DIE KRITISCHE ROLLE DER MEDIEN WÄHREND DER PANDEMIE – DIVERSITÄT IST WICHTIG

Während einer Krise sind Medien machtvolle Akteure, und die Art der Berichterstattung übt einen Einfluss darauf aus, wie die Bevölkerung die Ereignisse wahrnimmt und darauf reagiert. Inklusion und Diversität werden in Krisenzeiten oft vernachlässigt. Einseitige Berichterstattung kann bereits vorhandene ungleiche Voraussetzungen verschiedener Bevölkerungsgruppen noch mehr verschärfen und so zur weiteren Diskriminierung derjenigen beitragen, die ohnehin schon marginalisiert sind. Wenn Standpunkte und Erfahrungen von Minderheiten in den Medien nicht zur Sprache kommen, beeinflusst das die öffentliche Meinung. Diejenigen, die in den Medien nur am Rande erscheinen und deshalb weniger sichtbar sind, werden erfahrungsgemäß vom institutionellen Krisenmanagement nicht berücksichtigt.

Von Marina Tuneva

Seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie stehen die Medien vor vielen Herausforderungen. Besonders die Veröffentlichung von irreführenden und falschen Informationen, die sich so schnell verbreiten wie das Virus, erschweren den Medien ihre Aufgabe. Desinformation, Vorurteile und Stigmatisierungen haben sich negativ auf den Kampf gegen die Ausbreitung der Krankheit ausgewirkt. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), hat wiederholt gesagt: „In dieser Zeit brauchen wir die Wissenschaft, keine Gerüchte. In dieser Zeit müssen wir solidarisch sein, nicht andere stigmatisieren.“

Medien haben unzweifelhaft die Rolle, kritisch zu berichten, um bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ein Bewusstsein für die aktuellen Probleme zu schaffen. Doch ebenso müssen sie gegen sich bildende Mythen angehen, gegen sich hartnäckig haltende Missinterpretation und Desinformation. Um die Mauern von Vorurteilen und Ignoranz einzureißen, ist eine professionelle Medienberichterstattung wichtig.

DIVERSITÄT IM KAMPF GEGEN DESINFORMATION

Vielfalt in der Berichterstattung ist mehr als nur professionelle ethische Grundsätze, sie ist Bestandteil der ständigen Hinterfragung der Macht von Medien. Diversität heißt, die traditionell unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen mit an den Tisch zu holen. Vielfalt bedeutet mehr als die Frage nach Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung und so weiter. Nachrichtenagenturen sollten aus der Perspektive von Bevölkerungsteilen aus Stadt und Land, verschiedener Religionsgemeinschaften, Atheisten, politisch Konservativen, Liberalen und so fort berichten.

„Kulturelle Vielfalt erweitert die Freiheitsspielräume jedes Einzelnen; sie ist eine der Wurzeln von Entwicklung, wobei diese nicht allein im Sinne des wirtschaftlichen Wachstums gefasst werden darf, sondern als Weg zu einer erfüllten intellektuellen, emotionalen, moralischen und geistigen Existenz.“
Artikel 3 der allgemeinen UNESCO-Erklärung zur kulturellen Vielfalt

Bezüglich der Covid-19-Pandemie bedeutet Vielfalt die Art, wie darüber berichtet wird und auf welche Quellen sich die Berichte beziehen. Es ist hilfreich, sich zu versichern, dass alle Teile der Bevölkerung repräsentiert und von den Gesundheitsbehörden versorgt werden. Es kommt den Medien zugute, wenn sie ihre Nachrichten und Informationsquellen auf Vielfalt überprüfen. Von Journalistinnen und Journalisten wird erwartet, dass sie stets hinterfragen, ob ihre Berichte das Leben und die Ereignisse aller Bevölkerungsgruppen adäquat repräsentieren. Und dabei geht es nicht nur um Statistiken, Prozentsätze und Zahlen. Es geht darum, die Glaubwürdigkeit der Medien und das Vertrauen der Öffentlichkeit in diese zu bewahren. Letztendlich geht es immer um die Glaubwürdigkeit: Wenn RezipientInnen von Medien sich selbst in den Berichten nicht wiederfinden, wenn ihre Standpunkte nicht berücksichtigt werden, dann erkennen sie die Veröffentlichungen professioneller Journalistinnen und Journalisten nicht mehr als glaubwürdige Informationsquelle an.

