Interview: „Zusammenleben ist eine kulturelle Leistung“ (30. November 2014)

Interview mit Klaus-Dieter Lehmann anlaesslich der Neuunterbringung des Goethe-Instituts Barcelona

 
 

Ende Oktober wurde der neue Sitz des Goethe-Instituts im Beisein seines Präsidenten Prof. Dr. Klaus Dieter Lehmann im Eixample eingeweiht. Wir treffen ihn in einer ruhigen Cafe-Lounge kurz bevor er wieder in den kribbeligen Tag der Offenen Tür eintaucht.

Welches sind die wichtigen Entwicklungsetappen, die das Goethe-Institut geprägt haben?

Wir sind 63 Jahre, aber immer noch jugendlich frisch. Seit der Gründung zeichnen sich vier Phasen ab. Begonnen hat es damit, über die Kultur Deutschland wieder eine Rückkehr in die Völkergemeinschaft zu ermöglichen. Die ersten zehn Jahre waren notwendig, um über die Kultur eine Sympathie für Deutschland zu wecken, um diesen Zivilisationsbruch der Nazizeit zu überwinden. Wir haben ihn nicht tabuisiert, sondern im Gegenteil reflektiert, um einen Teil der Aufarbeitung zu machen. Das ist gelungen. Die Kultur, die das Deutschlandbild bestimmt hat, war ein wesentlicher Faktor.

Die zweite Phase war für das Goethe-Institut nicht so einfach, weil wir sehr politisch agiert haben. Es war die Zeit der Auseinandersetzung in Deutschland. Die wiedergewonnene Selbstständigkeit, das Leben der Demokratie bedeutete auch Auseinandersetzung innerhalb der Gesellschaft. Wir haben die ganze 68er Zeit bewusst in unser Programm aufgenommen. Wir wollten, dass die Welt erlebt, wie die Deutschen ihre eigenen Probleme diskutieren und wie sie damit fertig werden. Ob sie das polarisiert, ob es eine Konsensfähigkeit gibt. Das war für manche Politiker (er lacht) nicht so einfach, weil sie gerne ein positives Deutschlandbild haben wollten. Und wir wollten ein pluralistisches haben, wo die Gesellschaft sich widerspiegelt.

Dann kam die glückliche Zeit der Wiedervereinigung, die für uns wunderbar war. Alle Länder hinter dem Eisernen Vorhang plötzlich in einer Weise über die Goethe-Institute kulturell, sprachlich und von der Information her zu erreichen war ein großer Sprung, der nicht immer einfach war, weil die finanzielle Seite nicht immer mithalten konnte.

Die jetzige Phase ist geprägt durch schwierige, politische Verhältnisse. Wir bleiben bewusst in vielen Ländern, in denen Krisen sind, wie im Maghreb, dem Nahen Osten oder in Asien. Da ist das Goethe-Institut jetzt stärker in die zivilgesellschaftliche Position gekommen. Wir versuchen die zarten Pflänzchen der Selbstbestimmung, der Freiheit in diesen Ländern zu stärken.

Nach welchen Kriterien wird entschieden, wo ein Goethe-Institut eröffnet wird?

Wir sind zurückhaltend mit Neugründungen, weil sie Geld binden. Ich bin ein Vertreter, der sagt, lieber Geld in die Programmarbeit stecken als in zu viele Institute. Wir haben jetzt 160 Institute, das ist eine gute Zahl. In den sechs Jahren als Präsident habe ich drei Institute eröffnet. Das letzte war im Februar in Rangun in Myanmar, weil sich dort jetzt die ersten zarten Pflänzchen der Demokratisierung zeigen. Wir wollten von Anfang an dabei sein, um Partnerschaften auszuloten. Wir hatten eine wunderbare Eröffnung mit Sascha Waltz und Travelogue, einem Stück, das für diese über 50 Jahre abgeschlossene Gesellschaft ein wirkliches Risiko war. Das Nationaltheater war voll bis auf den letzten Platz. Nach dem Ende herrschte völlige Stille. Und dann standen diese Leute auf und haben stehende Ovationen gespendet. Da läuft es einem kalt den Rücken herunter, wenn man sieht, wie solch ein Stück angenommen wird. Dann haben wir in Russland Novosibirsk eröffnet, wichtig für den ganzen zentralasiatischen Bereich. Das dritte war in Daressalam in Tansania, weil wir glauben, dass Afrika nicht der verlorene Kontinent ist. Afrika ist sehr vielschichtig.

