Rede von Klaus-Dieter Lehmann beim Weltverband Deutscher Auslandsschulen e.V.

Prof. Dr. h. c. Klaus-Dieter Lehmann
24. April 2009

DIE DEUTSCHE SPRACHE

 

Sehr verehrte Damen und Herren,

gerne folgte ich der Einladung, an ihrer Mitgliederversammlung in Berlin teilzunehmen und mit Ihnen über unsere gemeinsame Leidenschaft, der Förderung der deutschen Sprache und Kultur im Ausland zu sprechen. Mehr denn je sind wir dazu aufgerufen, uns gegenseitig über die Entwicklungschancen in diesem Bereich zu informieren, unsere Ressourcen aufeinander abzustimmen, um ein Höchstmaß an positiver Wirkung für die deutsche Sprache zu erreichen.

Sie haben sich zu Recht in einem Verband der Deutschen Schulen im Ausland organisiert, um Ihre Interessen zu wahren und die inhaltlichen Ziele prägnant und politisch wirkungsvoll zu formulieren. Seit 150 Jahren leisten die Deutschen Auslandsschulen erfolgreiche Arbeit. Es gibt bei ihnen eine sehr enge Verbindung von staatlicher Komponente seitens der deutschen Länder und des Bundes und dem privaten Engagement der Schulvorstände und der Eltern. Gerade diese bürgerschaftliche Initiative trägt viel dazu bei, dass die Schulen ein so hohes Ansehen genießen und wandlungsfähig sind. Es ist eine sehr lebendige Gemeinschaft. Die Politik hat dies inzwischen auch wieder mit einer besseren finanziellen Ausstattung honoriert.

Die Goethe-Institute haben inzwischen nach Jahren der Kürzung ebenfalls wieder eine neue Aufmerksamkeit erfahren. Wir haben eine tief greifende Reform durchgeführt mit einer Stärkung der dezentralen Autonomie in den Regionen, einer konsequenten Budgetierung und einer wirkungsvollen Vernetzung von Region und Zentrale. Wir eröffnen wieder neue Institute, derzeit aktuell Nowosibirsk, Daressalaam, Luanda, wir eröffnen Sprachlernzentren und Verbindungsbüros. Es gibt eine richtige Aufbruchsstimmung und es gibt talentierte Akteure. Derzeit sind wir im Ausland mit 134 Instituten in mehr als 80 Ländern tätig. Zusätzlich gibt es eigene Sonderprogramme für Entwicklungsländer, insbesondere für Afrika südlich der Sahara.

Sie kennen unsere Arbeit aus eigener Anschauung, denn neben der Kultur- und Informationsarbeit sind wir seit unserer Gründung 1955 satzungsmäßig auch zur Förderung der deutschen Sprache verpflichtet. Das tun wir mit großer Freude und entsprechender Expertise. Für uns ist Spracharbeit Kulturarbeit, ohne die Sprache würde uns das Fundament fehlen. Neben dem eigenen Sprachkurs- und Prüfungsangebot an den Instituten im Ausland und seinen Partnerorganisationen bedeutet das, die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Erziehungs- und Bildungssystemen im Rahmen der „Bildungskooperation Deutsch“. Weltweit berät das Goethe-Institut Schulen, Universitäten und Bildungsträger in allen Fragen des schulischen Deutschunterrichts. Zahlreiche Bildungsministerien nutzen die Expertise des Goethe-Instituts zur Beratung in nahezu allen fragen des modernen Unterrichts in Deutsch als Fremdsprache. Auf die „Fortbildung in Deutschland“, einem seit 40 Jahren bestehenden Fortbildungsprogramm für Deutschlehrer aus der ganzen Welt, an dem z.B. im vergangenen Jahr über eintausend Deutschlehrer und –lehrerinnen aus fünfzig Ländern teilgenommen haben, um ihre Kenntnisse im Bereich der Methodik und Didaktik zu verbessern, sind wir besonders stolz. Die Europäische Gemeinschaft fördert diese Fortbildungsmaßnahmen zusätzlich.

