragend den Trubel um das Goethe-Institut reflektieren und mit Shakespeare sagen: Viel Lärm um nichts. 

 

Doch das Goethe-Institut macht Lärm in diesen Wochen und Monaten. Und erinnert mit seinen Veranstaltungen an das Jahr 1952. Unser Jubiläumsprogramm, das wir unter das Motto „Einander begegnen und inspirieren“ gestellt haben, eröffneten wir mit einer Lesung von Gerhard Falkner aus dessen Arbeit „Gegensprechstadt – ground zero“ in der römischen Agora, mitten in der Altstadt Athens. Falkners„Pergamon Poems“ wurden projiziert, kurze, eindrucksstarke Clips, in denen Schauspieler der Schaubühne Berlin seine poetischen Erkundungen der Abbildungen der Gigantenschlacht auf dem Pergamonaltar inszenieren.

Die Resonanz beim Publikum war erstaunlich positiv.

 

Auf mich persönlich hat Griechenland eine große Prägekraft ausgeübt, das antike und das moderne.

Über 10 Jahre war ich Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, zu dem auch die berühmte Museumsinsel gehört, eine Tempelstadt der Weltkulturen. Sie erzählt die Ideengeschichte Europas. Im Mittelpunkt stehen die antiken Sammlungen im Pergamonmuseum und im Alten Museum, die staunen lassen, die eine einzigartige Aura vermitteln, die unsere gemeinsamen Wurzeln zeigen. Es ist ein kostbares Erbe!

 

Das heutige Griechenland habe ich als junger Student erlebt, lange her, aber unvergessen. Dabei habe ich nicht nur die antiken Städten besucht, sondern die Menschen getroffen. Ich habe in meinem Leben niemals wieder eine solche Gastfreundschaft erlebt wie in Griechenland. Und so bin ich immer wieder in dieses Land gekommen und habe in all meinen beruflichen Positionen Freunde fürs Leben gewonnen. Es war mir deshalb auch ein großes Anliegen, heute hier zu sprechen. Dieses Land und seine Menschen haben mir viel gegeben.

 

Es hat schon beinahe eine rituelle Tradition, dass man als Grußredner an runden Jubiläen von Institutionen eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit unternimmt. So möchte auch ich Sie mitnehmen zu den Anfängen des Goethe-Instituts Athen. Doch verstehe ich das nicht als melancholisch-verklärte Vergangenheitsflucht, ganz im Gegenteil. Für mich ist diese kurze historische Bestandsaufnahme der griechisch-deutschen Beziehungen der Versuch, die sich so rasant wandelnde Gegenwart greifbarer zu machen und ein Bewusstsein für die Zukunft zu schaffen.

 

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Wir schreiben den 8. Oktober 1952. Mit 204 Schülern beginnen die ersten Deutschkurse des Goethe-Instituts in Athen. Nur acht Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs und den damit einhergehenden Traumata der deutschen Besatzung wurde die erste Auslandspräsenz des jungen deutschen Kulturinstituts eröffnet. Zwischen Lehrertafel und Schülerschreibtisch fand eine Begegnung der griechischen Sprachschüler mit der deutschen Grammatik statt, die im weiteren Sinne natürlich eine Begegnung von Menschen war, von Griechen mit Deutschen. Das Goethe-Institut nahm den Faden auf aus einer langjährigen Tradition des griechisch-deutschen Kulturaustauschs.

 

Anders als um die sagenhafte Gründung der Stadt Athen ranken um das Athener Goethe-Institut keine Legenden. Es war Werner Günther, ein früherer Lektor der „Deutschen Akademie“, des Vorläufers des Goethe-Instituts vor dem Krieg, der 1950 wieder am Syntagma-Platz stand und überlegte, wie er an seine erfolgreiche Arbeit von damals anknüpfen könne. Der Kursbetrieb wuchs rasch – bereits im siebten Jahr nach der Gründung waren es über 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die am Goethe-Institut in Athen Deutsch lernten.

 

In diese Zeit fällt auch das Kulturabkommen zwischen der Hellenischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, die 1956 das Wirken des Goethe-Instituts in Griechenland legitimierte.

