NSU-Theaterstück
Das hätte nicht passieren dürfen

Ceren Sevinç, Deniz Gürzumar und İsmail Sağır bei den Proben zu „Auch Deutsche unter den Opfern“ in Istanbul
Ceren Sevinç, Deniz Gürzumar und İsmail Sağır bei den Proben zu „Auch Deutsche unter den Opfern“ in Istanbul | Foto: Yücel Kursun

​Der NSU-Prozess ist einer der komplexesten Prozesse der jüngeren deutschen Geschichte. Zum ersten Mal ist Tuğsal Moğuls NSU-Theaterstück „Auch Deutsche unter den Opfern“ in Istanbul in türkischer Sprache zu sehen. Die Idee dazu entstand während seines Stipendienaufenthalts an der Kulturakademie Tarabya, die von der Deutschen Botschaft Ankara betrieben wird und für die das Goethe-Institut die kuratorische Verantwortung trägt.

Nur wenige Schritte entfernt von der pulsierenden Einkaufsstraße im Zentrum Istanbuls weist ein Schild den Weg: Kumbaracı 50. Auf der Bühne des kleinen Theaters umkreisen sich zwei Schauspieler und eine Schauspielerin und erzählen dabei eine Geschichte. Sie schreien, einer lacht höhnisch. Es fällt ein Schuss. Jemand liegt auf dem Boden. Drei Namen knallen wie Peitschenhiebe im türkischen Text: „Uwe Böhnhardt.“ „Uwe Mundlos.“ „Beate Zschäpe.“
 
Die drei Neonazis haben nach allem, was bisher bekannt ist, in Deutschland zehn Menschen getötet, zwei Bombenanschläge verübt und 15 Raubüberfälle begangen. Ihre Opfer haben sie danach ausgesucht, dass sie ausländisch klingende Namen trugen: türkische, kurdische, griechische Namen. Auch eine Polizistin wurde ermordet. Eine Deutsche.

Was, wenn die Opfer andere Namen gehabt hätten?

„Auch Deutsche unter den Opfern“, so heißt die Inszenierung des Münsteraner Regisseurs Tuğsal Moğul. Das Stück wurde 2015 in Deutschland uraufgeführt und mit dem Monica-Bleibtreu-Preis als „Bestes Zeitgenössisches Drama” ausgezeichnet. Moğul erzählt darin die Geschichte der NSU-Morde und zeigt das Versagen von Polizei und Verfassungsschutz. Er ist überzeugt: „Hätten die Opfer andere Namen gehabt, Thomas oder Peter, und hätten die Mörder Abdullah, Mustafa und Fatma geheißen, hätte es keine 13 Jahre gedauert, bis man die Morde aufdeckt.“

Angespannte Stimmung - Das Stück versammelt intensiv recherchierte Fakten, Polizeimeldungen und Politikerstatements Angespannte Stimmung - Das Stück versammelt intensiv recherchierte Fakten, Polizeimeldungen und Politikerstatements | Foto: Yücel Kursun Tuğsal Moğul ist in Westfalen geboren. Seine Familie stammt ursprünglich aus Istanbul. Er spricht türkisch und kennt sich in der Millionenstadt am Bosporus gut aus. Zwei Monate lang war er Gast in der dortigen Kulturakademie Tarabya, die das Auswärtige Amt betreibt und das Goethe-Institut kuratiert. Bei seinen Begegnungen mit türkischen Künstlern fiel ihm auf, dass sie die NSU-Geschichte nicht kannten. „Ich habe ein paar Namen fallenlassen“, erzählt Moğul, „auch den Namen Beate Zschäpe. Und dann habe ich gemerkt, dass in der türkischen Presse offenbar kaum darüber berichtet worden ist. Und das, obwohl viele Opfer einen türkischen Hintergrund hatten.“

Die Schauspieler kannten die Geschichte der NSU-Morde nicht

Angespannt verfolgt der Regisseur das Spiel seiner drei Darsteller auf der Bühne. Ceren Sevinç, Deniz Gürzumar und İsmail Sağır – keiner hatte zuvor vom NSU, dem Nationalsozialistischen Untergrund, gehört. Sollte es in Deutschland wirklich möglich sein, dass eine Terrororganisation über so viele Jahre lang unbehelligt Menschen ermordet? „Ich dachte, in einer modernen Demokratie könnte so etwas nicht passieren“, sagt Deniz Gürzumar. Seine Kollegin Ceren Sevinç ergänzt: „Nach dem, was man hier über Deutschland hört, hätte das nicht geschehen dürfen. Das hat mir sehr zu denken gegeben.“
 
Die deutschen Behörden haben bei der Untersuchung der NSU-Morde auf ganzer Linie versagt. Die hohe Zahl der Pannen und Ermittlungsfehler lässt viele an eine Verschwörung glauben. Doch nicht nur das ungewohnte Deutschland-Bild, auch der Umgang der Deutschen mit dem Thema sorgt für Irritationen. Der Schauspieler İsmail Sağır wundert sich, dass ein Theaterstück staatliche Unterstützung erfährt, bei dem staatliche Institutionen derart schlecht wegkommen. Zugleich bekundet er Respekt. „Eine Demokratie muss wohl auch zur Selbstkritik fähig sein“, sagt er und wiegt nachdenklich seinen Kopf.