Das heißt, wir haben uns in einem Entwicklungsland gezeigt, in einem Land auf dem Weg zur Demokratisierung und in Russland, um das Land besser in kulturellen und sprachlichen Dingen zu betreuen.

Das Goethe-Institut ist das kulturelle Aushängeschild Deutschlands. Präsident Gauck hat in München gefordert, dass Deutschland mehr Verantwortungsbewusstsein im internationalen Kontext zeigen muss. Was macht das Goethe-Institut um dahin zu gelangen?

Zum einen haben wir auch in diesem Jahr eine ganz klare Botschaft gesetzt, die wir schon immer erfüllt haben, aber auch nach außen verdeutlichen wollen: Dialog und Verantwortung. Wir als Goethe-Institut sind der Meinung, man kann nicht alle Konflikte mit militärischen Mitteln lösen. Und sollte es auch nicht. Wir haben in München eine Vortragsreihe zum Dialogbegriff mit der Universität organisiert. Wir nutzen alle den Dialogbegriff, aber jeder versteht etwas anderes darunter. Nach dieser theoretischen Setzung starten wir im Februar eine Reihe, die die Anwendung des Dialogbegriffs auf Außen-, Kultur- und Bildungsbegriff bedeutet. Wir wollen das bewusst kulturell untermauern. Denn so haben wir ja angefangen.
Wir haben auch Erfahrungen in den Länder mit Militärdiktaturen, wo die Goethe-Institute wirkliche Frei- und Dialogräume waren, in denen Menschen zusammenkommen konnten, ohne gefährdet zu sein. Sie waren nicht mehr vereinzelt, sondern haben eine Community gegründet. In diesen Zeiten liegt unsere Möglichkeit der Verantwortungsübernahme darin, diese Räume so entsprechend zur Verfügung zu stellen, dass sie wirklich eine Hoffnung sind.

Als zweites versuchen wir, Austausch zu organisieren. Menschen aus diesen Ländern sollen in Deutschland Lebenswirklichkeit erkennen und neue Erfahrungen machen, nicht als Vorbild sondern als Beispiel, wie wir leben. Dann können sie überlegen: Ist das etwas für uns oder nicht? Wir wollen es nicht überstülpen, sondern einfach zeigen.

Das Dritte ist der ganze Sektor der kulturellen Infrastruktur. Wir haben in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern der Welt Talente, allerdings ohne Arbeitsmöglichkeiten. Künstler oder Kulturakteure verfügen nicht über die Möglichkeit Filme, Theater zu machen, Bibliotheken zu gründen, Verlegerstrukturen anzulegen. Da investieren wir in die Verankerung von verlässlichen Strukturen, wodurch Partner wachsen. Dann funktioniert unser Dialogaustausch.

Der vierte Punkt ist einfach Bildung. Wir gehen in die Länder, um Sprachkurse mit Fachsprachen so zu schneidern, dass die Menschen einen unmittelbaren Nutzen für ihre eigene Berufsplanung haben. Das haben wir mit Erfolg auch in Ländern wie Korea, China und Indien gemacht, wo sehr starke Sprachlernzentren entstanden sind. Wir sind in die Schulsysteme hineingegangen und haben dort deutsche Sprachlernzentren aufgebaut. In diesen Ländern hat die deutsche Wirtschaft erkannt, dass Sprache nicht nur Sprechen ist, sondern auch Denken. Früher hat man immer gedacht, Englisch reicht. Inzwischen merkt man, dass die deutsche Sprache eben nicht nur Verstehen ist, sondern ein bisschen mehr. Das ist eine Änderung in den letzten fünf Jahren. Die im Ausland produzierende, mittelständische Industrie hat am schnellsten gemerkt, dass mit der deutschen Sprache auch für den Betrieb etwas zu gewinnen ist. Das haben wir gut genutzt. (Er lacht.)