 

Der besondere Schwerpunkt auf der Vermittlung der deutschen Sprache blieb über die Jahre bestehen, auch wenn sich die Aufgaben verändert haben: heute ist das Goethe-Institut Athen das Haus mit den meisten Prüfungsteilnehmern weltweit – das hohe Niveau, das mit der Einrichtung der Kurse 1952 begann, hat das Institut gehalten, und auch das verdient eine Erwähnung. Ebenso wichtig für unsere Spracharbeit ist aber auch die Unterstützung, die das Haus in Griechenland für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer an öffentlichen Schulen bietet, der enge Dialog mit den Deutschlehrerverbänden, den Frontisterien, Universitäten und nicht zuletzt dem Bildungsministerium. Gerade in schwierigen Zeiten sind Dialog und Kooperation besonders wichtig, und deshalb freut es mich, dass das Goethe-Institut mit dem griechischen Bildungsministerium noch in diesem Jahr einen Kooperationsvertrag schließen konnte, der unsere Zusammenarbeit in der Lehrerfortbildung und der Förderung der Fremdsprache Deutsch in Griechenland auf eine solide Grundlage hebt.

 

Kein Goethe-Institut ohne Bibliothek! Sie durfte und darf auch in Athen nicht fehlen. Sie nahm ihren Ursprung in einer großen Buchausstellung des Deutschen Bûchhandels und des Goethe-Instituts 1959 – die Bücher dieser Ausstellung bildeten den Grundstock der Goethe-Bibliothek. Kein Wunder, dass es immer enger wurde in den alten Räumen des Hauses. So richtig gelöst wurde dieses Problem erst mit dem Neubau des Instituts, doch vorher liegt noch eine dunkle Zeit, auf die man an einem Tag wie heute hinzuweisen nicht vergessen darf.

 

In der Zeit der griechischen Junta waren ausländische Kulturinstitute oft ein Fenster zur Freiheit. Der internationale und unabhängige Status ermöglichte Intellektuellen und Künstlern eine Schutzzone, in der sie frei und offen sprechen konnten. Nicht selten nahmen die Kulturveranstaltungen im Goethe-Institut – Konzerte, Filmvorführungen, Lesungen oder Podiumsdiskussionen – den Charakter einer oppositionellen Versammlung an. Dass diese „Fenster zur Freiheit“ nötig waren, zählt zu den betrüblichen Seiten der Geschichte. Dass das Goethe-Institut ein solches Fenster war, ein Ort wurde, an dem man sich weitestgehend frei informieren und etwas freier austauschen konnte, hat sicher zur Glaubwürdigkeit des Kulturdialogs beigetragen. Eine Stimme sei hierfür repräsentativ genannt. Der griechische Komponist Theodore Antoniou sagt über das Goethe-Institut: „Dass ich nach 1967 Konzerte im Goethe-Institut geben konnte, hatte für mich vor allem den Vorteil, dass ich von der Polizei keine Genehmigung dafür einholen musste. Denn zu dieser Zeit zensierte die Junta nicht nur, was man spielte, sondern auch wer spielte.“

 

Zu den wichtigsten Ereignissen der sechzigjährigen Geschichte des Goethe-Instituts in Athen zählt sicher auch der Neubau des Institutsgebäudes. Ich erwähnte schon: für die Kunden – die Kursteilnehmer, die Leser, die Besucher unserer Veranstaltungen platzte das alte Institut buchstäblich aus allen Nähten. Dass es von 1978 bis 1981 gelang, ein so funktionales, ästhetisch ansprechendes Haus für das Goethe-Institut zu errichten, gehört auch zu den Glücksstunden. Wie sagt der langjährige Leiter dieses Hauses, Dr. Rüdiger Bolz, dazu so treffend in seinem Glückwunsch zum Geburtstag? „Das älteste Goethe-Institut der Welt (außerhalb Deutschlands) war und ist für mich das Modell eines Goethe-Instituts: im Stadtzentrum gelegen, großzügig dimensioniert und verankert in den Kulturszenen des Gastlands Griechenland.“ Und ich bin davon überzeugt, dass es so viele empfunden haben, als das Haus im Januar 1982 seiner Bestimmung übergeben wurde, allen voran Melina Merkouri, die damals als Kulturministerin Griechenlands gemeinsam mit der deutschen Staatsministerin Hildegard Hamm-Brücher die Einweihung feierte.

