Buchvorstellung "Deutsch in der Wissenschaft"

 - Es gilt das gesprochene Wort -

 

ANREDE,

 

ich freue mich, Ihnen heute Abend ein Buch vorzustellen, das sich mit  der Rolle der deutschsprachigen Wissenschaft national und international befasst, mit der Zukunft der deutschen Sprache in der Wissenschaft, mit der Bedeutung der Mehrsprachigkeit, mit unserer Verantwortung und unseren konkreten Möglichkeiten der Sprachförderung. Der Einsatz und die Verbreitung der Sprache Deutsch in der Wissenschaft und im internationalen Wissenschaftsaustausch sind zentrale Themen für die aktuelle Bildungs- und Kulturpolitik.

 

Unterschiedliche Initiativen haben sich immer wieder diesen Themen angenommen und die Diskussionen um die Rolle und Bedeutung der deutschen Sprache in den Wissenschaften weitergetragen. Dieses Mal geht es um eine Veröffentlichung, bei der Politik und Wissenschaft den Diskurs geführt haben, im Rahmen einer Tagung in Tutzing. Das Themenspektrum ist breit. Es geht um die Sprache der Lehre an deutschen Hochschulen, aber auch um die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern auf Fachkongressen und im wissenschaftlichen Alltag und auch um die Sprache der wissenschaftlichen Publikationen und die Weiterentwicklung wissenschaftlicher Terminologien.

 

Ich habe mich als Präsident des Goethe-Instituts sehr gern bereit erklärt, die Buchvorstellung mit einem kurzen Referat einzuleiten. Die Vermittlung der deutschen Sprache, ob für den Alltag, den Beruf oder die Wissenschaft ist unser Kerngeschäft – weltweit. Die Sprachpolitik in Deutschland hat ihre direkte Auswirkung auch auf unsere Sprachvermittlung im Ausland. Es geht letztlich um die Glaubwürdigkeit unserer Sprachpolitik im Ausland. Wenn wir einerseits als Goethe-Institut die Lehrpläne russischer Schulen mit einer großen Bildungsoffensive Deutsch als zweite Fremdsprache positiv beeinflussen, wenn wir in Indien derzeit an mehr als 1.000 Schulen Deutsch als Fremdsprache bis zur Hochschulreife einführen, wenn wir in China erfolgreich Sprachlernzentren gründen und dann andrerseits den Eindruck vermitteln, dass Deutschkenntnisse nicht erforderlich sind, um in den Hochschulen und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu arbeiten und zu forschen oder mit den Kollegen in Deutschland zu kommunizieren, dann ist das zutiefst demotivierend. Es grenzt Gastwissenschaftler in der Gesellschaft letztlich aus und verhindert eine Bindung an Deutschland.

 

Wir erleben derzeit in den südeuropäischen Ländern eine dramatische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Mehr als 50% Jugendarbeitslosigkeit, auch bei der akademischen Jugend. Gut ausgebildete junge Leute nehmen ihre Chancen in Europa wahr und gehen dorthin, wo sie Arbeit finden, viele nach Deutschland. Die Goethe-Institute verzeichnen Zuwachsraten zwischen 50 und 70%, weil die Sprache Deutsch ihr Eintrittsticket ist. Mobilität ist ein Kennzeichen des 21. Jahrhunderts.

 

Aber auch in den asiatischen Ländern erleben wir derzeit eine Neuorientierung der akademischen Eliten. War USA bislang das große Ziel, kommen zunehmend wieder europäische Hochschulen in den Blick, besonders auch deutsche. Über 250 unterschiedliche Stipendienprogramme kennt der DAAD. Goethe-Institute richten Sprachlernzentren in den dortigen Universitäten ein. „Fit for Campus“ heißt das Programm. Man  sollte diesen positiven Trend nicht im vorauseilenden Gehorsam verschenken. Das Interesse an der deutschen Sprache als Fremdsprache ist immer besonders groß, wenn ihr fachlicher und beruflicher Nutzen einsichtig wird. Und da hat Deutschland mit seiner einzigartigen Wissenschaftskultur in einem einzigartigen kulturellen Umfeld einiges zu bieten. Wir müssen uns auch selbst sensibilisieren und ein positives Sprachbewusstsein für das Deutsche entwickeln und pflegen.

