Games and Politics
„Silicon Taiga“

Nowosibirsk ist die einzige Stadt in Russland, in der die interaktive Ausstellung des Goethe-Instituts „Games and Politics“ gezeigt wurde. Wo in der Sowjetunion naturwissenschaftliche Spitzenforschung blühte, sitzen heute Russlands führende Spieleentwickler.
Akademgorodok - das „Akademische Städtchen“ - liegt mitten in einem Wald unweit der Metropole Nowosibirsk. Vor 60 Jahren wurde es als sibirische Außenstelle der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften gegründet und entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Zentrum naturwissenschaftlicher Spitzenforschung. Aus allen Landesteilen kamen damals Nachwuchswissenschaftler nach Akademgorodok, weil sie hier gut verdienen und unter idealen Bedingungen forschen konnten.
Mitten im Wald: Akademgorodok
| Foto: William R. Shelton, Science in Siberia
Forschung fern von Moskau
Neben der Geologie, deren Hauptaugenmerk der Erschließung und Nutzung sibirischer Bodenschätze galt, zählten Atomphysik, Biologie, Mathematik und Kybernetik zu den führenden Disziplinen. Stets angebunden an den „militärisch-industriellen Komplex“, schließlich befand man sich mitten im Kalten Krieg. Für eine gewisse Zeit muss Akademgorodok ein paradiesischer Ort gewesen sein: Fern von Moskau war nicht nur konzentriertes Forschen möglich, auch in anderen Lebensbereichen herrschte eine alternative Atmosphäre und große Experimentierfreude.Die Fotos von den Studentenclubs, Konzerten und Sommercamps aus den frühen 1960er-Jahren, als unter freiem Himmel unterrichtet wurde, legen Assoziationen mit kalifornischen Universitäten oder dem Black Mountain College nahe. Ein positives Image, von dem Akademgorodok bis heute zehrt – auch wenn es längst von der Wirklichkeit überholt wurde. Laut Statistik sind hier zwar immer noch Dutzende Forschungsinstitute angesiedelt, die Tausende in der Forschung beschäftigen, davon an die 7.000 Programmiererinnen und Programmierer. Vermutlich liegt aber die Zahl derjenigen, die weggehen, um im Ausland Karriere zu machen, noch höher.
Tetris statt Tischtennis
Die ersten Computerspiele sind ungefähr so alt wie Akademgorodok: 60 Jahre. Die erste Konferenz für Computergrafik in der Sowjetunion fand 1977 statt. Hiermit begann auch der allmähliche Einzug von Computern und Computerspielen in das Leben der Sowjetbürgerinnen und -bürger. Die Ingenieure liefen in der Mittagspause nicht mehr zur Tischtennisplatte, sondern blieben vor ihren Bildschirmen hängen und spielten jenes legendäre Spiel, das wir dem sowjetischen Programmierer und Designer Alexej Paschitnov verdanken: Tetris.Ein 8-Bite ZX-Spectrum Rechner von „Sinclair“ für Zuhause, an dem man nicht nur spielen, sondern auch selbst programmieren konnte, war damals für die meisten unerschwinglich. Die populärste Alternative made in Nowosibirsk war das Fabrikat „Sever“, auf Deutsch: „Norden“. Auch das beliebte Science-Fiction-Spiel „Elite“ aus dem Jahr 1984, das Wirtschaftssimulation mit einem bewaffneten Weltraum-Flugsimulator verbindet, wurde 1993 von einem Nowosibirsker Programmierer weiterentwickelt.

Russische IT-Hochburg
Die Transformation von Akademgorodok in eine russische IT-Hochburg, die dem Ort den Spitznamen „Silicon Taiga“ einbrachte, begann Anfang der Nuller Jahre. Großunternehmen verdrängten die kleineren Firmen aus dem Gamebereich. Getrieben von der Startup-Idee, müssen sich Unternehmen, unabhängige Expertinnen und Freiberufler den Gesetzen des Marktes unterwerfen und den Standort wechseln, wenn sie auf dem Weltmarkt oder wenigstens auf dem russischen Markt überleben wollen.Wie in der echten Taiga ist die Jagd auch in der an wertvollen Technologien und Arten reichen „Silicon Taiga“ verbreitet. Oft bekommen einheimische IT-Spezialisten Jobangebote in anderen russischen Regionen und im Ausland. Einige Großunternehmen öffnen ihre Filialen aber auch in Nowosibirsk und schaffen Arbeitsplätze für Entwickler in Akademgorodok.

Tourneeausstellung
In den letzten Jahren haben Spieleentwickler begonnen, sich auch offline – bei Konferenzen und Workshops – auszutauschen. Das hilft den jungen Enthusiasten, sich einen Platz im Gamerparadies zu erobern. Parallel zu den Technologien und zur Branche selbst, wird auch das Angebot weiterentwickelt. An die Stelle von „Shootern“ oder Questspielen treten „Casuals“, Apps und, zur grenzenlosen Freude von Büromitarbeiterinnen und -mitarbeitern, - „Free-to-play“.