Mit den Deutschen Auslandsschulen gibt es einen guten kontinuierlichen fachlichen Austausch, der die internationale Zusammenarbeit im Bildungsbereich fördert. Eine Reihe von Auslandsschulen hat sich in Kenntnis der internationalen Anerkennung unserer Prüfungen entschlossen, in den Begegnungsklassen „Fit in Deutsch“ oder das Zertifikat „Deutsch für Jugendliche“ in das Bildungsangebot aufzunehmen. Wir arbeiten bei international renommierten Wettbewerben zusammen, wie der Internationalen Deutscholympiade oder Jugend debattiert. Das sind erfreuliche Formen der Zusammenarbeit.

Einen wichtigen neuen Schritt in der Stärkung der deutschen Sprache im Ausland hat Deutschland sicher mit der Sprachoffensive „Schulen – Partner der Zukunft“ oder abgekürzt, mit dem PASCH-Programm unternommen. Sie ist Teil eines ganzen Bündels von Maßnahmen zur Förderung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik der Bundesregierung. Es ist Minister Steinmeier und dem Auswärtigen Amt zu danken, dass in den vergangenen Jahren die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auf ein festes Fundament gestellt wurde. Sie werden sich erinnern, wie diese Offensive 2007 mit der Erhöhung der Haushaltmittel für die Auslandsschulen und der Konsolidierung der Goethe-Institute begann. 2008 wurde die Partnerschulinitiative gestartet, die unsere Zusammenarbeit intensivierte. 2009 stehen die Wissenschaftsbeziehungen mit dem Ausland und natürlich der Wissenschaftsstandort Deutschland im Zentrum der Förderung des Auswärtigen Amtes.

Wie nie zuvor wurde in gemeinsamer Anstrengung das Netz der Schulen im Ausland mit einem besonderen Bezug zu Deutschland und zur deutschen Sprache erweitert. Das ambitionierte Ziel, 1000 Partnerschulen zu gewinnen, hat die Initiative bereits im ersten Jahr übererfüllt. Die planmäßige Ausweitung dieses Netzes steht im Grunde nicht in Frage. Es war aber richtig, einem außerplanmäßigen Wachsen dieses Partnernetzes Einhalt zu gebieten: Wenn die Zentralstelle ihre Sollzahlen erfüllt hat und in der Betreuung des Goethe-Instituts die vereinbarten 500 Schulen stehen – das wird voraussichtlich in diesem Jahr soweit sein -, dann kommt es auf die Festigung des Erreichten an.

Heute, im Jahr Zwei der Partnerschulinitiative, können wir schon auf gute Erfahrungen der Zusammenarbeit zurückblicken. Die Partnerschulinitiative hat nicht nur die Zahl der geförderten Schulen erweitert, sie hat nicht nur die Ausstattung der Schulen verbessert, sie hat nicht nur Lehrer qualifiziert und begabte Schüler auch in Deutschland sprachlich in Jugendkursen gefördert. Das ist sicher der Kernbereich der Arbeit. Sie hat aber auch Entscheidendes für die Kultur der Zusammenarbeit in diesem Programm und in dieser Zeit geleistet. Niemals zuvor ist es gelungen, die gemeinsame Arbeit im Ausland so gut aufeinander abzustimmen.

Wie kaum ein anderes Bildungsprojekt steht die Partnerschulinitiative in der besonderen Aufmerksamkeit der Medien. PASCH ist auch ein Medienerfolg. Das ist für die Aufmerksamkeit für die deutsche Sprache nicht unwichtig.

Auch in der Koordination unserer gemeinsamen Arbeit im Ausland hat uns diese Initiative eine neue Kultur der Zusammenarbeit beschert. Die oft als lustloser Formalismus wahrgenommenen lokalen StaDaF-Sitzungen im Ausland (ich musste erst lernen, was das ist: Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache), - diese so wirksame Routine der Zusammenarbeit erhielt, wie meine Kollegen mir berichteten, durch die Initiative an manchen Orten einen neuen Schwung: die Abstimmung über die neuen Schulen im Netzwerk wurde unter Einbeziehung aller kompetenten Kollegen über die Institutionsgrenzen hinweg in vielen Ländern zu einem Beispiel guter Zusammenarbeit.