Dann haben wir hier in Süd- und Westeuropa die Aktion „Mit Deutsch in den Beruf“, wo das Goethe-Institut in Barcelona federführend ist. Wir bringen Einrichtungen aus Katalonien und Baden-Württemberg oder Bayern zusammen, um über Möglichkeiten der beruflichen Bildung aufzuklären. Das ist ein wirkliches Erfolgsmodell. Man kann das in zwei Geschwindigkeiten sehen. Die jetzige aktuelle Notlage mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit bedeutet, es gibt hier gut qualifizierte junge Menschen, aber keine Arbeitsplätze. Wenn sie einfach nur abwarten, dann verlieren sie ihre Qualifikation, weil sich alles um sie herum durch den technischen Fortschritt ändert. Wenn sie aber eine Chance haben, gut ausgebildet und mit deutschen Sprachkenntnissen nach Deutschland, Österreich oder in die Schweiz zu gehen, können sie die Qualifikation nicht nur erhalten, sondern sie können sie sogar durch die Erfahrung im Ausland verbessern. Und wenn sie dann entscheiden, ob sie in Deutschland bleiben oder zurückkommen, dann ist es eine Sache der Selbstbestimmtheit. Für mich ist Europa immer ein Ansatz gewesen, dass man eine Freizügigkeit hat in der Berufswahl oder Ortswahl. Wir haben diese Qualität in Europa.

Die andere Seite ist, mit diesem positiven Ansatz in die Curricula der Schulen zu gehen, so dass die deutsche Sprache eine stärkere Position hat, als sie sie bisher hatte. Da habe ich bei Gesprächen mit der katalanischen Regierung die Bereitschaft gesehen, dass sie das Ihrige tut, wenn wir die Voraussetzungen schaffen, um deutsche Sprache zu vermitteln. Die deutsche Sprache ist derzeit mit dieser Qualität, die wir im eigenen Land haben, mit der Wirtschaft und ihrem Bedarf sowohl im Gastland als auch in Deutschland für uns ein starker Motor, der diese Entwicklung antreibt.

Gibt es in den Ländern ausreichend Deutschlehrer?

Das ist unser Nadelöhr (er lacht). Die Ausbildung von Deutschlehrern ist eine sehr große Herausforderung. Nach dem Rückgang in den letzten Jahren sind wieder Perspektiven da. Der Aufbau dauert natürlich einige Zeit, aber es klappt bisher. In Indien haben wir 500 Schulen mit Deutschunterricht ausgestattet, die vorher keinen hatten. Da haben wir sehr erfolgreich ausgebildet.

Bei den TTIP Verhandlungen geht es unter anderem um kulturelle Belange. Wird sich das kulturelle „Made in Germany“ bald auflösen?

Ich habe eine klare Position gegen TTIP. Wir haben zwei wirklich unterschiedliche Kulturen im Hinblick auf die Finanzierung und die Ermöglichung von Kultur. In Europa sehen wir in einer gesellschaftlichen Übereinkunft die staatliche Unterstützung von Kultur als notwendig an. TTIP hat einen Ansatz, der diese Art von Finanzierung als Wettbewerbsverzerrung ansieht. In der Terminologie von TTIP wäre ein Theater ein subventionierter Wirtschaftsbetrieb. Es wäre der Tod der Kultur in Europa, in ihrer Vielfalt und ihrer Daseinsfürsorge. Etwas pathetisch ausgedrückt. In Deutschland wird der Film mit 40 Prozent subventioniert. Ohne die Subventionen würden wir gegen Hollywood nichts ausrichten können. Wir brauchen den Film, weil er Lebenswirklichkeit zeigt, weil er Emotionen zeigt, weil es Talentförderung ist. Kultur darf nicht mit marktwirtschaftlichen Gesetzen zusammengebracht werden, das ist der falsche Ansatz. Kultur kann kein Teil von TTIP sein, weil die Kultur ein öffentliches Gut ist. Kultur und markwirtschaftlicher Wettbewerb sind wie Feuer und Wasser. Die gesamte Mitgliederliste des Goethe-Instituts steht hinter mir.

