Rede von Präsident Klaus-Dieter Lehmann zu 50 Jahre Goethe-Institut London / Wiedereröffnung nach Umbau

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr verehrter Herr Botschafter, verehrte Ladies und Lords, sehr geehrte Damen und Herren,
als Präsident des Goethe-Instituts ist es mir eine Ehre und Freude zugleich, Sie zu unserem festlichen Beisammensein zu begrüßen. Wir feiern heute Abend ein besonderes, ein rundes Jubiläum: 50 Jahre Goethe-Institut in der globalen Metropole London. „London is so large and so wild that it contains no less than everything“ schrieb der Schriftsteller und London-Biograph Peter Ackroyd, man könnte auch zusammenfassen mit den Worten „Die ganze Welt in einer Stadt” – welch anregende Kulisse für ein weltweit agierendes Kulturinstitut!

Neuer Glanz in glänzender Nachbarschaft

Ganz außerordentlich freut es mich, diesen Geburtstag in einem Haus begehen können, das nun nach einer langen Bauphase in neuem Glanz erstrahlt. Und das in einer Nachbarschaft, die ebenfalls im neuen Glanz erstrahlt. Die Neugestaltung der Exhibition Road hat einen öffentlichen Raum geschaffen, der den hier angesiedelten Kultur- und Bildungsinstitutionen – zu denen mit dem Natural History Museum, dem Science-Museum und dem Victoria & Albert-Museum drei der bedeutendsten Museen der Stadt zählen – ein produktives Miteinander erlaubt. Hier treffen sich Kunst, Wissenschaft und Bildung; Tür an Tür und offen den Besucher empfangend. Für ein Goethe-Institut eine ideale und ungemein inspirierende Umgebung.

Bei meinem letzten Besuch hier in London im letzten Jahr betrat ich das Haus noch durch eine verhüllte Fassade, ein großes Schild mit dem deutschen Bundesadler versehen wies auf die Bauarbeiten am Goethe-Institut hin und weckte über lange Zeit hinweg Neugier und Interesse bei den Flaneuren auf der Exhibition Road. Neugier bei denen, die das Goethe-Institut kennen und sich fragten, was wohl genau verändert wird und Interesse bei denen, die das Goethe-Institut auch nach 50 Jahren noch nicht kannten und mit Verwunderung auf dessen Existenz aufmerksam wurden. So wurde die Baustelle selbst zum Werbeträger.

Seit einem halben Jahrhundert öffnet das Goethe-Institut am 50 Princes Gate ein Tor nach Deutschland und lädt Besucher, Kulturakteure, Künstler und Sprachschüler ein zum gegenseitigen Kennenlernen und Austausch, zu Diskurs, Filmreihen, Ausstellungen, Tanz und Schauspiel aus und über Deutschland. Seit der Eröffnung im Jahr 1962 haben unzählbar viele Programme den deutsch-britischen Dialog beflügelt, Künstler und Kulturschaffende aus England und Deutschland zusammengebracht und innovative Formate im Sprachkursbereich haben Sprachschülerinnen und Sprachschülern aus Großbritannien eine Freude an der Deutschen Sprache vermittelt. Für viele Besucher war und ist die Bibliothek des Goethe-Instituts die erste Anlaufstelle für deutschlandbezogene Informationen und das Tor zur deutschen Literatur. Sie ist nach der jetzigen Renovierung ein wahres Schmuckstück geworden, ein Lern- und Begegnungsort gleichermaßen.

Thema: Europa

Aktuell setzt das Goethe-Institut London ein Kunstprojekt um, dessen Ergebnisse mich ganz besonders interessieren: Europe to the Power of n . Wie das Wortspiel mit dem mathematischen Terminus der n-ten Potenz bereits verspricht, hat Europe to the Power of n viele Mitspieler, Spielstätten und Ebenen. Kuratorinnen und Kuratoren aus Großbritannien, Belgien, der Türkei, Polen, Belarus, Serbien, Norwegen, Spanien und China entwickelten aus ihren unterschiedlichen Perspektiven heraus Ideen, wie sich die Kunst mit dem Thema Europa auseinandersetzen kann – so genannte „Szenarien über Europa“. Aus diesen Szenarien heraus entstehen nun in diesem und nächstem Jahr konkrete Ausstellungen. Organisiert wird das Projekt von den Goethe-Instituten in genannten Ländern in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern aus der internationalen Kunstwelt.

Wie die Kuratorinnen und Kuratoren von möchte ich heute Abend gemeinsam mit Ihnen nachdenken über Europa und die Gelegenheit ergreifen, den Blick hinaus zu richten über die Exhibition Road und London.

Als Präsident des Goethe-Instituts habe ich dabei das Glück, einmal nicht über die Finanz- und Wirtschaftskrise zu sprechen, die als Thema den Diskurs über Europa seit Monaten dominiert. Ich möchte über Europa als kulturelles Projekt sprechen, über aktuelle Herausforderungen und Chancen der kulturellen Vermittlungsarbeit in Europa.

Für das Goethe-Institut ist und bleibt der Heimatkontinent ein vorrangiges Handlungsfeld, Europa ist seine kreative Basis. Das gilt für das Innenverhältnis aber auch für die weltweiten Aktivitäten. Der Einsatz für den Kulturdialog zwischen europäischen und außereuropäischen Nachbarn, die Förderung des Konzepts der Mehrsprachigkeit und damit auch einzelner Sprachen sowie die Thematisierung und fortlaufend kritische Beleuchtung der eigenen Einstellungen und Werte bleiben zentrale Aufgaben für das Goethe-Institut und für Europa.