Da es sich bei der Partnerschulinitiative um eine „Generationenaufgabe“ handelt, ist eine Konsolidierung und Verstetigung anzustreben. Dabei gilt es zwei Bereiche besonders sorgfältig zu betrachten:

 

  • Zum einen erzeugt das Implementieren von Deutschabteilungen in einheimischen Schulen, die als PASCH-Schulen ausgebaut werden sollen, mit dem jetzt vorgelegten Tempo einen erhöhten Bedarf an Deutschlehrern. Hier gilt es in gemeinsamer Anstrengung, die Ausbildung von Deutschlehrern für PASCH-Schulen zu verstärken. Dabei ist zum einen das Goethe-Institut gefordert mit seinen Strukturen Lehrerfortbildung, Lehrmittelversorgung und Kulturprogramme zu leisten, Deutschlehrkräften aus dem Ausland ein Fortbildungssystem in Deutschland aus einer Hand anzubieten, das Landeskunde und didaktische Einheiten miteinander verbindet. Parallel dazu müssten bestehende DaF-Lehrstühle im Ausland und Hochschulen im Ausland für diese Aufgabe aktiviert werden und es müsste geprüft werden, welche Deutsche Auslandschulen und DSD-Schulen als Ausbildungsstätten für Lehrer in frage kommen. Dies ist ein wichtiges Feld für eine abgestimmte Kooperation, die die Position der deutschen Sprache im Ausland entscheiden verbessern kann.
  • Zum anderen sollte das weltweite Netz von Partnerschulen nicht dauerhaft in isolierte Segmente unterteilt werden – GI-Schulen, ZfA-betreute Schulen, DSD-Schulen, Deutsche Auslandsschulen – sondern gemeinsam ausgestaltet werden. Ich kann hier nur für das Goethe-Institut sprechen. Für uns gilt, wir haben und werden mit großer Begeisterung unseren Beitrag zur Gewinnung von Partnerschulen leisten, sie beim Auf- und Ausbau betreuen und alle Voraussetzungen schaffen, dass sie qualitätvoll im internationalen Maßstab ihre fremdsprachliche Kompetenz beweisen. Auch in der Zukunft werden wir – wie bisher auch - weiterhin mit den Schulen arbeiten, aber wir übernehmen nicht dauerhaft operative Funktionen in den Schulen. Insgesamt ist es wichtig, dass wir bei allen anstehenden Fragen unsere gemeinsame Zielsetzung, die beste Förderung der deutschen Sprache zu erreichen, zur Leitlinie machen. Dafür gilt es frühzeitig zwischen dem Auswärtigen Amt, der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, den Mittlern, den Auslandsschulen selbst und den für die schulische Arbeit im Ausland verantwortlichen Gremien von Bund und Ländern geeignete Überlegungen zu formulieren.

    Wir alle haben mit der neuen Initiative ein wertvolles Instrument erhalten, der deutschen Sprache in der Welt wieder zu einer größeren Geltung zu verhelfen. Das sollte uns alle einen! Eine Allianz der deutschen Sprache, bei der jeder Akteur das einbringt, was er am besten kann, sollte die Prämisse sein.

    Die Beschäftigung mit der deutschen Sprache im Ausland und die damit einhergehenden Fördermaßnahmen hat auch eine Entsprechung im Inland. Diese neue Aufmerksamkeit ist von großer Wichtigkeit; denn nur dadurch, dass Innen- und Außenansicht gleichermaßen in den Blick genommen werden, führt dies letztlich zu einer anhaltenden und nachhaltigen Befassung mit der Sprache und ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft.

    Lassen Sie mich mit einem vielleicht zunächst überraschenden Ereignis beginnen.

    Zwei höchst angesehene historische Museen in Deutschland leisten sich eine Doppelausstellung zur deutschen Sprache: das Haus der Geschichte in Bonn zeigt „Man spricht Deutsch“, der Versuch, die deutsche Gegenwartssprache in einer multimedialen Ausstellung zu visualisieren. Und das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt „Die Sprache Deutsch“ – ein Streifzug durch zweitausend Jahre Sprachgeschichte. Während die Bonner Ausstellung stärker den Gegenwartsbezug zeigt, widmet sich die Berliner Ausstellung der Entwicklung der deutschen Sprache. Vielleicht hatten Sie bereits die Gelegenheit für einen Besuch, falls nicht, beide Ausstellungen sind noch bis 3. Mai geöffnet – es lohnt sich. Ich hatte Gelegenheit mit den Leitern beider Institutionen die Ausstellung in Berlin im Beisein des Bundestagspräsidenten zu eröffnen. Das Publikumsinteresse ist großartig. Schlangen von Besuchern drängen sich in die Ausstellungen. Sie mussten wegen des Andrangs verlängert werden. Und das bei einem doch eigentlich spröden Ausstellungsthema.