Das Goethe- Institut macht neue Erfahrungen in Afrika. Können Sie uns das erläutern?

Afrika ist nicht nur ein verlorener Kontinent. Die Nachrichtenlage ist sehr einseitig. Wir haben in Afrika versucht, Talente, Künstler und Kulturakteure zu identifizieren. So haben wir ein Potential der einzelnen Länder erkannt. Wir haben dann mit den Künstlern länderübergreifende Workshops gemacht, so dass Künstler voneinander wussten. Künstler reisen weniger als zum Beispiel Staatsmänner. Sie sind in ihren lokalen Gegebenheiten gefangen. Es war das erste Aha-Erlebnis für die Künstler, welche unterschiedlichen Möglichkeiten sie haben. Aus diesen Workshops haben wir Festivals entwickelt. Dieser öffentliche Bereich zeigte Wirkung. Afrika war plötzlich in seiner Heterogenität erkennbar. Dieses Potential, und das ist das Schöne, hat dann eine Konsequenz gehabt, die wir gar nicht mehr beeinflussen mussten. Jetzt kommt Deutschland ins Spiel. Wir haben das in Deutschland propagiert, und plötzlich haben Museen und Theater gesehen, dass wir diesen Blick nutzen können, um uns selber mal interpretieren zu lassen. Und was entsteht? In Museen in Dresden und Köln haben wir jetzt Ausstellungen, wo außereuropäische, afrikanische Kuratoren europäische Sammlungen kuratieren. Das ist so spannend, weil der Blick ganz anders ist. Der Eurozentrismus wurde schöpferisch aufgelöst.

Es werden jetzt außereuropäische Sammlungen angelegt, für die man Expertise braucht. Das Goethe-Institut weiß, wo diese Expertise ist. Wir sind Scouts in der ganzen Welt und so wie wir früher junge, deutsche Talente nach draußen gebracht haben, so vermitteln wir heute Menschen aus diesen Ländern nach Deutschland, damit sie den künstlerischen Prozess beleben.
 
Das Goethe-Institut hat vor kurzem eine Initiative für muslimische Einwanderer in Deutschland unternommen. Was sind die Eckpunkte?

Es gibt in Deutschland 13 Goethe-Institute, reine Sprachinstitute. Das ist deshalb wichtig, weil wir bewusst ein Zuwanderungsland sind. Wir vermitteln Grundwissen deutscher Sprache im Ausland, und im Inland können die Institute Migranten mit einem Grundwissen an Sprache weiter begleiten, um sie in der Gesellschaft, in Sprache und Landeskunde sicher zu machen.

Dann haben wir gelernt, dass die muslimischen Gemeinden sehr stark profitieren, wenn sie einen anerkannten Imam haben, der ihnen im Alltag helfen kann. Imame, die auch Deutsch sprechen, helfen den Zuwanderern mit Behördengängen, Arztbesuchen oder Bewerbungsschreiben. Die Imame nehmen das Angebot sehr dankbar an. Das ist seit etwa vier Jahren ein Erfolgsprogramm. Diese Orientierung in den Gemeinden fördert die Integration in Deutschland. Wir setzen dem Bild der Hassprediger etwas entgegen. Wir stabilisieren die Einwanderung. Wir sind noch einen Schritt weitergegangen. Unter den Migranten gibt es sehr kluge, bereitwillige und erfahrene Menschen, die sich in die Kommunalpolitik einbringen wollen. Neben der Sprache vermitteln wir also auch, was ein muslimischer Bürger tun kann, um sich im Kommunalbereich zu engagieren. Wir öffnen Wege, damit er ein aktives Mitglied einer Gemeinde wird. Der Weg ist nicht einfach, weil die Gesellschaft gespalten ist. Es sind unsere Nachbarn. Wir müssen mit ihnen wie mit Nachbarn umgehen. Es ist die große Chance des Goethe-Instituts, das Außen und das Innen zu verbindet. Innen und außen sind keine verschiedenen Welten mehr, das gehört heute zusammen.