 

Es geht nicht darum zum x-ten Mal mit großer Leidenschaft allgemeine Erklärungen zu formulieren oder Deutsch als Wissenschaftssprache in einem Appell zu fordern, es geht um praktische Fragestellungen, die zur Formulierung konkreter Handlungsansätze führen und damit überzeugen können. Dazu gehört eine wesentlich bessere Kenntnis über das Sprachwahlverhalten internationaler Wissenschaftler in Bezug auf das Deutsche. Derzeit ist die Faktenkenntnis dazu eher dürftig. Sie wäre aber Voraussetzung für sprachpolitische Entscheidungen. Hierzu liefert das vorliegende Buch eine Reihe von Fragestellungen und möglichen Maßnahmen.

 

Natürlich kommen wir ohne das Englische als internationale Kongress- und Publikationssprache mittlerweile nicht mehr aus. Wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen ist die Sprache Englisch internationale Verkehrssprache geworden. Dass sich Forscher aus allen Weltregionen schnell, präzise und mit einheitlicher Terminologie austauschen können, hat die wissenschaftlichen Erkenntnisse erheblich beschleunigt. Dies hat sicher auch zu einer Bereicherung des internationalen Wissenschaftsaustauschs geführt. Aber die Beschränkung auf eine lingua franca bedeutet immer auch eine kognitive Einschränkung und vor allem den Ausschluss von Laien.

Es gab schon einmal eine ähnliche Situation: Damals war es die lateinische Sprache. Erst durch die Öffnung für die Nationalsprachen war eine breite Volksbildung möglich. Erst so wurde es möglich, dass jeder, der Talent und Neugier besaß, an der Wissenschaft teilhaben konnte. Erst so wurde der rasante wissenschaftliche Fortschritt seit dem 18. Jahrhundert möglich. Ich halte es bei der Sprache mit Wilhelm von Humboldt, der sinngemäß gesagt hat, jede Sprache, die ich erlerne, eröffnet mir eine neue Welt. Das kann eine kulturelle, eine wissenschaftliche oder eine berufliche Bereicherung sein. Guy Deutscher äußerte sich vor kurzem in einem Vortrag „Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht“ etwa so: „Der Einfluss sprachlicher Gewohnheiten auf das Denken ist nachweislich gegeben. Es wäre erstaunlich, wenn der Umgang mit komplexen Fragestellungen nicht durch Gewohnheiten von Sprache und Kultur geprägt wäre. Würden die durch Sprache und Kultur unterschiedlichen Herangehensweisen nicht mehr nebeneinander stehen, wäre das ein herber Verlust.“

 

Albert Einstein sagte einmal: „Es ist von großer Bedeutung, dass der Allgemeinheit Gelegenheit geboten wird, die Bemühungen und Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungsarbeit bewusst und verständnisvoll mitzuerleben. Beschränkung des Erkenntnisgutes auf einen engen Kreis führt zur geistigen Verarmung.“

 

Wissenschaft und Gesellschaft müssen miteinander verbunden sein. Es genügt nicht, nur eine riesige Wissens- und Informationsmaschine in Gang zu halten. Es bedarf einer verständlichen, nutzerfreundlichen Bedienungsanleitung. Diese Verbindung funktioniert vor allem über das Medium der Sprache. Nur so kann sich die Wissenschaft der Gesellschaft mitteilen und umgekehrt. Wissenschaftliche Theorien arbeiten häufig mit Wörtern, Bildern und Metaphern, die der Alltagssprache entstammen. Wird diese Verbindung gekappt, können die Wissensteilhabe und die gesellschaftliche Legitimation sehr schnell schwinden. Daher kommt auch die Wissenschaft ohne vielfältige Fremdsprachenkompetenz nicht aus. Eine Analyse der Wechselbeziehungen zwischen Sprache und wissenschaftlicher Erkenntnis wäre sicher ein Desiderat.

 

Die Mehrsprachigkeit der Wissenschaft ist auch für die soziale Integration von Gaststudenten und Gastwissenschaftlern entscheidend und sie fördert die Perspektivenvielfalt der wissenschaftlichen Debatten. Der DAAD öffnet  mehr als 30000 ausländischen Akademikern den Weg nach Deutschland und rund 20000 Deutschen ins Ausland.