    Das Goethe-Institut ist Mitveranstalter beider Ausstellungen.

    Mit der Ausstellung in Bonn und mit Teilen der Berliner Ausstellung hat das Goethe-Institut Besonderes vor. Wir packen sie nach Beendigung der Stationen in Deutschland ein und zeigen sie über das Netzwerk der Goethe-Institute im Ausland. Im nächsten Jahr macht sie bis zum Sommer Station in Paris, Brüssel, Lissabon, Barcelona, Madrid und Lyon und soll anschließend in die Vereinigten Staaten wandern und über den Pazifik nach Asien, wo sie unter anderem zum Deutschlandjahr in Vietnam gezeigt wird.

    Diese sinnlich erfahrbare Ausstellung eignet sich hervorragend zur Sympathiewerbung für Deutsch als Fremdsprache. Und damit stärken wir so manchen Deutschlehrer, manchen Sprachdozenten an Universitäten und viele, die sich im Ausland aus Enthusiasmus für die Fremdsprache Deutsch einsetzen, bei ihrem manchmal nicht leichten Geschäft. Auch für die Schüler der Auslandsschulen dürfte es ein interessanter Besuch sein.

    Aber Sie werden fragen: Deutsch im Museum? – Ist die Sprache Goethes und Schillers bereits museal oder bedarf sie des besonderen Schutzes im Hort der Musen? Nein! Diese Befürchtungen sind abwegig, zumindest muss man feststellen, dass anders als vielleicht noch vor zwei bis drei Jahren, eine Zuwendung der deutschen politischen und kulturellen Öffentlichkeit gegenüber der deutschen Sprache eingesetzt hat.

    Noch vor kurzem überboten sich die beiden Volksparteien in der öffentlichen Diskussion mit Vorschlägen zur Stärkung unserer Muttersprache. Da empfiehlt die eine, die Rolle der deutschen Sprache in Gremien der Europäischen Union zu stärken, die andere beschließt, Deutsch unter den besonderen Schutz des Grundgesetzes zu stellen. Und im politischen Raum wurde das Bekenntnis zur Förderung der Sprache Deutsch schon in Gesetzestext gegossen. Wer als Ausländer etwa zum Zwecke der Familienzusammenführung nach Deutschland einwandern will, kann dies zwar tun, muss aber in der Regel zuvor Grundkenntnisse der Zielsprache seines künftigen Gastlandes schon dann nachweisen, wenn er den Sichtvermerk in seinen Reisepass erhalten will. Auch die in Deutschland lebenden Ausländer mit geringen Deutschkenntnissen werden ab diesem Jahr eigens für sie entwickelte Sprachprüfungen ablegen, an Integrationskursen teilnehmen und so ihren eigenen Beitrag zur Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft leisten. Zumindest kann man für den Bereich der Migration feststellen, dass offensichtlich die Sprache Deutsch als Voraussetzung für eine Integrationspolitik gestärkt wird. Es gab bisher kaum eine Politik, die genau dies beförderte. Die Erfahrungen mit der bisherigen Politik des Multikulturalismus haben verdeutlicht, dass sich daraus eher eine Haltung des Nicht Tuns und der Gleichgültigkeit ergeben hat. Ein erträumter multikultureller Austausch blieb aus. Es bildeten sich isolierte Sprach- und Kulturinseln, die teilweise zu sozialen Spannungen führte.

    Das Goethe-Institut nutzt die interkulturelle Kompetenz und Kenntnis vor Ort, die wir durch unser weltweites Netzwerk erworben haben und bringt diese als Mittler der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in Deutschland ein. Wir engagieren uns z.B. für die Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund. Wir bieten Fortbildungen für Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen im Fach „Deutsch als Zweitsprache“ an. „Sprache und Integration“ ein Programm des Goethe-Instituts, ist ein Beispiel mit dem wir uns am zivilgesellschaftlichen Engagement für und in Deutschland beteiligen. Sprache ist die Grundlage einer gelungenen Integration. Deutsch als Fremdsprache setzt deshalb bewusst seinen kulturellen Wert als Träger von Bildung und Kultur ein.

