15. Oktober 2014
Praemium Imperiale 2014

Rede von Klaus-Dieter Lehmann bei der Preisverleihung des Praemium Imperiale 2014 in Tokio

 
 

Your Imperial Highnesses,
Excellencies and distinguished guests,
 
es ist mir eine große Ehre, erneut wieder in Tokio zu sein und an dieser würdevollen und international ausstrahlenden Festveranstaltung  teilzunehmen.
 
Ich gratuliere den fünf Preisträgern in großer Anerkennung und Respekt: Martial Raysse, Giuseppe Penone, Steven Holl, Arvo Pärt und Athol Fugard. Mein Glückwunsch gilt auch dem diesjährigen Gewinner des Grant for Young Artists, der Zinsou Fondation aus der Republik Benin.
 
Alle haben mit Ihrer Schaffenskraft und Kreativität unsere Sinne geöffnet, sie haben uns inspiriert, gerührt und begeistert mit Ihren künstlerischen Arbeiten. Der Praemium Imperiale stellt die Künste in den Mittelpunkt, fördert Dialog und Austausch und würdigt damit die Bedeutung von Kunst und Kultur Jahr für Jahr in ihrer Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit, aber auch in ihrer grenzüberschreitenden und spartenübergreifenden Bedeutung – ganz im Sinn der ursprünglichen Mission der Japan Art Association, eine Lerngemeinschaft zu bilden, der eine Wertschätzung für die Vielfalt der Kulturen zugrunde liegt.
 
Japanische Kunst war für die Entwicklung der europäischen Moderne von grundlegender Bedeutung.  Aktuell zeigt in Deutschland das Museum Folkwang in Essen eine große Sonderausstellung zum Einfluss japanischer Bildkunst auf die Kunstszene im Frankreich des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts: „Monet, Gauguin, van Gogh … Inspiration Japan“ widmet sich einem der faszinierendsten Kapitel der westlichen Moderne – der Zeit, in der europäische Avantgarde vom Fernen Osten lernten. Die Japan Art Association spiegelt heute diesen Kulturaustausch wider: Die Gründungsidee war vor 125 Jahren zwar der Schutz und die Förderung der traditionellen japanischen Kultur.  Mit dem Praemium Imperiale öffnete sich die Stiftung aber der Welt. Neues Ziel war es fortan, die „eigene“ und die jeweils „andere Kultur“ in einen Dialog zu bringen.  
 
Nie war der Praemium Imperiale deshalb wichtiger als heute, in einer Zeit des globalen Wettbewerbs, mit veränderten Macht- und Einflusssphären, mit radikalen Auf- und Umbrüchen, mit abgeschotteten Gesellschaften und unterschiedlichen demographischen Entwicklungen, in einer Zeit, die stark geprägt ist durch Spektakel und Glamour, Kunst als Event, als dekoratives Element, als Entertainment, verstärkt durch die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche und durch die physischen und digitalen Parallelwelten, mit der zunehmenden Beschleunigung der Zeit und der Flüchtigkeit der Ereignisse.
 
Gerade weil diese Welt so viele Unterschiede, Ungleichzeitigkeiten und Brüche zeigt, weil sie ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft der Menschen abfordert, sind Weltformeln nicht die Lösung. Es muss im Gegenteil ein Weg genommen werden, der ein kritisches, fantasievolles Gespräch mit und in der Welt ermöglicht, der unsere starren Klischees hinterfragt und der glaubhaft einen Dialog eröffnet. Genau das tut der Praemium Imperiale mit seiner Aura des Realen, mit seiner Auswahlkompetenz und mit seiner  Internationalität. Er lebt von Begegnung und Vermittlung.
 