 

Eine ganz und gar poetische Deutung der Vielfalt der Sprachen hat der viel gelobte rumänische Philosoph, Kunsthistoriker und Politiker, Andrei Pleşu vorgestellt. Pleşu begann auf dringendes Anraten eines ihm freundschaftlich verbundenen Kollegen für seine philosophischen Arbeiten mit dem Studium der deutschen Sprache, übrigens im Goethe-Institut in Passau. Im Rückblick sagt er heute, die Sprache habe sein Leben verändert und er habe nicht mehr verstanden, wie er ohne Deutsch hat überhaupt leben können. Was die Entstehung der Sprachen angeht, so berichtet Pleşu gern von dem Mythos, die Geburt der Sprachen den Engeln zuzuschreiben. „Da jedes Volk einen bestimmten Schutzengel hat, kann angenommen werden, dass eben dieser Engel auch der Schutzpatron seines Sprechens ist. Da von jedem Teil des Himmels die Erde eine andere sei, gäbe es eine internationale Konvention, die die astronomischen Observatorien in jedem Land dazu verpflichtet, die Daten zu erforschen und mitzuteilen, die auf ihrem Teil des Himmels gesammelt werden können. In jeder Sprache gäbe es Dinge, die nur in dieser Sprache gedacht oder gesagt werden können.“

 

Pleşu selbst zog daraus eigene Schlüsse: „Mir bleibt nichts anderes übrig, als Sie zu warnen, dass jedes Mal, wenn Sie Scheu oder „political-correctness-Skrupel“ dazu bewegt, Deutsch nicht zu sprechen, Ihr Teil des Himmels unerforscht bleibt und ihr Engel melancholisch wird.“ Wer will schon einen melancholischen Engel zum Schutzpatron!

 

Das Deutsche hat eine große Tradition in den Wissenschaften, auch wenn hier sicher zwischen einzelnen Disziplinen zu differenzieren ist. Die Wissenschaftssprache Deutsch ist ein historisch gewachsenes, traditionsreiches und komplexes Gut. Deutschland ist dazu ein traditionsreicher Wissenschaftsstandort mit einer lebendigen Ausstrahlung. Dies sollten die Nutzung und der Einsatz unserer Sprache auch reflektieren. Nur eine vielfältig genutzte und einsetzbare Sprache ist auch eine attraktive Sprache, für die eigenen Muttersprachler aber auch für diejenigen, die eine Wahl einer Fremdsprache zu treffen haben. Je weniger in der Wissenschaft Deutsch gesprochen wird, desto weniger wird die Gesellschaft über Wissenschaft sprechen.

 

In der Welt sprechen rund 100 Millionen Menschen Deutsch als Muttersprache und noch einmal so viele als Fremdsprache. Die deutsche Sprache ist kein Selbstläufer, man muss in sie investieren und eine aktive Sprachpolitik betreiben. Und man muss bei den jungen Menschen anfangen – bei der Schulausbildung. Für neue Zugänge zur deutschen Sprache im Ausland setzen sich das Goethe-Institut, die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und der DAAD verstärkt ein. Schulen – Partner  der Zukunft (PASCH) ist ein solcher neuer Zugang. In inzwischen 1.500 Schulen wurden deutsche Sprachabteilungen weltweit eingerichtet, die bis zur Hochschulreife führen. In Indien baut das Goethe-Institut an 1.000 Schulen solche Abteilungen aus, mit künftig mehr als einer Million Deutschlernern. Es gilt nun geeignete Übergänge in die akademische Ausbildung oder den Beruf zu schaffen, um dieses Kapital für die deutsche Sprache weiterhin zu nutzen.

 

Gestärkt werden kann die Wissenschaftssprache Deutsch nur dann, wenn in Deutschland maßgebliche Forschungsergebnisse erarbeitet und publiziert werden. Durch staatliche Maßnahmen die Sprache zu erzwingen ist wenig hilfreich. Die amerikanischen Zitierindices und Datenbanken bevorzugen eindeutig die englische Sprache für den Nachweis. Daher ist es notwendig, mehr in Übersetzungen zu investieren. Den Übersetzern und Dolmetschern sollten wir nicht nur mehr Anerkennung, sondern auch deutlich mehr Inanspruchnahme zukommen lassen. Zudem lohnt es sich meiner Meinung nach auch über einen europäischen Index für mehrsprachige wissenschaftliche Publikationen nachzudenken.

 

Lassen Sie mich mit einem Slogan schließen: Mit Englisch kommt man durch – mit Deutsch kommt man weiter!