    Bei dem neuen Integrationsgesetz, das Ehegatten, die ihren Partnern nach Deutschland folgen wollen, einfache Sprachkenntnisse zur Visumserlangung vorschreibt, kann das Goethe-Institut helfen und fördern. Der Einsatz des Tests „Start Deutsch 1“ bürgt für eine überall auf gleiche Weise und nach denselben Qualitätsstandards durchgeführte Vorgehensweise und schafft damit weltweit vergleichbare und faire Bedingungen. Das Programm vermittelt nicht nur Sprachkenntnisse, es bewirkt durch seine emanzipatorische Komponente ein persönlich mögliches Eingewöhnen. Die Sprache ist hier weder Luxus noch Barriere sondern Lebensnotwendigkeit. Die Sprachkurse, die das Goethe-Institut im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes weltweit anbietet, werden von den Kursteilnehmern als eine wertvolle Hilfe zur Integration, als Lernchance und Beitrag zur Selbstständigkeit gewertet.

    Die Museumsausstellungen bieten so gesehen weniger museale Ereignisse als vielmehr die Chance, die Sprache Deutsch in ihrer heutigen Lebendigkeit, in ihrer tiefen historischen Dimension und – was eben besonders wichtig ist – in ihrer Funktion als Kulturträger zu zeigen.

    Immer faszinieren uns die Prozesse, die schließlich dafür verantwortlich sind, dass aus den vielen deutschen Mundarten die neuhochdeutsche schriftsprachliche Norm entsteht. Dieser komplizierte Prozess bot schon Stoff für unzählige Abhandlungen. Denn der Weg, den die deutsche Sprache hier wählt, unterscheidet sich deutlich von dem unserer Nachbarn. Keine zentrale Instanz und letztlich auch keine Person haben die Regeln fixiert, die etwa bei unseren südlichen und westlichen Nachbarn das Herausbilden einer Nationalsprache bewirkten. Im deutschen Sprachraum gab es keinen Dante, keine Akademie, keine zentrale Regulierungsbehörde, die diese Rolle hätte spielen können. Da Vergleiche oder Gegenbeispiele eine Situation besonders herausarbeiten können, möchte ich kurz den Werdegang der französischen Sprache schildern, bevor ich auf das Deutsche komme.

    Die Entwicklung des Französischen hängt unmittelbar mit der Französischen Revolution zusammen. Die Einsicht, dass Sprache und Denken eng miteinander verbunden sind, ja dass Sprache im Zentrum des Entstehens menschlichen Denkens steht, haben die revolutionären Aufklärer zur Grundlage ihrer Erziehungspolitik gemacht und radikal die sprachliche Vereinheitlichung gefordert, verbunden mit der Vernichtung der Dialekte und anderen Sprachen auf dem Territorium der Republik. Nur so war man sicher, dass das Französische nicht nur alle Franzosen kommunikativ erreichte, sondern dass sich die Franzosen auch zur Republik bekannten. Es hat über ein Jahrhundert gedauert, bis dieser Prozess der Auslöschung der Dialekte vollzogen war und noch heute ist er nicht wirklich abgeschlossen.

    Deutschland war einen anderen Weg gegangen. Am Anfang stand sicher Martin Luther. Der Reformator schuf eine Sprache, indem er, wie er selbst sagt, „dem Volk aufs Maul schaut“, kraftvoll, bildhaft und Stil prägend wie kein anderes Dokument der deutsche Literatur.

    Aber Luthers Bibel ist nicht die neuhochdeutsche Schriftsprache. Wir wissen heute, dass Einflüsse aus dem deutschen Südwesten entscheidende Wirkungen entfalteten. Dort, wo es die meisten Buchdrucker gab, die Flugschriften publiziert wurden – man würde heute von den Zentren der Medien sprechen – dort wurde Stil geprägt, dort wurden Sprachnormen gesetzt. Aber auch der niederdeutsche Raum trägt zu Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache bei. Übrigens ist ebenso interessant zu sehen, wie sich etwa im Nordwesten und Südwesten Sprachräume vom Normierungsprozess zu einem bestimmten Zeitpunkt an abkoppelten und eigene Sprachen bildeten, das Flämische, das Niederländische, das Schwyzerdütsch.