Kultur und Kunst beliefern nicht in erster Linie die Showrooms unserer Zeit, die von den  großen Zahlen und den Quoten für Medienwirksamkeit leben. Sie sind die Grundlage unserer Gesellschaft, um offen zu sein und Neues zu denken. Nicht nur das Nützliche und Rationale sondern auch das Unverhoffte, Überraschende, Kreative und Unnützliche sind für die Entwicklungsfähigkeit einer Gesellschaft wichtig. Kultur ist ein entscheidendes Element für unser Zusammenleben, oder pathetisch ausgedrückt, für unser Überleben. Deshalb muss sie auch ihre Unabhängigkeit behalten und darf nicht instrumentalisiert werden. Sie darf aber auch nicht autistisch agieren sondern sollte bereit sein, Impulse aufzunehmen. Kultur kann Prozesse anstoßen, wo Stillstand ist, Alternativen formulieren, wo Blockade herrscht. Ich glaube fest an die positive Wirkung der Kunst und des kulturellen Austauschs. Sie ist keine Erfolgsgarantie, aber ohne sie geht es auf keinen Fall.
 
Diese Werte fördern auch unsere diesjährigen Preisträger, indem sie mit ihren Werken unsere Welt hinterfragen und uns damit zu Diskussionen anregen:
 
Martial Raysse ist es bereits als Mitbegründer des Nouveau Réalisme gelungen, die soziale Realität und den Konsum der Industriegesellschaft zu persiflieren und anzuprangern.
 
Im Werk Giuseppe Penones steht die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Seine Arbeiten entstehen in und aus der Natur, sie regen in ihrer ästhetischen Einfachheit zum Nachdenken an.
 
Steven Holl aus den USA ehren wir in der Kategorie Architektur. Der Raum, gezeichnet von Licht und Farbe, bildet für ihn stets gemeinsam mit der Geschichte und Kultur eines Standortes den Kontext für seine Architektur.
 
Mit Arvo Pärt wird einer der meistaufgeführten Komponisten zeitgenössischer Musik geehrt.   Für mich ist er ein ganz außergewöhnlicher Künstler, der sich stets seine politische Unabhängigkeit bewahrte. In seinen Kompositionen begegnen sich die Traditionen Europas. Zugleich hat er es geschafft, Elemente aus der Musiksprache des Ostens in die Konzertsäle des Westens einzubringen. Auch das macht ihn zu einem Brückenbauer zwischen den Kulturen.
 
Ich freue mich sehr, dass mit dem südafrikanischen Dramatiker Athol Fugard zum ersten Mal ein Künstler aus Afrika den Praemium Imperiale erhält. Sein großes Thema ist der Kampf gegen die Apartheid. In seinem Stück „The Island“ geht es um Robben Island, wo Nelson Mandela inhaftiert war. Fugard sieht im Theater ein Medium, Missstände in der Gesellschaft sichtbar zu machen und  zu verändern.
 
Für den Grant for Young Artists hat mein französischer Kollege Jean-Pierre Raffarin die Zinsou Fondation aus der Republik Benin ausgewählt. Ähnlich wie Athol Fugard, setzt sie sich für das gleiche Recht für alle auf gesellschaftliche Teilhabe und Bildung ein. Ihr Ziel: Einerseits den Menschen freien Zugang zur Kunst zu schaffen, andererseits zeitgenössische afrikanische Künstler zu fördern und afrikanische Kunstszenen zu vernetzen. Auch das Goethe-Institut in Abidjan arbeitet mit der Fondation zusammen.
 
Sie sehen: Der Praemium Imperiale verbindet zwei Aspekte in beeindruckender Weise: die Kraft des künstlerischen Individuums und das Gefühl des menschlichen Miteinander. Alle ausgewählten Künstler bestechen in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen und Positionen durch beeindruckende Eigenwilligkeit. Sie verstehen es, mit Bildern Weltbilder entstehen zu lassen, gesellschaftliche Entwicklungen, Ideenumbrüche und das Aufkommen neuer Überlegungen zu identifizieren und mit ihren Werken gegenwartsbezogen auf und zwischen Menschen und Kulturen zu wirken.
 
Nun aber möchte ich schließen in großer Wertschätzung und Dankbarkeit Ihnen gegenüber, Your Imperial Highnesses und der Japan Art Association, sehr verehrter Herr Hieda, dass Sie mit dieser ungemein wichtigen Auszeichnung jedes Jahr die bemerkenswertesten Künstler und Kulturschaffenden unserer Tage würdigen und sie so in ihrem bedeutenden Schaffen bestärken und uns allen eine besondere Vorstellung von der Welt geben und ein Empfinden für Zeit entstehen lassen.
 
Herzlichen Dank.
 
Es gilt das gesprochene Wort.