Die Abbildung unterschiedlichster Sichtweisen in den Medienberichten hilft im Kampf gegen Desinformation. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass es etwas bewirkt, wenn man Informationen von vielfältigen Quellen ausgewogen in die Berichterstattung über die Geschehnisse in der Bevölkerung einfließen lässt. Das Maynard Institute for Journalism Education in Oakland, Kalifornien, hält Journalisten dazu an, die Gesellschaft tiefer und gründlicher zu betrachten und sich dabei als Rahmen sogenannte „fault lines“, Spannungslinien zu setzen. Das heißt, zu analysieren, was unterscheidet verschiedene Bevölkerungsgruppen voneinander und welche Unterschiede können dabei unsere Beziehungen zueinander und soziale Strukturen zerstören?

Wenn Medien die Blickwinkel ihrer Berichte sorgfältig auswählen und eine Plattform für die unterschiedlichsten Stimmen bilden, damit diese Gehör finden, verhindern sie weiteren Schaden an marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Verschiedene ExpertInnen vertreten unterschiedliche Perspektiven und helfen so, Lücken in unserer Argumentation zu entdecken.

Verantwortungsvoller und inklusiver Journalismus bedeutet auch, marginalisierte Gruppen auch in Berichten über Themen sichtbar zu machen, die nicht nur diese Gruppen selbst betreffen. Das Alter einer Person, das Geschlecht, Herkunft, Religion, sozialer Stand, Behinderungen, Familienstand und sexuelle Orientierung sollten nur dann genannt werden, wenn dies für den Bericht relevant ist. Ansonsten können diese Angaben dafür sorgen, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu stigmatisieren und zu diskriminieren. Die Covid-19-Pandemie sollte nicht mit einer Region, einer Stadt, einem Land bzw. einer Nation oder ethnischen Gruppe in Verbindung gebracht werden – das Virus kann jeden Menschen befallen, egal welcher Herkunft, Nationalität, Religion und Geschlecht. Journalistinnen und Journalisten müssen das tun, was sie schon immer getan haben, und zwar, Informationen weitergeben, die sorgfältig überprüft, faktenbasiert, unabhängig und unparteiisch sind und dabei vor allem Humanität zeigen und die Menschen einbeziehen, die besonders verletzlich sind, Menschen, die am dringendsten informiert werden sollten, Menschen in unseren Gemeinschaften, die beschützt werden müssen.

Inklusive Berichterstattung bedeutet außerdem, dass in den Medien besonders auf die Sprachauswahl geachtet wird. Berichte sollten den Focus auf das große Ganze werfen und davon Abstand nehmen, sich mit bestimmten Individuen zu befassen, um deren Stigmatisierung zu verhindern und die damit verbundenen potenziellen zerstörerischen Folgen. Idealerweise sollten Journalistinnen und Journalisten eine neutrale Sprache benutzen, die frei von Effekthascherei ist. Menschen sollten als individuelle Wesen dargestellt werden und nicht als Repräsentanten bestimmter Randgruppen. In den professionellen Medien sollten keine Hassbotschaften und Volksverhetzungen weitergegeben werden oder Informationen, die dazu beitragen können, Stereotype und Vorurteile zu nähren, und gleichzeitig sollten diese Probleme öffentlich angegangen werden.
 
„Vermeiden Sie das Einteilen in Schubladen und diskriminierende Bezeichnungen, vor allem für Erkrankte und deren Vertraute. Es kann diesen Menschen Schaden zufügen und dazu führen, dass sie ihre Erkrankung verheimlichen, um nicht diskriminiert zu werden, was sie davon abhält, ärztliche Hilfe zu suchen und sich gesundheitlich zu pflegen. Schaffen Sie Vertrauen und zeigen Sie Mitgefühl mit Erkrankten, sodass die Menschen ihre Sicherheit und die der anderen gewahrt wissen.“
Weltgesundheitsorganisation WHO, Regionalbüro für Europa, „Covid 19 – ein Informationsführer – Ratschläge für Journalisten, Kopenhagen, Januar 2021

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