    Welche Rolle nun Luther spielte und welche Einflüsse aus Heidelberg, Prag, Köln oder Basel die Entstehung der neuhochdeutschen Norm begünstigten, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Viel entscheidender ist, dass in Jahrhunderten keine zentrale Norm vorgegeben oder zur allein gültigen erklärt wurde. Das macht doch nachdenklich. Die deutsche Sprache hatte diese zentralen Eingriffe offensichtlich nicht nötig. Deutschlands sprachliche Entwicklung war seit dem 18. Jahrhundert eher den Weg der Philologie als den der Philosophie gegangen oder wie es Jürgen Trabant ausdrückt, den Weg der Sprachliebe als den des Sprachhasses. Seine bedeutendsten Sprachdenker – Leibniz, Herder und Humboldt – hatten Respekt und Interesse für poetisches Denken und die Verschiedenheit der Sprachen gelehrt. Deutschland betrieb die Entwicklung einer einheitlichen Hochsprache ohne die Sympathie für die Vielfalt der Dialekte zu opfern. Deutsch ist wenn Sie so wollen ein Prototyp des deutschen Föderalismus.

    Die deutsche Sprache, die 100 Millionen Europäer als Muttersprache beherrschen und noch einmal so viele als Fremdsprache gelernt haben, ist keinesfalls in ihrem Kern bedroht. Durch die Gedankenlosigkeit oder Auswüchse des „Denglisch“, geht sie nicht unter. Aber es ist mit der Sprache ähnlich wie mit anderen Kulturgütern: mangelnde Aufmerksamkeit mach sie weniger attraktiv, macht sie weniger reich und ausdruckstark. Der Status der Sprache sinkt und es reduziert sich das, was man den Ausbau der Sprache nennt. Ich bin überhaupt kein Reinigungsfanatiker der deutschen Sprache. Es gibt durchaus nützliche eingewanderte Wörter. Aber man sollte nicht in vorauseilender Beflissenheit fremdsprachige Sprachräume öffnen, wo es gar nicht nötig ist.

    Und mehr als der messbare Effekt auf die sprachliche Form sollte uns beschäftigen, was diese Gleichgültigkeit mit uns selbst macht. Das Deutsche ist durchaus ein Identitätszeichen für einen Kultur- und Sprachraum, für eine Sprachgemeinschaft. Deutschland war zuerst eine sprachliche und kulturelle Einheit, erst später eine politische. Für mich war deshalb auch die Wiedervereinigung Deutschlands – wir begehen in diesen Tagen in vielfältigen Veranstaltungen, auch des Goethe-Instituts, das 20jährige Jubiläum des Mauerfalls – immer auch eine kulturelle Leistung, nicht zuletzt auf gemeinsamer Sprache und Geschichte gegründet. So kann man am Ende die Frage, vor wem unsere Muttersprache geschützt werden muss, auch so beantworten: vor unserer eigenen Gleichgültigkeit ihr gegenüber. Ein wenig mehr Leidenschaft für unsere Sprache wäre angebracht, denn sie ist es wert. Deshalb bin ich so erfreut über das, was wir jetzt wieder in die Welt tragen können. Ein Bekenntnis zur deutschen Sprache, aber nicht nur als symbolischen Akt sondern mit entsprechender kultur- und sprachpolitischer Unterstützung und mit finanzieller Ausstattung.

    Als Präsident des Goethe-Instituts sollte ich auch mit einem Goethe-Zitat schließen. Er schreibt in seinen Maximen und Reflexionen zur deutschen Sprache und ihrer Entwicklung:

    Die Muttersprache zugleich reinigen und bereichern ist das Geschäft der besten Köpfe. Reinigung ohne Bereicherung erweist sich oft als geistlos; denn es ist nichts bequemer als von dem Inhalt abzusehen und auf den Ausdruck passen. Der geistreiche Mensch knetet seinen Wortstoff, ohne sich zu bekümmern, aus was für Elementen er bestehe; der geistlose hat gut rein sprechen, da er nicht zu sagen hat.“