In Europa beobachten wir diverse separatistische Bewegungen. Am 9. November haben sich die Katalanen geäußert. Wie kann man kulturell diesen Rückzug auf sich selbst erklären, wo Europa sich doch eigentlich öffnet?

Im Grunde entstehen Globalisierung und Provinzialisierung gleichzeitig. Es sind zwei parallele Entwicklungen. Je stärker die Globalisierung, je größer auch die Provinzialisierung. Das gilt für kleine wie große Länder. Kulturell kann man einiges machen, wenn man sich auf gemeinsame Grundwerte verständigt. Gerade in Europa übernehmen wir die Verantwortung für einen gemeinsamen Kulturraum. Es geht um die Verantwortung, nicht die Vereinheitlichung. Der Reichtum Europas liegt in der Vielfalt, aber sie muss dialogfähig sein. Sie kann nicht autistisch sein. Wir kommen wieder mit unserem Dialog. Die Zukunft Europas gehört nicht unbedingt den Nationalstaaten. Es ist ein Europa der Regionen, die sich aber nicht abschotten und wiederum eine nationalistische Politik machen. Es sind offene, in ihrer Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit anerkannte, aber durchaus in einer gemeinsamen Verantwortung stehende Regionen.

Wir haben ein Experiment gemacht. Nach dem Zerfall Jugoslawiens haben sich die neuen Balkanstaaten voneinander abgeschottet und Identitäten aufgebaut, die teilweise künstlich waren. Als Kulturleute haben wir im kleinen Maßstab namhafte Autoren gebeten Essays, Gedichte, Geschichten über ihren Blick auf die Länder zu schreiben. Diese Autorengruppe haben wir an einen Tisch gesetzt, mit dem wir durch die Länder gereist und aufgetreten sind. Das war ein Sakrileg. Die Menschen in den gut besuchten Sälen haben gemerkt „Mein Gott, wir können ja miteinander reden, wir haben gemeinsame Erfahrungen. Warum sind wir so sprachlos geworden?!“ Diese Art von Aufbrechen muss aktiv passieren.

Dass jeder Symbolpolitik macht und dann noch immer eins drauf legt, das führt überhaupt nicht weiter. Das polarisiert. Ein Europa der Regionen funktioniert nicht in einer abgeschotteten Form. Ich traue der Kultur einiges zu. Das merken Sie an meiner Art zu arbeiten. (Er lacht) Unser Zusammenleben ist im Grunde eine kulturelle Leistung. Wenn wir da nicht weiterkommen, haben wir Kulturleute auch versagt.

Es ist zur Mode geworden über den Dialog der Zivilisationen oder Religionen zu diskutieren. Das Goethe-Institut steht für den kulturellen Dialog. Mit welchen Mitteln wird er verwirklicht?

Ganz unterschiedliche Mittel. In dem Balkan-Experiment setzen wir unmittelbar auf Kulturleute. Die Goethe-Mentalität setzt auf Partnerschaften. Anders als manche andere Institute sind wir sehr nah an die jeweiligen Orte gerückt. Früher waren wir wie das Institut Français oder das British Council zentral organisiert. München glaubte, alle Weisheiten der Welt zu haben und die sternförmig angebundenen Institute gut betreuen zu können. In unserer fragmentierten Welt sind Weltformeln nicht möglich. Man muss spezifische Antworten auf spezifische Situationen bieten. Deshalb haben wir dezentralisiert und die Programmverantwortung auf Regionen übertragen, inklusive Finanzverantwortung.

Die Partnerschaften sind so entwickelt, dass auch die andere Seite ihr Profil einbringt, um damit eine neue gemeinsame Kollaboration einzugehen. In den Krisenländern ist das für uns ein gewisser Schutz. Wenn uns eine Diktatur angreift, greift sie auch gleich die Partner mit an, die im Land gefunden worden sind. Ich spreche gern von Lerngemeinschaften, das heißt, wir partizipieren gegenseitig. Mit diesem Grundkonsens kann man eine ganze Reihe von Dingen machen, die auf dem Muster der Partnerschaften in Theater-, Tanz- oder Filmprojekten aufbauen.