Eine gelungene Arbeit des Goethe-Instituts liegt für mich in der positiven Einwirkung auf nachbarschaftliche Verständigung. Für Europa lässt sich daraus eine Verantwortung für einen zusammengehörenden Kulturraum entwickeln. Sie folgt nicht einem naiven Enthusiasmus der Nachbarschaft, sondern stärkt die Möglichkeit einer wechselseitigen Bereicherung durch die kulturellen Unterschiede. Wie erhalten und fordern wir die kulturelle Vielfalt in Europa? Wie stellen wir uns wichtigen Zukunftsfragen? Und wie gehen wir mit unseren Erinnerungen um? Welches kulturelle Selbstverständnis haben wir und wie verstehen wir die demokratischen Grundsatze von gesellschaftlicher Teilhabe?

Das sind für mich einige bedeutende Fragestellungen der kulturellen Zusammenarbeit in Europa. Und es ist wichtig, ihnen nachzuspüren. Denn Kultur ist kein privater Spielplatz für Künstler und Intellektuelle, sie ist auch nicht der Grundstoff der Kommerzialisierung, sie ist die Grundlage unserer Gesellschaft, um offen zu sein und Neues zu denken. Die kreative Kraft der Kultur und der Künste lebt und gedeiht dadurch, dass sie sich mitteilt, Neugier weckt und über den Tellerrand blickt.

Wir müssen das Interesse am Nachbarn weiter fördern und voneinander lernen, nur so kann Europa seine volle Kraft als künstlerisches Reservoir entfalten. Hier möchte ich gerne Ihren Landsmann David Cornwell alias John Le Carré zitieren, den wir im vergangenen Jahr in Weimar mit der Goethe-Medaille geehrt haben für seinen bemerkenswerten Beitrag zum deutsch-britischen Kulturdialog. Wir haben uns viel unterhalten über Europa und die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Le Carré sagte „Deutschland und Großbritannien haben heute nichts mehr voneinander zu befürchten, aber viel voneinander zu lernen, und jetzt ist die richtige Zeit dazu.“ Er sagte weiter, dass die Mitglieder der europäischen Familie einander nie nötiger gehabt hätten als heute.

Ich teile seine Meinung – und wünsche mir, dass wir den partnerschaftlichen Dialog in Europa weiter pflegen, der für mich in der engen und fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen vom British Council, dem Institut Français, Instituto Cervantes und all den weiteren europäischen und natürlich britischen Kulturinstitutionen und Künstlern, in der Zusammenarbeit mit Ihnen, meine Damen und Herren, die schönste Form annimmt.

Gratulation und Dank

Ich möchte nun noch einmal nachdrücklich gratulieren zu der wundervollen Arbeit, die hier im Goethe-Institut London täglich geleistet wird und zu dem ungemein gelungenen Umbau.

Mein Dank gilt also Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für 50 Jahre unermüdlichen Einsatz, für kreative Programme und Ideen, für die Anregung zum deutsch-britischen Dialog, das Knüpfen von Netzwerken und Pflegen von Partnerschaften. Die heute so zahlreich anwesenden Partner und Freunde des Goethe-Instituts bezeugen, wie gut sie diese Arbeit geleistet haben. Wir können gespannt sein auf die nächsten 50 Jahre und die Programme des Goethe-Instituts in einem aufregenden Jahr 2012 in London, das mit den Olympischen Sommerspielen zum Miteinander der Nationen einlädt. Für mich ist es eine besondere Freude, hier zu stehen und so viele bekannte Gesichter zu sehen. Ich hatte in all meinen beruflichen Stationen das Privileg, eng mit britischen Kollegen und Kulturinstitutionen zusammenzuarbeiten - als Nationalbibliothekar mit der British Library, deren Neubau ich begleitete, und als Präsident der National Heritage Foundation (Stiftung Preußischer Kulturbesitz) vor allem mit dem British Museum und der National Gallery. Das Museumsprestigeprojekt in Berlin - die Wiederherstellung der Museumsinsel als Ort der Ideengeschichte Europas - habe ich gemeinsam mit einem britischen Architekten gestalten können. Der heutige Tag ist deshalb für mich eine wunderbare logische Entwicklung einer engen und glücklichen Zusammenarbeit.

Abschluss

Abschließen möchte ich mit einem Zitat aus dem wunderbaren Jubiläumsband, den Sie alle heute erhalten werden. Unser langjähriger Freund und Partner Martin Roth, der seit letztem Jahr das Victoria and Albert Museum, hier direkt in der Nachbarschaft, leitet, schreibt: „Das Goethe-Institut in London spielt in diesem Europa der Kulturnationen eine Rolle, die weitaus mehr ist als die eines Vermittlers, eines Agenten. Hier reicht das kulturelle und künstlerische Engagement tief in die Geisteshaltung der globalen Metropole London hinein, hier braucht es keine Aufklärung über die Frage, was deutsche Kultur ist, hier ist dank des Goethe-Instituts deutsche Kultur Bestandteil des urbanen Lebens.“

Schöner hätten wir selbst es kaum ausdrücken können und ich hoffe dass Sie, meine Damen und Herren, es ebenso empfinden.

Herzlichen Dank!