 

Vor nunmehr zehn Jahren – im Jahr des 50. Jubiläums des Goethe-Instituts Athen -  wurde der Standort zum Verwaltungssitz für die Region Südosteuropa gemacht. Seither koordiniert es erfolgreich die Kultur- und Spracharbeit in Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Mazedonien, Rumänien, Serbien, der Türkei und Zypern.

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Was müsste man alles über dieses Haus der Begegnung und Inspiration – wie es das Motto des Jubiläums zusammenfasst – noch erwähnen? In seiner jungen Geschichte hat es einen Bombenanschlag überlebt und ein Erdbeben. Das sei nur erwähnt. Ebenso wie die zahlreichen Größen der griechischen, der deutschen, der europäischen Kultur: Man kann sie nicht alle aufzählen. Aber sie bilden mit ihren Anregungen ästhetischer und diskursiver Art das Herz des griechisch-deutschen Kulturdialogs: ob Mikis Theodorakis oder Wolfgang Rihm, Hans Magnus Enzensberger oder Petros Markaris, ob Achternbusch oder Ninos Fenek Mikelidis. Und wen wundert es, dass die Kulturpolitik dieses Haus entdeckt und gefördert hat.

 

Heute steht das Goethe-Institut in Zeiten der europaweiten Finanz- und Wirtschaftskrise vor großen Herausforderungen. Immer stärker spielen ausschließlich ökonomische Sichtweisen eine Rolle, immer stärker bestimmen Sachzwänge die gesellschaftlichen Abläufe und immer weniger sind Kunst und Kultur ein prägender Teil unserer Gesellschaft. Dabei ist unser Zusammenleben in erster Linie eine kulturelle Leistung. Mehr denn je sind wir gefragt, das griechisch-deutsche Verhältnis zu fördern und ins Gespräch zu kommen. Wir feiern ein Jubiläum in schwierigen Zeiten. Kulturelle Werte und kreative Ausdrucksformen können über die Krise hinausführen und eine offene und wandlungsfähige Gesellschaft befördern. Dass uns die guten Wünsche des Präsidenten der Hellenischen Republik, Karolos Papoulias, begleiten, ist ein ermutigendes Zeichen, wenn es auch sehr bedauerlich ist, dass er wegen anderer Verpflichtungen nicht in Athen sein kann.

 

Das regt mich nun doch zu einem kleinen Ausblick an: Es ist oft zitiert worden, wie sich die Sympathiekurve zwischen Griechen und Deutschen im vergangenen Jahr dramatisch entwickelt hat. Wenn man bedenkt, welche großen Anstrengungen vor uns allen liegen, um in Europa Stabilität und Wohlstand dauerhaft zu sichern, wird man um die Erkenntnis nicht herum kommen, dass der partnerschaftliche Dialog, getragen von freundschaftlicher Wertschätzung und Achtung der Leistung des anderen, die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen dieses Experiments Europa darstellt. Wie so etwas gelingen kann, haben wir gemeinsam, Griechen und Deutsche, in sechzig Jahren Dialog bewiesen. Dennoch sehen wir, wie gefährdet und fragil die Errungenschaften unserer Arbeit sind. Gerade deshalb sind Einrichtungen wie dieses Haus so wichtig.

 

Wir müssen auf die gestaltende Kraft der Kultur bauen. Sie kann Prozesse anstoßen, wo Stillstand herrscht, sie kann Blockaden auflösen, wo man sich auf Konflikte fixiert, sie kann überraschend sein, wo Zusammenhänge noch gar nicht sichtbar sind. Eine Garantie für den Erfolg gibt sie nicht – aber ohne sie geht nichts!

 

Niemand soll sich in Europa als Fremder fühlen. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.