Sie haben mit Ihrem Engagement eine wichtig Rolle in der deutschen Kultur nach dem Mauerfall gespielt (Fusion der beiden deutschen Bibliotheken, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Wiederherstellung der Museumsinsel in Berlin, etc.) Welche Projekte haben Sie für die Zukunft?

Das Goethe-Institut war meine große Chance. Ich kenne alle Akteure, ob es in der Literatur ist, im Museumsbereich oder Theater. Das ist über Jahrzehnte meine Welt gewesen, die ich in die auswärtige Kulturpolitik direkt einbringe. Ich kann auf dem kürzesten Weg Künstler für Projekte finden. Das ist meine Freude an dieser jetzigen Position, dass ich nichts von dem vergessen muss, was ich gemacht habe, sondern es im Gegenteil für die Außenkulturpolitik nutzen kann.

Welches Projekt haben Sie nicht verwirklichen können?

Ich habe es nicht in meiner Zeit verwirklichen können, aber ich glaube, es wird: Das Humboldtforum im Berliner Stadtschloss. Die Museumsinsel ist sozusagen die Entwicklung der Kunst Europas, angefangen bei den Sumerern bis ins 19. Jahrhundert. Gegenüber der Museumsinsel liegt ein leerer Platz, auf dem das Preußenschloss stand. Nach dem Beschluss auf diesem attraktivsten Platz mitten in Berlin das Schloss wieder aufzubauen, hat man darüber gestritten, was da reinkommen soll. Als ich noch bei der Preußischen Kulturstiftung war, kam mir die Idee: Wenn die Museumsinsel die europäische Geschichte anhand von Kunst zeigt, dann gehört dort ins Schloss die außereuropäische Kunst. Damit haben wir einen Dialog der Welt. Und da kommt das Goethe-Institut wieder ins Spiel. Man kann heutzutage die außereuropäische Welt nicht nur in einem Museum darstellen, weil es leicht verstauben kann. Man braucht einen Zustrom von dem, was in der Welt passiert. Die Goethe- Institute kennen überall in der Welt vor Ort genau die Entwicklungen. In meiner jetzigen Position kann ich diesen Input auf das Humboldtforum lenken, so dass wir wirklich ein Abbild und einen Dialog haben.
 
In Barcelona haben wir das Privileg eine Frau an der Spitze des Goethe-Instituts zu haben, ebenso wie an der Deutschen Schule. Haben Frauen ihren Platz in der Diplomatie?

In dem diplomatischen Teil, den die Kultur ausmacht, haben Frauen einen prägnanten Platz. Wir haben viele Frauen in Leitungspositionen. Barcelona ist ein wunderbares Beispiel. Marion Haase bringt hier eine großartige Leistung. Sie war die Initiatorin der Projekte rund um die Jugendarbeitslosigkeit. Sie hat schon seit 2011 Perspektiven entwickelt. Bei uns haben wir ein gut ausbalanciertes Verhältnis, wo es nach Qualitäten geht. Es gibt auch keine Alibifrauen.

Das Goethe Institut ist kein Arbeitsvermittler, sondern ein Ermöglicher. Wir haben unsere Instrumentarien angewandt auf ein Feld, wo wir jungen Leuten Chancen geben. Das Model Barcelona hat in Italien und Griechenland zu ähnlichen Überlegungen geführt. Duale Ausbildung kann ein Exportschlager werden, aber es ist nicht nur ein Vermitteln von Kenntnissen, sondern auch von Mentalität. Katalonien hat da einen deutlichen Vorsprung vor dem übrigen Spanien.

Herr Prof. Lehmann, wir danken für das sehr interessante Gespräch.
Ina Laiadhi/ Sabine Bremer
Taschenspiegel/ Barcelona
11/2014